Die Freie Schule Christophine hadert wie alle anderen Schulen mit den Herausforderungen, die das Coronavirus bereithält. Foto: privat

Lorenz Obleser, Leiter der Freien Schule Christophine in Marbach, spricht über die aktuelle Situation, mit der man zu kämpfen hat.

Marbach - Momentan sind noch Sommerferien. Doch der Schulstart unter Corona-Bedingungen ist nicht mehr fern. Wir haben uns mit dem Schulleiter der Freien Schule Christophine in Marbach, Lorenz Obleser, darüber unterhalten, wie das Virus den Alltag und das Leben der Familien im vergangenen Schulhalbjahr bestimmt hat.

Herr Obleser, an was erinnern Sie sich spontan, wenn es um Corona und den fehlenden Schulbetrieb bei Christophine geht? Gab es von Elternseite her bestimmte Anforderungen?

Nein, das nicht. Da wir Erwachsenen aber wissen, was Hygiene bedeutet, war dies ein großes Thema schon vor der Schulschließung. Also Händewaschen und Desinfizieren, Abstand halten . . .

Das hat ja mit der Pädagogik erst einmal nicht viel zu tun.

Ja, das Thema „wie gestaltet man zeitgemäßen Unterricht“ war durch den Schreck der Schließung in den Hintergrund getreten. Das kam erst in den darauffolgenden Tagen auf und damit auch andere Herausforderungen.

Wie sahen die aus?

Der Umstand, dass wir durch die Beschulung auf elektronischem Weg, auf den Kontakt mit den Eltern angewiesen waren, hat neue Akzente gesetzt. Denn wir sind durch die Pandemie auf eine Art in Kontakt mit ihnen gekommen, wie es diesen zuvor nicht gab. Die Eltern bekamen durch die Schulschließung – als Hüter der Geräte – eine Schlüsselrolle zugewiesen.

Und die Pädagogen neue Herausforderungen. . .

Ja, unsere pädagogische Interaktion lief plötzlich nicht über die Kinder, sondern auch über die Eltern. Zwar hatten die freilich schon vorher Einblick in unsere Arbeit erhalten, aber durch Corona gestaltete sich das noch einmal neu. Pädagogik setzt bekanntlich auf Nähe und die war durch die Schließung der Schulen nicht mehr gegeben. Es musste uns gelingen, dass Schule, die normalerweise auswärts stattfindet, nun im Familienalltag ihren Platz findet.

Und dazu brauchte es eine mediale Ausrüstung. Gab es dafür eine flächendeckende Toleranz bei den Lehrern und den Familien?

Ja. Wir haben an der Christophine keine Berührungsängste mit dem Internet. Aber nicht jedes Kind ist am Internet so interessiert, wie es die Situation vielleicht erfordert hätte. Es ist uns jedoch gelungen, bei aller Distanz eine gute Betriebstemperatur zu erzeugen.

Und wie haben Sie versucht die gewünschte Nähe zu erzeugen?

Wir haben etwa Umfragen bei den Familien gestartet. Die Fragebögen zielten inhaltlich darauf ab, wie es den Kindern geht, wie sie mit dem Material und mit der Situation zurechtkommen und wie und ob unsere Angebote angenommen werden.

Sickerte da stellenweise auch Frust durch?

Schon, ja. Die Lebenssituationen sind ja sehr unterschiedlich. Und Eltern haben ja manchmal auch noch Kinder an anderen Schulen, was es sehr aufwendig macht.

Was gab es sonst noch im Angebot?

Des Weiteren haben wir eine Plattform geschaffen, die den Kindern die Kommunikation miteinander ermöglicht und Impulse für die Gestaltung der Zeit zuhause gesetzt hat. Neben einer Begrüßung der Kinder gab es etwa Gedichte, eine Kommentarfunktion, die Vorlesekonferenz oder auch Rätsel. Zudem konnten die Schüler ihre Arbeiten, beispielsweise Gemaltes, hochladen. All das hat geholfen, das Gefühl für die Schulgemeinschaft zu erhalten und es war obendrein niederschwellig zu bedienen.

Bei der Freien Schule zahlen die Eltern Schulgeld. Gab es etwa coronabedingte Abmeldungen?

Als Solidargemeinschaft sind wir in der Lage, gewisse Härten mitzutragen. Ich sehe Erziehung nicht als Serviceleistung. Bildung ereignet sich dort, wo Familie und Schule in der Partnerschaft stehen.

Ihr Konzept sieht vor, dass die Schüler der ersten vier Grundschuljahre gemeinsam unterrichtet werden. War das ein Problem?

Wir hatten bis zu den Sommerferien ja insgesamt nur 16 Kinder. Trotzdem haben wir nach den Pfingstferien mit den drei Ältesten, also den Viertklässlern begonnen. Danach haben wir zwei Teams von je acht Kindern gebildet, die im wöchentlichen Wechsel in die Schule durften. Es war trotzdem anstrengend, weil die Anforderungen an die Disziplin der Kinder sehr hoch waren. Aber ich denke, dass wir bei dieser Größenordnung das Infektionsgeschehen weiterhin im Blick haben können.

Werden die, die zuhause bleiben mussten, eingebunden?

Wir sind interessiert daran, die Kinder am Unterrichtsgeschehen teilhaben zu lassen. Besonders schön finde ich, wenn sich die Schulkinder Aufgaben einfallen lassen, die speziell für Ihre Freunde zuhause geschaffen wurden.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in das neue Schuljahr? Haben Sie Sorge, dass es weitergeht mit einem Unterricht, der den Mund-Nasen-Schutz fordert?

Wir stellen die Verordnungen nicht in Frage. Wichtig ist für Kinder, wie wir Erwachsenen uns verhalten. Schwierig finde ich, dass ein gewisser Wettbewerb unter den einzelnen Bundesländern entstanden ist. Generell aber bin ich der Auffassung, dass es durchaus sinnvoll ist, die Verordnungen an schulspezifische Angelegenheiten anzupassen. Bei uns ist vermutlich nur eine kleine Viruslast zu befürchten. Aber ein Restrisiko müssen wir auf uns nehmen. Das Leben in der Risikogesellschaft ist ja nichts Neues und älter als die Pandemie.

Haben Sie als Schulleiter einen Wunsch?

Schule zu machen ohne Kinder und mit gravierender Distanz ist äußerst schwierig, obwohl letztlich viel Kulturgeschichte aus der Erfahrung der Distanz entstanden ist, wie man am Beispiel der Schrift beobachten kann. Dadurch können wir Wissen autark aufnehmen. Was ich mir allerdings wünsche ist, dass wir alle mit der Lupe, die uns durch die Pandemie in die Hand gelegt wurde, hinschauen sollten, wo jeder Einzelne von uns gestalterisch tätig werden kann, um die Herausforderungen zu meistern.