Starke Gewerbesteuerzahler wünschen sich wohl alle Kommunen – doch die Geldflüsse setzen nicht immer so ein, wie es sich die Rathausmitarbeiter wünschen. Foto: imago images/Jens Schicke

Die Hoffnungen in Mundelsheim ruhen auf einen Großinvestor. Aber nicht immer haben Kommunen Glück mit finanzstarken Unternehmen.

Gerhard Jüttner hat schon viel erlebt. Der Tammer SPD-Kreistagsabgeordnete schaut Großunternehmen auf die Finger, die sich vor Steuern drücken – und hat sich deshalb auch der Organisation attac angeschlossen. Zuletzt meldete sich Jüttner bei einer Online-Diskussionsrunde zu dem geplanten Gewerbepark auf den Benzäckern in Mundelsheim zu Wort. Dabei kritisierte er nicht nur den Flächenfraß, sondern auch mögliche Risiken, am Ende mit viel weniger Gewerbesteuererträgen dazustehen als erhofft. Gerade auch renommierte Unternehmen seien nicht immer verlässlich.

Über den Gewerbepark stimmen am 29.  Mai rund 2800 Mundelsheimer ab. Die Diskussion verlief bisher fair, ein Planungsbüro bietet Foren an – die Argumente pro und contra werden ausgetauscht. Eine Bürgerversammlung am 6. Mai ist der nächste Schritt. Im Grunde sind die Positionen klar: Wirtschaftsfreundliche Streiter befürworten den Invest in die Erschließung von 20 Hektar in der Nähe der Autobahnauffahrt. Naturschützer und andere kritische Zeitgenossen monieren den erheblichen Flächenfraß und lehnen das Projekt ab.

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So auch Jüttner, der sich am liebsten den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zur Brust nehmen würde: „Im Koalitionsvertrag strebt er eine Netto-Null im Flächenverbrauch an, und in Weilheim befürwortet er den Verbrauch von 30 Hektar für die Brennstoffzellenproduktion.“ Einen ähnlich großen Fang wie Weilheim mit Cellcentric strebt auch die Gemeinde Mundelsheim an. Zuletzt hatte eine Bürgerinitiative mit dem Namen „Wir für Mundelsheim“ die positiven Folgen für die örtliche Infrastruktur beschrieben: unter anderem den Betrieb des Freibades, dessen Abmangel laut Gemeinde jährlich bei 250 000 Euro liegt. Aber auch Kindertagesstätten und die Schule würden durch die Gewerbesteuer profitieren.

Was ist aber, wenn ein Unternehmen Steuern sparen will und sich gegenüber der Kommune knausrig zeigt? Das Risiko ist laut Gerhard Jüttner nicht von der Hand zu weisen. Legale Tricks gebe es genug. Zum Beispiel mit der Verlagerung von Gewinnen in Steueroasen ins Ausland. „Bosch hat eine Patentbox in den Niederlanden, wo dafür nur zwei Prozent Steuern anfallen.“ Auch Luxemburg und Irland dienten Betrieben zur Steuerflucht. „Manche Firmen zahlen an Tochtergesellschaften für den Einkauf hohe Vergütungen, was die Gewinne und damit die Gewerbesteuereinnahmen schmälert.“

Niedrigere Steuersätze locken in Thüringen und Brandenburg

Unvergessen sei etwa auch Unilever, das vor Jahren seinen Firmensitz in Schleswig-Holstein ansiedelte, weil der Gewerbesteuer-Satz bei niedrigen 100 Punkten lag. Zwar sei der Pflichtsatz bei Kommunen inzwischen bundesweit auf 200 Punkte angehoben worden, doch lägen zwischen den 370 Punkten in Mundelsheim und 200 Punkten in thüringischen oder brandenburgischen Kommunen immer noch Welten.

