Jonathan Krug hat Emil wegen seines sanften Charakters schon als Welpen ausgewählt. Foto: Ralf Poller/Avanti

Jonathan Krug, der Leiter des Erdmannhäuser Jugendhauses Calypso, geht mit seinem Hund zu Menschen, die die Gegenwart des Vierbeiners seelisch gut gebrauchen können. Oft sind es Kinder in Trauersituationen.

Freudiges Schwanzwedeln, ein kurzes Schnüffeln und der prüfende Blick, ob es vielleicht ein Leckerli gibt: schon ist die Begrüßung perfekt. Emil ins Herz zu schließen, ist ein leichtes Unterfangen und gelingt sekundenschnell. Der fünfjährige Rüde mit den großen, treuen Augen „ist zu jedem Lebewesen liebevoll“, betont sein Herrchen Jonathan Krug. „Viele denken, er sei schon ein Opa, weil Emil so ein super entspannter Typ ist“, vermutet der 31-jährige Hundebesitzer schmunzelnd. Der Leiter des Erdmannhäuser Jugendhauses Calypso hat Emil aber gerade wegen seines sanften Charakters schon als Welpen ausgewählt. „Weil er so ruhig und tiefenentspannt ist“, wie Krug den behutsamen und freundlichen Golden Retriever beschreibt.

Der Therapiehund erspürt mühelos Stimmungen von Menschen

Ideale Voraussetzungen für einen Therapiehund, wie Emil einer ist. Denn gemeinsam mit dem ausgebildeten Arbeitserzieher übt der Hund eine Art Kleinstgewerbe aus. Die beiden bieten in Kooperation mit der palliativen Pflege Ludwigsburg Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche an. „Wenn ein Elternteil früh stirbt, leiden die Kinder besonders. Aber auch, wenn etwa ein schwerkrankes Familienmitglied im Fokus der Aufmerksamkeit steht, brauchen Kinder Raum und Zeit für sich allein“, beschreibt Krug die typischen Situationen, für die er und Emil im Kontext der therapeutischen Komplementärangebote bereitstehen. Jeweils eine Stunde lang widmen sie sich dann dem einzelnen Klienten.

Der empathische Hund spiegelt dabei deutlich die Befindlichkeit des Betroffenen. „Selbst dann, wenn er nichts über sich erzählt“, weiß Krug. Die Kümmernisse und Stimmungen von Menschen erspürt der sensible Emil dabei mühelos. „Er ist so feinsinnig, dass er bei starkem emotionalem Stress sogar erbricht oder Durchfall bekommen kann. Das hängt natürlich vom Grad der Bindung ab. Seine Sensibilität ist Fluch und Segen zugleich“, erklärt Jonathan Krug, der durch seinen Hund gezielt ablesen kann, wie es einem Menschen aktuell geht und wo er seelisch steht. Deshalb mutet er dem empfindsamen Vierbeiner auch nicht mehr als eine „Sitzung“ pro Tag zu und achtet darauf, dass der Rüde viel spielen kann und zudem unkomplizierte Begegnungen hat. Diese findet Emil zuhauf im Jugendhaus, wo er die Klientel gut kennt und die er inzwischen als Freunde empfindet. Dann ist er Teil des großen Ganzen und „liegt etwa mit uns auf dem Sofa, wenn wir zocken“. Außerdem hilft Emil bei der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Die nämlich überträgt Krug an die Jugendlichen, die ab und an nach dem Hund schauen, wenn der Jugendhausleiter selbst etwas anderes zu tun hat. Und der sanfte, gutmütige Rüde hilft indirekt sogar in Situationen, bei denen es hoch hergeht. „Etwa bei lauten Streitgesprächen“, sagt Krug, der dann nur kurz andeuten muss, dass man doch auf den Hund Rücksicht nehmen solle. Etwa, wenn Emil gerade schläft. „Das funktioniert meistens perfekt!“

Jonathan Krug muss mitunter für Emil wehrhaft sein

Der Vierbeiner begleitet mit seinem Halter aber auch ein Kind mit Downsyndrom. „Der ist ein kleiner Bewegungsmuffel“, sagt Krug. Emil hilft dem Jungen nicht nur dabei, sich mehr zu bewegen oder etwa die Fingerfertigkeit zu trainieren, er hilft ihm auch dabei, das Selbstvertrauen aufzubauen. „Denn für Kinder ist es ein tolles Gefühl, einen so großen Hund an der Leine zu führen“. Unverzichtbar bei Therapiehunden sei deshalb auch „eine große Portion Grundgehorsam“, führt Krug weiter aus. Soll heißen: Emil muss auf Anweisungen rasch reagieren und gehorchen – und zwar allen. Dass sein Hund so gutmütig ist, dass man ihm sogar ans Ohr oder Maul fassen kann, das bringt Jonathan Krug mitunter zum Schmunzeln. Doch eines irritiert ihn auch: Der Hundebesitzer muss mitunter für Emil wehrhaft sein, weil der es nicht selbst ist. „Manchmal gehen die Menschen einfach zu weit! Emil sendet in solchen Situationen nur nonverbale Signale. Die verstehen manche aber nicht“, führt Krug die Tatsache aus, dass sein Hund auf aggressives Verhalten eher unbeholfen reagiert. „Er strahlt eben sichtbar aus, dass er ein Schaf ist“, kommentiert Krug schmunzelnd.

Kooperation mit der AWO

Dass der Golden Retriever den Namen Emil trägt, findet sein Besitzer deshalb absolut passend. Denn der Name – eine Idee von Krugs Mutter – klinge sanft und passe zu einem Hund, der schon von Berufs wegen „kein allzu starkes Energielevel haben darf“ und sich durchweg als ruhiger Zeitgenosse darstellt. Dieses Gemütskriterium sei schon bei der Auswahl als Welpe wichtig gewesen. Denn ein hyperaktives Verhaltensmuster ist bei der Aufgabenvielfalt eines Therapiehundes fehl am Platz. Deswegen habe Emil auch die acht Monate dauernde Ausbildung zum Therapiehund viel Spaß gemacht. „Die fand in Kooperation mit der AWO statt, wo er im Seniorenheim nicht nur einen rücksichtsvollen Umgang mit den Bewohnern gelernt hat, sondern auch, nichts vom Boden zu fressen: es hätte ja ein Medikament sein können“, erzählt Jonathan Krug und fügt augenzwinkernd hinzu: „Emil hätte die Ausbildung eigentlich gar nicht gebraucht – aber in Deutschland muss man eben für alles ein Zertifikat vorlegen!“

Ansonsten ist der Hund mit den ausdrucksstarken und großen braunen Augen der perfekte Kompagnon zum Knuddeln, Schmusen, Nähe aufbauen und Vertrauen haben. Bei ihm können sich die Kinder auch ungeniert ausweinen – Emil trägt den Schmerz mit ihnen. „Und man darf sich sogar auf den 32 Kilogramm schweren Hund drauflegen, ohne dass er zerbricht“.