Ein Beitrag im ZDF Magazin frontal 21 könnte dem Steinheimer Kinderarzt zum Verhängnis werden. Foto: Karin Götz

Dr. Wolfgang Scheel muss erneut um Zulassung kämpfen. Die Kassenärztliche Vereinigung hat Widerspruch gegen den Februar-Beschluss eingelegt. Der Steinheimer Kinderarzt hat einem nicht existierenden Kind eine Impfunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt.

Steinheim - Bereits Anfang des Jahres hatte Dr. Wolfgang Scheel um seine Zulassung gekämpft. Das Stuttgarter Gesundheitsamt hatte Beschwerde gegen den Steinheimer Kinderarzt eingereicht. Die Begründung: Er soll ein Kind durch seinen homöopathischen Ansatz gefährdet haben. Zur Anhörung vor der Kassenärztlichen Vereinigung Mitte Februar kamen rund 150 Anhänger des Mediziners nach Möhringen, um ihre Solidarität zu bezeugen. Außerdem überreichten die Initiatorinnen einer Online-Petition rund 9000 Unterschriften (wir berichteten). Scheel behielt seine Zulassung.

Jetzt hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 13. Februar Widerspruch eingelegt. Bestätigt wird dieser Widerspruch seitens der KV zwar nicht. „Wir können dazu keine Auskunft geben. Disziplinarische Angelegenheiten sind immer nicht-öffentlich“, sagt Kai Sonntag, der Leiter der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, auf Anfrage unserer Zeitung. Scheel selbst informiert aber auf seiner Homepage über den Widerspruch der KV vom 1. Juli und wirbt gleichzeitig um Unterstützung. Wer seine Meinung zur erneuten Bedrohung seines Betreuungswunsches von Kindern sowie den „bekannten aufopferungsvollen Bemühungen“ seiner Frau und seiner selbst für gesunde, glückliche und leistungsfähige Kinder, seines staatlichen Versorgungsauftrages und auch seiner Existenz darstellen wolle, könne dies bei Vorsitzenden des KV-Vorstandes, dem Berufungsausschuss für Ärzte oder mittels einer Petition tun. Die ist am Laufen. Stand Donnerstag haben sie bereits mehr als 9000 Menschen aus ganz Deutschland unterzeichnet.

Eine Rolle für den Widerspruch der KV hat wohl ein Beitrag mit dem Titel „Schutz gegen Masern? – Wie die Impfpflicht boykottiert wird“ in der Sendung des ZDF-Magazins „frontal 21“ vom 16. Juni gespielt. Einer der Hauptakteure ist hier der Steinheimer Kinderarzt – auch wenn er im Fernsehbeitrag selbst nicht zu sehen ist. Zum 1. März wurde verfügt, dass Kinder ab einem Jahr ab Juli 2021 für den Besuch einer Kita oder der Schule einen Nachweis für eine Masernimpfung oder eine Immunität brauchen. Die Redaktion von frontal 21 ist im Rahmen der Recherche auf Mediziner gestoßen, die sich auf ihren Webseiten offen gegen das Impfen aussprechen, und auf impfkritische Internetforen, in denen Tipps gegeben werden, wie man die Pflicht umgehen kann. Ein Kinderarzt, heißt es in dem Beitrag, biete eine Impfunfähigkeitsbescheinigung gegen Geld direkt an. Besagte Arztpraxis ist die des Steinheimer Mediziners. Die Redakteure schickten Wolfgang Scheel, wie ihnen per E-Mail angewiesen, einen Brief mit einem frankierten Rückumschlag sowie Hinweisen zu möglichen gesundheitlich relevanten Problemen in der Familie samt einem in Silberpapier eingewickelten Zehn-Euro-Schein. Alles für ein Kind namens Jakob, das es überhaupt nicht gibt. Eine Woche später erhalten sie eine Impfunfähigkeitsbescheinigung für Jakob, das fingierte Kind. Ausgestellt von Dr. Wolfgang Scheel. Eigentlich sei die Bescheinigung, heißt es in dem Beitrag weiter, für schwerkranke Kinder, etwa mit Immunschwächen, gedacht. Ein Blick in das Infektionsschutzgesetz zeigt: Von der Impfnachweispflicht sind Menschen ausgenommen, die wegen einer „medizinischen Kontraindikation“ nicht geimpft werden können.

Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Berlin äußert sich vor der Kamera schockiert über das Tun seines Steinheimer Kollegen. Eingespielt wird ein Interview mit Scheel im Rahmen des „Impformationskongresses“, der im April online stattfand. Darin betont Scheel, dass niemand Eltern verpflichten könne, ihr Kind impfen zu lassen. Es gebe keine Impfpflicht, sondern eine Nachweispflicht.

