Die Proteste des Jahres 2016 sind Geschichte – aber was bleibt für die Arbeitnehmer am Ende übrig?. Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

Noch immer warten rund 50 Arbeitnehmer des ehemaligen Holzverarbeiters in Oberstenfeld auf eine Entschädigung. Nun scheinen sie aber auf ein Angebot eingehen zu wollen.

Oberstenfeld - Auf dem alten Werzalit-Gelände in Oberstenfeld stehen die Zeichen schon längst auf Zukunft. Die Backnanger Volksbank-Tochter Levkas plant dort mit der Gemeinde ein rund 10  Hektar großes Areal, auf dem später einmal etwa 1000 Menschen wohnen sollen. Die neu gegründete Werzalit Deutschland GmbH wird voraussichtlich bis Ende des Monats endgültig in den Thüringer Standort Niederorschel umgezogen sein. Abseits dieser Neuanfänge schwelt noch immer ein komplizierter Rechtsstreit, der jetzt zu einem Ende kommen soll.

Der Konflikt zwischen rund 50 ehemaligen Werzalit-Arbeitern und dem Stuttgarter Insolvenzverwalter Jochen Sedlitz begann im Jahr 2018. Der für seine rigiden Outsourcing-Praktiken bekannte Oberstenfelder Industrielle Jochen Werz hatte nach seiner Niederlage vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt Insolvenz anmelden müssen. Werz’ Firma konnte die Lohnnachzahlungen der zu Unrecht gekündigten Arbeitnehmer nicht mehr leisten. Das große Aufräumen begann: Jochen Sedlitz verkaufte Unternehmensteile an den Österreicher Martin Troyer und das Werksgelände an die Levkas GmbH. Nur mit den rund 50  Arbeitnehmern kam er nicht klar. Zwar nahmen einige von ihnen eine Abfindung von etwa 30 000 Euro an, doch die Mehrheit beharrte auf wesentlich höheren Ansprüchen und wollte weiterklagen.

Die Hoffnungen der Arbeiter richteten sich auf die Insolvenzmasse, mit der die Gläubiger vor dem Insolvenzgericht Heilbronn abgefunden werden sollen. Jochen Sedlitz selbst will keine Zahlen nennen, da es sich um ein nichtöffentliches Verfahren handele. Aber man munkelt, dass etwa 5,4  Millionen Euro im Topf liegen sollen. Unklar ist noch, wie viel der noch ausstehende Verkauf einer Tochterimmobilie in Frankreich erbringen könnte, doch die ist laut Sedlitz auch wegen Corona derzeit kaum veräußerbar. Letztlich spiele das für die Arbeiter auch nicht die entscheidende Rolle, meint der Insolvenzverwalter. Er rät den Arbeitern dringend, dem Paket zuzustimmen, das er geschnürt habe, ohne das eigentlich zu müssen. „Ihr Anspruch erschöpft sich laut Insolvenzordnung eigentlich nur auf das 2,5-fache des Bruttomonatslohns“, sagt er. Das wären bei 3000 Euro rund 7500 Euro. Auch wenn Sedlitz nicht die Höhe der Vergleichssumme nennen will, dürfte sie sich in etwa auf dem Level bewegen, mit der schon die ersten Arbeitnehmer abgefunden wurden.

Ein Einlenken wäre laut Sedlitz für beide Seiten von Vorteil. „Man müsste jahrelang prozessieren und Unsummen an Anwaltskosten aufbringen, um die Verfahren zu beenden.“ Die juristische Situation sei wegen der Vielzahl der Klagen „chaotisch und schwer beherrschbar“. Die Kosten würden die Insolvenzmasse weiter aufzehren. Inzwischen habe die Bundesagentur für Arbeit grünes Licht für den Kompromiss gegeben. Die Behörde stimmte zu, die Rückzahlungen von Arbeitslosengeld aus der Insolvenzmasse zu erhalten.

Nach Angaben von Jochen Sedlitz könnte der Streit innerhalb von zwei Monaten beigelegt sein. Er plane noch eine Gläubigerversammlung und eine Informationsveranstaltung in der Moschee. Er rechne fest mit einer Zustimmung, auch wenn sich die bisherigen Gespräche schwierig gestaltet hätten. Aber das Klima habe sich zuletzt gebessert.

Ein Vergleich ist auch für Erdal Ayar, einen der drei früheren Werzalit-Betriebsratsvorsitzenden, unterstützenswert. „Rund 90 Prozent unserer Leute sind inzwischen dafür.“ Ayar hatte die Verhandlungen mit Jochen Sedlitz seit 2018 weitergeführt und darüber regelmäßig seine etwa 50  Kollegen informiert. Er bestätigt, dass man eine gütliche Einigung anstrebe – selbst wenn dies nach jahrelangem Kampf und dem Erlittenen viel zu wenig sei. „Viele Kollegen haben mehr als 40 Jahre ihren Rücken für Werzalit krumm gemacht – sie beziehen Hartz IV, sind an der Schmerzgrenze und haben die Nase voll. Sie können zum Teil keinen Strom oder Wasser bezahlen und leihen sich dafür schon gegenseitig Geld“, berichtet der langjährige Werzalit-Mitarbeiter, der sich derzeit zum Industriemechaniker fortbildet und hofft, bald wieder eine Arbeitsstelle zu finden.

Konkret wirft Erdal Ayar Jochen Sedlitz vor, den Verkauf an Troyer so gestaltet zu haben, dass das vom Erfurter Richterspruch garantierte Recht der Arbeitnehmer auf ihren Arbeitsplatz nicht eingeflossen sei. „Stattdessen hat man uns gekündigt – mit der Begründung, dass es keine Arbeitsplätze mehr dort gebe.“ Das aber habe schon Jochen Werz behauptet, indem er auf seine etwa 15 Tochtergesellschaften verwies. „Deutschland ist ein tolles Land“, sagt Ayar, „aber ich bin enttäuscht, weil man nicht das Recht bekommt, für das man gestritten hat“.

Die Kündigungen sind aus Sicht von Jochen Sedlitz nach der Stilllegung des Oberstenfelder Werks unvermeidbar gewesen. Es habe ihm auch leidgetan, dass man insgesamt 120 Arbeitnehmer entlassen musste. „Nachdem wir kurz vor dem Vergleich stehen, sollte man das jetzt nicht mehr auffrischen.“

Sein Bedauern äußerte der Oberstenfelder Bürgermeister Markus Kleemann auf Nachfrage. „Die Arbeitnehmer haben viel für ihr Unternehmen geleistet. Sie sollten zu ihrem Recht kommen.“