Zuweilen erlebten Kommunen bei der Gewerbesteuer böse Überraschungen. So verlor die Gemeinde Oberstenfeld im Jahr 2015 rund 1,3 Millionen Euro, nachdem eine Steuerprüfung ergeben hatte, dass dieses Geld im Jahr zuvor nicht standortgemäß gezahlt wurde. Hoerbiger hatte das Firmengelände vom Getriebezulieferer Getrag übernommen. Aber nicht nur im oberen Bottwartal, auch in Tamm rieb man sich im Gemeinderat die Augen, als Porsche von VW aufgekauft wurde. Die Gewerbesteuer des Porsche-Standorts in der Kommune sei auch mit den Beschäftigten der VW-Standorte verrechnet worden, erklärt Gerhard Jüttner – und so sank die Gewerbesteuer in seinem Wohnort Tamm von einem Jahr aufs andere von 20 Millionen auf 7 bis 8 Millionen Euro, so Jüttner. „Es ist nicht gut, ganz auf einen dicken Fisch zu setzen.“

Der Zweckverband für die Ottmarsheimer Höhe setzt auf Vielfalt

Auf Vielfalt setzen – das ist dann auch die Devise von Steffen Bühler. Der Bürgermeister von Besigheim managt den interkommunalen Zweckverband für das Industriegebiet Ottmarsheimer Höhe, dem auch die Gemeinde Mundelsheim angehört. Wohl auch als Replik auf Jüttner gemeint, bezifferte Bühler die Gewerbesteuereinnahmen in den mehr als 40 Jahren des Bestehens auf die stolze Summe von rund 80 Millionen Euro Gewerbesteuer zuzüglich rund 6  Millionen Euro aus der Grundsteuer. Dieses Geld sei den sechs Kommunen Besigheim, Mundelsheim, Walheim, Hessigheim, Gemmrigheim und Neckarwestheim zugutegekommen. „Das ist aber nur ein Teil der Rechnung“, sagte Bühler, „die 2500 Mitarbeiter erzielen durch ihr monatliches Gehalt eine Wertschöpfung, die in die ganze Gegend ausstrahlt und in die Kaufkraft der Familien.“ Und sogar der Kreis Ludwigsburg profitiere über die Kreisumlage aus den Kommunen.

In Affalterbach fließt die Gewerbesteuer

Als eine der relativ reichen Gemeinden des Landkreises Ludwigsburg gilt Affalterbach. Die rund 4500  Einwohner des schuldenfreien Ortes dürfen sich über die Gewerbesteuer des Vorzeigeunternehmens AMG-Mercedes freuen. Wie hoch die jährlichen Zahlungen des Sportwagen-Herstellers sind, darüber schweigt sich der Bürgermeister Steffen Döttinger aus. „Wegen des Steuergeheimnisses darf ich dazu keine Auskünfte geben.“ Doch das Affalterbacher Gewerbe insgesamt stärke die Infrastruktur des Ortes gehörig. Die aktuellen Schätzungen für die Gewerbesteuer aller Betriebe der Apfelbachgemeinde liege bei rund 6,6 Millionen Euro. „Ohne eine so hohe Gewerbesteuereinnahme könnten wir uns vieles nicht leisten.“ Als Beispiel nennt der Rathauschef den Neubau der Schulturnhalle und eine Kita für 1,5 Millionen Euro. Mit seiner Meinung zu einem Gewerbepark Benzäcker hält der Schultes nicht hinter dem Berg: „Ich würde mir wünschen, dass die Mundelsheimer am 29. Mai mit Ja für den Gewerbepark stimmen.“

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Attac kritisiert Steuervermeidung von Konzernen

Tricks Im Fadenkreuz
 des kritischen Trägervereins attac Deutschland stehen nach eigenen Angaben „Steuertrickser“ wie Ikea, BASF, SAP, die Deutsche Bahn, die Deutsche Bank oder Volkswagen: „Sie verschieben Gewinne, rechnen Ausgaben hoch und zahlen am Ende weit weniger Steuern als die ortsgebundenen kleinen und mittelständischen Unternehmen.“

Tochterfirmen
 Viele größere deutsche Firmen verschieben laut attac Gewinne in Steueroasen. So nutzen nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung alle 30  DAX-Konzerne Tochterfirmen in Niedrigsteuerländern – in Staaten, die auf der Schwarzen Liste der EU stehen oder von der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network als Steueroasen eingestuft werden.

Bosch in Bamberg Das Beispiel des Unternehmens Bosch zeigt, so attac-Mitglied Gerhard Jüttner, dass selbst Firmen mit einer hochgelobten Unternehmenskultur Steuern sparen wollten. Bosch habe laut nordbayern.de aus dem Jahr 2018 Gewinne und Verluste völlig legal verrechnet – und zahlte in Bamberg seit Jahren keine Gewerbesteuer mehr.