Den Redakteuren von frontal 21 gibt Wolfgang Scheel kein Interview vor der Kamera. Er habe gespürt, dass die Journalistin ihn „reinreißen“ habe wollen, begründet er sein Verhalten im Gespräch mit unserer Zeitung. „Sie kam ohne Ankündigung in die Praxis und wollte ein Interview erzwingen.“ Auch auf seiner Homepage kritisiert er den TV-Beitrag heftig. Wenn ein von den Bürgern mit Zwang finanzierter öffentlich-rechtlicher Sender einen solchen Unsinn präsentiere, sei das ein Schlag ins Gesicht der Beitragszahler. „Und vordergründig eine bösartige Verdummung, Manipulation und ein weiteres Geschäft mit der Angst.“ Es stelle sich die Frage, so der Steinheimer Mediziner, was mit dieser Sendung erreicht werden sollte und für wen man was erreichen wollte, „ohne nicht ein Mindestmaß meiner über 50-jährigen Erfahrung zum Wohl von Kindern und den Verstand und die Bedeutung von Kinder-Krankheiten nachweisen zu können“. Es sei menschenunwürdig, nicht im Mindesten bereit zu sein, sich in die unzweifelhaft berechtigten und oft verständlicherweise panischen Sorgen und Ängste der Eltern vor den immer eintretenden und oft schweren Schädigungen nach Impfungen zu versetzen.

Im Gespräch mit unserer Zeitung bedauert der Steinheimer Mediziner das Ausstellen der Bescheinigung. „Das war ein Fehler, der mir unendlich leid tut. Das ist Futter für meine Kritiker.“ Er habe in „absoluter Ausnahme“ die Bescheinigung geschickt. Allerdings, betont Scheel, fühle er sich von den Journalisten des ZDF hintergangen. „Ich wurde auf falscher Grundlage genötigt, was rechtlich gesehen aus meiner Sicht schwierig ist – und ich bin in die Falle getappt.“

Der Beitrag von frontal 21 hat laut Scheel einen „Tsunami“ ausgelöst. Noch viel mehr Eltern aus ganz Deutschland würden sich nun an seine Praxis mit dem Wunsch wenden, eine naturheilkundlich-ganzheitliche Betreuung ihrer Kinder bei ihm zu erreichen. Eine Zunahme von Patienten sei rein organisatorisch aber kaum möglich. Die täglich Hunderte von SOS-Rufen könnten unmöglich gelesen und beantwortet werden. „Wir müssen die Briefe zurücksenden und die Mails unbeantwortet lassen, weil wir schon lange allein mit den täglichen Patienten massivst gefordert sind.“ Neben dem Wunsch nach Behandlung haben sich laut dem Mediziner aber auch viele an ihn mit dem Wunsch des Ausstellens einer Bescheinigung gewandt – wie für Jakob aus dem Fernsehbeitrag. „Mit blutendem Herzen verweigern wir jedoch die Annahme“, versichert Scheel.

Was sagen Landes- und Bundesärztekammer?
Rechtliche Probleme
Die Bundesärztekammer, in dem ZDF-Beitrag vertreten durch Vizepräsidentin Dr. Heidrun Gitter, sieht in Scheels Agieren rechtliche Probleme. Scheel habe das Kind nie gesehen und sich nie davon überzeugt, dass eine anerkannte Gegenanzeige gegen die Masernimpfung vorliege, so Gitter.
Bescheinigung
Den Inhalt einer Bescheinigung bestimmt der Arzt aufgrund seiner Fachkenntnis und seiner ärztlichen Erfahrung nach bestem ärztlichen Wissen und Gewissen. Berufsrechtlich ist der Arzt hierbei, nach Paragraf 25 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg, verpflichtet, mit der notwendigen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu verfahren. Mit der Festlegung von Berufspflichten von Ärzten dient die Berufsordnung, betont der ärztliche Leiter der ärztlichen Pressestelle der Landesärztekammer, Dr. Oliver Erens, zugleich dem Ziel, das Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten zu erhalten und zu fördern sowie berufswürdiges Verhalten zu fördern und berufsunwürdiges Verhalten zu verhindern. Die Berufsordnung gelte für alle Ärzte, die in Baden-Württemberg wohnen und arbeiten; für vertragsärztlich tätige Ärzte gelte darüber hinaus unter anderem die Disziplinarordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. „Bei jedem Attest muss die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt mit Sorgfalt und im Einzelfall entscheiden. Der direkte Austausch von Arzt und Patient ist dafür unabdingbar. Nur so lässt sich herausfinden, worunter der Patient leidet und ob die Ausstellung eines Attests nach gewissenhafter Prüfung und ärztlicher Überzeugung infrage kommt. Das Ausstellen eines Blanko-Attests ohne vorheriges Arztgespräch entspricht nicht der ärztlichen Sorgfaltspflicht“, so Erens. Im Rahmen der Berufsaufsicht kann die Ärztekammer nach Anzeige oder bei Anfangsverdacht durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch den Kammeranwalt Verstöße gegen die Berufsordnung überprüfen und sie, wenn sich der Verdacht einer berufsrechtswidrigen Handlung bestätigt, der Berufsgerichtsbarkeit zuführen, betont Erens.