Szene aus der türkischen Netflix-Serie „Der Club“, die in den 1950er Jahren spielt Foto: Netflix/Mehmet Ali Gök

Die türkische Netflix-Serie „Der Club“ spielt in den 1950er Jahren und wirft einen nostalgischen Blick auf die weitaus multikulturellere Vergangenheit des Landes.

Istanbul - Ladino ist in der Türkei fast vergessen. Die Mischung aus altem Spanisch, Hebräisch, Arabisch, Aramäisch, Türkisch und anderen Sprachen war bis zum Zweiten Weltkrieg die verbreitetste Sprache der Juden im Mittelmeerraum. In der Türkei sprachen damals fast neun von zehn Juden Ladino, bis es durch türkisch-nationalistische Kampagnen verdrängt wurde. Deshalb war es eine kleine Sensation, als vor Kurzem in einer erfolgreichen türkischen Fernsehserie Ladino gesprochen wurde: In der Netflix-Serie „Der Club“ stehen jüdische Türken der 1950er Jahre im Mittelpunkt.

Im Alltag der Türkei ist von der jüdischen Minderheit des Landes normalweise kaum die Rede. Die rund 15 000 türkischen Juden im Land leben meist zurückgezogen. Im Jahr 2003 ließen türkische Extremisten von Al-Kaida ihre Autobomben in zwei Istanbuler Synagogen explodieren, im Jahr 2016 vereitelten die Behörden Anschläge des Islamischen Staates auf jüdische Einrichtungen.

„Der Club“ erzählt die Geschichte einer türkischen Jüdin, die Mitte der 1950er Jahre in einem beliebten Istanbuler Nachtclub im Ausgehviertel Beyoglu arbeitet. Sie ist Opfer einer berüchtigten Strafsteuer, mit der türkische Behörden in den 1940ern Jahren das Vermögen von Nichtmuslimen einzogen. Die zweite und letzte Staffel der Serie thematisiert den Pogrom vom September 1955. Damals griff ein Mob türkischer Nationalisten, der von den Behörden angestachelt worden war, Istanbuler Griechen und andere Nichtmuslime an, tötete mehrere Menschen, vergewaltigte Frauen und plünderte Geschäfte und Häuser.

Nach den „September-Ereignissen“, wie der Pogrom in der Türkei genannt wird, verließen Zehntausende Griechen und andere Nichtmuslime das Land – vor allem Istanbul verlor viel von seinem kosmopolitischen Charakter. Der September-Pogrom war lange ein Tabu in der Türkei. Noch im Jahr 2005 stürmten Nationalisten aus Protest eine Fotoausstellung zu dem Thema in Istanbul.

Deshalb wird „Der Club“ von Kritikern und Mitgliedern der jüdischen Gemeinde der Türkei als bahnbrechend gelobt. Die Serie thematisiere „schmerzliche Realitäten“, kommentierte die jüdische Wochenzeitung „Salom“. Moiz Gabay, ein Mitarbeiter des türkischen Oberrabbiners, der bei der Serie als Berater mitwirkte, zeigte sich erfreut darüber, dass der „Club“ mit dem Bild des „Wucher-Juden“ und anderen Stereotypen des türkischen Films aufräume.

Doch es ist fraglich, ob der „Club“ den Blick der Gesellschaft auf Juden und andere Nichtmuslime nachhaltig verändern kann. Die Strafsteuer für die Minderheiten war bereits 1999 Thema eines Films mit Hülya Avsar, einer der bekanntesten Sängerinnen und Schauspielerinnen des Landes – doch eine breite Diskussion über das Unrecht kam damals nicht in Gang. Zudem hat Netflix in der Türkei, einem Land mit 84 Millionen Menschen, nur zwei bis drei Millionen Abonnenten: Auch wenn „Der Club“ zu den erfolgreichsten türkischen Netflix-Produktionen zählt, ist die Reichweite der Serie im Vergleich zu den Straßenfegern der großen türkischen Fernsehsender begrenzt. Die Erfolgsserie „Dirilis Ertugrul“, ein Action-Drama aus der Entstehungszeit des Osmanischen Reiches, bescherte dem Staatssender TRT in den vergangenen Jahren vorübergehend Einschaltquoten von 30 Prozent. Wie „Dirilis Ertugrul“ sind viele Hits im türkischen Serienfernsehen äußerst nationalistisch und religiös intolerant.

„Der Club“ bedient aber die Sehnsucht vieler Türken nach einer Zeit, in der die nicht muslimischen Minderheiten noch nicht vertrieben worden waren. Diese Nostalgie steht auch hinter dem gestiegenen Interesse an Rebetiko, der Kneipenmusik der Istanbuler Griechen der 1920er Jahre. „Es gibt so eine Stimmung“, sagt ein Istanbuler Türke: „Eigentlich waren das ja gute Menschen, schade dass sie weg sind.“

Der Club. Zwei Staffeln bei Netflix verfügbar.