„Gute Laune hast du auch mit alkoholfreiem Wein“, sagt der Stuttgarter Gastronom, Caterer und Cocktail-Lehrer Marcel Wanek und setzt sich in die Wanne vor seinem To-go-Lokal an den Eberhardhöfen. Foto: Andreas Engelhard

Muss man sich den schönsaufen? Alkoholfreier Wein gilt als Nischenprodukt. Der Trend zum gesunden Genuss beflügelt ihn nun. Stuttgarter Gastronomen haben Alternativen ohne Umdrehung getestet – mit überraschenden Ergebnissen.

Stuttgart/Berlin - Als Clausthaler vor 42 Jahren das erste alkoholfreie Bier unter die Deutschen brachte, wurden die Kunden in den Kneipen verspottet. Wer „bleifrei“ bestellte, musste ein Weichling sein oder sonst wie krank. Richtig toll schmeckte das Bier ohne Prozente nicht. Dank der wachsenden Konkurrenz der Brauereien, die in dem Markt mitmischen wollten, stieg die Qualität beharrlich an.

„Beim alkoholfreien Wein sind wir am Anfang einer Reise“, sagt Moritz Zyrewitz, einer der beiden Gründer des Berliner Start-ups Kolonne Null. Die alkoholfreien Alternativen im Weinglas verheißen Enthaltsamkeit ohne Entbehrung.

Die Qualität ist deutlich gestiegen

„Nüchtern ist das neue Cool.“ Dies sagt sich so leicht. Wie fühlt es sich an zu trinken, ohne betrunken zu werden? Nach „bleifreiem “ Bier und Gin ohne Geist sei der Null-Prozent-Trend bei Weinen angekommen, wie das Deutsche Weininstitut erklärt. Der Marktanteil des alkoholfreien Weins liege „im Promillebereich“, heißt es dort, aber man stelle ein „stark wachsendes Interesse“ fest.

Früher fielen die Kritiken der Weinexperten verheerend aus. Wein ohne Umdrehung galt, um es vorsichtig auszudrücken, als „gewöhnungsbedürftig“. Die Qualität ist deutlich gestiegen, wie die Stuttgarter Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Zoom-Konferenz konstatieren. Stuttgarter Gastronomen, Winzer, Weinfans und Barkeeper haben vier alkoholfreie (immer auch vegane) Weine und schäumende Getränke aus alkoholfreiem Wein (Sekt darf man aus rechtlichen Gründen nicht sagen) getestet – mit überraschend guten Resultaten. Die prickelnden Sorten schnitten am besten ab.

„Die Perlage ist ausgeprägt und lang anhaltend“

„Qualitativ und geschmacklich finde ich jedes einzelne Produkt in Ordnung“, urteilt Uwe Heine, der Geschäftsführer der preisgekrönten Bar Jigger und Spoon in Stuttgart, „die Perlage ist ausgeprägt und lang anhaltend.“ Die Nase habe leider „ein wenig Zeit gebraucht, um sich zu verflüchtigen und sich zu entwickeln“. Wer Wein trinken wolle ohne Alkohol, habe eine gelungene Möglichkeit dazu – „ mit Verbesserungspotenzial“.

Der Gastronom und Caterer Marcel Wanek, der Cocktail-Kurse gibt und das Banh Mi and Bubbles in den Eberhardhöfen betreibt (gerade nur to go), vergleicht alkoholfreien Wein mit Cannabidiol (CBD): „Er ist gesund, aber knallt nicht.“ Alkohol sei ein Geschmacksträger, der in gesunden Varianten fehlt. Dennoch müssten Bars Alternativen anbieten, findet er: „Immer mehr wollen sich vegan ernähren – und auch ohne Alkohol.“ Mit Kolonne Null im Weinglas hätten Gesundheitsbewusste „ein Bar-Feeling“. Dass man Spaß ohne Prozente haben kann, beweist Wanek mit einem Foto. Vor seinem Lokal setzt er sich in eine Wanne – es blubbert promillefrei.

„Wer genießen will, will sich nicht unbedingt betäuben“

Zu den Fans der entalkoholisierten Weine zählen gleich zwei Thomas D. – der eine von den Fantas bestellt sich regelmäßig neue Genussmittel, der andere ist der Winzer Thomas Diehl . „Wer genießen will, will sich nicht unbedingt betäuben“, sagt der Juniorchef eines Weinguts in Rotenberg. Man müsse dem alkoholfreien Wein „Entwicklungszeit geben“, findet Diehl, der die Zoom-Konferenz zur Verkostung wie ein Entertainer leitet. Bei der Burgunder Cuvée bekommt er „Lust auf den Sommer“.

Babs Steinbock, Wirtin des Jägerhauses in Untertürkheim, findet die neuen Produkte „total spannend“. Überrascht sei sie, „wie hochwertig die Weine sein müssen, damit sie nach der Entalkoholisierung was taugen“.

In der Pandemie ist der Umsatz um das Vierfache gestiegen

Während die Prickelsorten, die am besten ankommen, nicht Sekt heißen dürfen, ist der Begriff „alkoholfreier Wein“ erlaubt. Immerhin fällt die Sektsteuer weg für die Kolonne Null, weil die für Schaumgetränke nicht gilt. Das Beispiel eines anderes Lebensmittels zeigt: Hafermilch musste in Haferdrink umbenannt werden. Alkoholfreie Weine dürfen ihren Begriff behalten, was mit „Lobbyismus der Winzer“ zu tun habe, wie Philipp Rößle von der Kolonne sagt.

Mit Unternehmer Moritz Zyveritz hat der Künstler Rößle in einer WG gelebt und immer wieder am Frühstückstisch den Kater nach langen Nächten beklagt. Mit Weinbergen hatten die beiden nichts zu tun und keine Vorfahren in diesen Berufen. Dennoch beschlossen sie, ein Start-up für alkoholfreien Genuss zu gründen. In der Coronapandemie konnte die Firma, die heute elf Mitarbeiterinnen und sechs Mitarbeiter beschäftigt, den Umsatz um das Vierfache steigern. Es gibt immer mehr Menschen, die gesund leben wollen – nicht nur Sportler, Schwangere und Hochleistungsnerds.

In der Zoom-Konferenz erklären die Macher, wie aufwendig es ist, guten Weinen den Alkohol zu entziehen, auf dass sie gut bleiben. Eines wird allen klar. Was Kolonne Null macht, sind keine Traubensäfte, sondern viel mehr –ist es der Genuss der Zukunft?