Der Moment vor der Urteilsverkündung durch den Vorsitzenden Richter Roland Kleinschroth (hinten, Mitte). Foto: Oliver von Schaewen

Ein 79-Jähriger aus Winzerhausen hatte einen Radfahrer schwer verletzt und sich aus dem Staub gemacht. Das Landgericht Heilbronn sieht darin eine billigende Inkaufnahme des möglichen Todes, berücksichtigt aber Strafmilderungen.

Großbottwar-Winzerhausen - Eine Woche nach Prozessbeginn hat das Landgericht Heilbronn am Freitag das Urteil verkündet. Der 79-Jährige, der im Januar 2019 abends einen 49-jährigen Radfahrer zwischen den Großbottwarer Stadtteilen Holzweilerhof und Winzerhausen angefahren und schwer verletzt liegen gelassen hatte, erhielt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Er muss nicht ins Gefängnis, weil das Gericht die Strafe zur Bewährung aussetzte.

Wie kam es zu dem relativ milden Urteil? Für einen versuchten Mord kann es mitunter drei bis 15 Jahre Haft und sogar lebenslänglich geben. Der Richter Roland Kleinschroth ließ keinen Zweifel daran, dass der 79-Jährige eine schwere Straftat begonnen hatte, als er im Wissen, den Radfahrer zumindest gestreift zu haben, weiterfuhr. Der Richter benannte das Motiv: „Sie wussten, dass Sie schon einmal wegen eines solchen Delikts im Gefängnis waren, Sie wollten keinen Ärger.“ Der Mann aus Winzerhausen war in den frühen 1980er-Jahren schuldhaft in einen Unfall mit Todesfolge verwickelt – doch dieses Delikt war inzwischen aus seinem Strafregister gelöscht worden. „Sie gelten deshalb als Ersttäter“, sagte der Richter, der dem 79-Jährigen vor Augen hielt, welches Glück er dadurch hatte, dass der Radfahrer nicht ums Leben kam. Glück sei auch, dass zwei Frauen den 49-Jährigen nicht überfuhren, als sie ihn mit einem Oberschenkelhalsbruch und Prellungen fanden.

Eine Unterlassungstat wie diese wiegt weniger schwer als ein aktiv versuchter Mord. Darauf hatte auch der Anwalt des 79-Jährigen im Plädoyer abgehoben. Er bestritt, dass sein Mandant die fahrlässige Körperverletzung bewusst vertuschen wollte. „Ihm ist es nicht durch den Kopf gegangen, er ist ganz normal weitergefahren.“ Er habe gedacht, dass er den Radfahrer vielleicht nur gestreift habe und sei daheim apathisch und unter Schock im Sessel zusammengesunken. Deshalb hielt der Anwalt einen Freispruch vom Mordvorwurf für angemessen.

Diesen Aspekt hatte der Staatsanwalt im Plädoyer ganz anders bewertet, als er zum Angeklagten sagte: „Sie nahmen den Tod billigend in Kauf, als Sie wegfuhren, um die Tat zu verdecken.“ Allerdings würdigte der Staatsanwalt auch die kognitiven Einschränkungen des schwerhörigen und behäbig wirkenden alten Mannes. Strafmildernd seien auch die hohe Bereitschaft des 79-Jährigen und seiner Familie, den Sachverhalt aufzuklären. „Mit einigen Aussagen hier im Gerichtssaal haben Sie sich sogar selbst belastet.“

Eben diese Ehrlichkeit rechnete Roland Kleinschroth dem Rentner hoch an. Der Richter folgte den Forderungen des Staatsanwaltes weitgehend und fasste die beiden Einzelstrafen von 8400 Euro für die fahrlässige Körperverletzung sowie ein Jahr und zehn Monate Haft auf Bewährung für den versuchten Mord mit Unfallflucht zusammen. Das ergab schließlich die zweijährige Bewährungsstrafe plus 6000 Euro Bußgeld. „Wir hätten ihnen auch drei Jahre Haft geben können – dann wären Sie in das Gefängnis für Ältere nach Singen gegangen.“ Doch davor habe den 79-Jährigen nicht nur der glimpfliche Ausgang des Unfalls bewahrt, sondern auch seine Familie. Sohn und Mutter hatten dafür gesorgt, dass er sich selbst stellte – die Polizei hätte sonst seinen Wagen ermittelt, da Einzelteile am Unfallort auf nur 18  Fahrzeuge im Ort zutrafen.

Fürsorglich zeigte sich Richter Kleinschroth, als er dem Mann riet, jetzt nicht in Depressionen zu verfallen, sondern das Positive in dem Urteil zu sehen. „Seien Sie dem Herrgott dankbar, dass alles so glimpflich ausgegangen ist.“ Für die Familie sei es eine Chance, dass das Gericht dem Großvater eine psychiatrische Behandlung verordne. Begleitet wird der 79-Jährige zudem von einem Bewährungshelfer. Auf seinen Führerschein muss er für immer verzichten. Auch kommen hohe Gerichtskosten auf ihn zu, sagte Roland Kleinschroth. Für den arbeitslosen Maler hatte der Rentner zuvor 2200 Euro als Opfer-Täter-Ausgleich überreicht – was sich ebenso strafmildernd auswirkte wie eine Stigmatisierung durch eine Boulevardzeitung, die den Angeklagten groß und nahezu unverpixelt abbildete, was Kleinschroth verurteilte.