Sally Grayson ist mit ihren Gedanken oft in ihrer alten Heimat Minnesota Foto: Timm Ziegenthaler

Die US-amerikanische Sängerin Sally Grayson sieht in den Demonstrationen gegen den Rassismus eine Chance dafür, dass mehr Menschen sich in diejenigen hineinversetzen, die mit einer anderen Hautfarbe im selben Land leben.

Großbottwar-Winzerhausen - Die Demonstrationen nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd reißen nicht ab. Inzwischen finden auch in Deutschland Demonstrationen unter dem Motto „black lives matter“ statt. US-Polizisten hatten den Afroamerikaner vor laufender Videokamera sterben lassen. Präsident Donald Trump kündigte Militäreinsätze an. Wir haben mit der Amerikanerin Sally Grayson darüber gesprochen, wie sie die Situation in der Heimat wahrnimmt.

Sally, danke, dass Sie unserer Einladung zum Gespräch gefolgt sind.

Gerne. Ich spreche nicht als Expertin auf diesem Gebiet. Dies sind meine Gedanken und Meinung zur aktuellen Lage. Ich selbst will wachsen, ich muss mich herausfordern, und vielleicht muss ich auch korrigiert werden. Aber ich will nicht ruhig bleiben. Ich will meine Stimme einsetzen, um gegen Ungleichheit und Unterdrückung aufzustehen.

Eigentlich wollten Sie in einem Release einen neuen Song vorstellen, haben das dann aber abgesagt. Warum?

Als Amerikanerin weiß ich angesichts der aktuellen Proteste in meiner Heimat, dass es nicht meine Zeit ist im Scheinwerferlicht zu stehen. Vielmehr ist es an der Zeit einen Schritt zurückzutreten, um den Stimmen der Afroamerikaner zuzuhören.

Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, Sie sollten zuhören?

Ich bin überzeugt, dass Veränderung von innen beginnt. In letzter Zeit habe ich in meinem Garten gearbeitet. Wir versuchen einen Teil des Gartens umzugraben, wo bestimmte Pflanzen, die wir immer wieder entfernen, stets zurückkehren. Wir könnten die Pflanzen ignorieren, aber sie tauchen immer wieder auf, sie kriechen über die Grenze zum Garten des Nachbars und sie sind sogar bis zum Fundament unseres Hauses gekommen und drohen es zu zerstören. Das ist Rassismus. Er geht sehr, sehr tief.

Wie tief geht der Rassismus, der in den USA durch die Sklaverei befördert wurde?

Wir sehen derzeit, wie alles an die Oberfläche kommt. An manchen Stellen ist es klar, wie es uns beeinflusst. Aber die Sache ist die: es genügt nicht, die Pflanzen nur oben abzuschneiden; es ist an der Zeit, die Wurzeln herauszureißen. Egal, für wie aufgeschlossen ich mich halte, wie „unrassistisch“, das bin ich leider nicht. Tatsächlich habe ich mein Leben lang von dieser historischen Unterdrückung profitiert, ohne es wahrgenommen zu haben.

Aber Sie selbst haben doch bestimmt niemanden versklavt oder unterdrückt. Warum sind Sie so kritisch mit sich selbst?

Stimmt. Das habe ich nicht persönlich gemacht, aber meine Vorfahren haben diese Übel gepflanzt. Deswegen bin ich ein teilverantwortlich, das herauszureißen. Hier beginnt die Herausforderung: Glaubst du, dass alle Menschen gleichberechtigt behandelt werden sollten? Die Antwort lautet wahrscheinlich: Ja. Bei der nächsten Frage wird es schwieriger: Wenn du ernsthaft glaubst, dass alle Menschen gleichwertig behandelt werden sollten, bist du dann auch bereit, deine Augen und Ohren offen zu halten, um die Wege, wo Menschen nicht gleichberechtigt behandelt werden, zu erfahren? Als weißer Mensch kann ich glauben, dass alle gleich behandelt werden und alles fair ist, weil es für mich so ist.

Dem ist aber nicht so?

Als Weißer ist es eine leichte Sache, komplett ignorant zu sein gegenüber dem systematischen Rassismus, der immer noch unter der Oberfläche lauert, weil man ihn als Weißer eben nie selbst direkt zu spüren bekommt. Wenn wir wirklich glauben, dass wir so anders sind als unsere Vorfahren, dann müssen wir uns für eine Veränderung einsetzen! Roianne Nedd sagte, „Es ist die Rolle des Unterdrückers, nicht des Unterdrückten, Veränderung zu bewirken. Erst wenn wir unsere Wurzeln erkennen als das, was sie sind, können wir beginnen, Wege zu finden, wie wir die Verantwortung übernehmen und Veränderung erwirken können.

Müsste nicht ein Präsident Trump zunächst einmal mehr zuhören?

Unser amerikanischer Präsident ist bedauerlicherweise ein unglaublich unsicherer und tief verwundeter Mann, der in meinen Augen absolut ungeeignet ist für seine Position. Seine rassistischen Aussagen und militaristische Taten vertiefen die Spaltung in meinem Land, und seine Rhetorik hat weiße rassistische Dogmatiker ermutigt, aus ihrem Versteck zu kommen, aktiv und gewalttätig zu agieren, ohne Angst haben zu müssen, für ihr Verhalten verantwortlich gemacht zu werden.

Welche Schritte gehen Sie dabei als Künstlerin persönlich?

Für mich bedeutet das, „offen zu sein“ und gerade jetzt zuzuhören und zu verstehen. Ich lese Bücher zum Thema Rassismus, die von Afroamerikanern geschrieben wurden. Ich abonniere Podcasts, höre führende Personen in unserer Gesellschaft zu und folge Afroamerikanern und People of Color in den sozialen Netzwerken. Ich höre, wie sie in diesem Moment reagieren. Obwohl Aussöhnung zwischen den Rassen ein Thema ist, das mich schon seit vielen Jahren bewegt, fühle ich mich gerade wie ein Kleinkind, das dabei ist das Laufen zu lernen. Ich hoffe, indem ich der Vergangenheit ins Gesicht schaue und durch die Erfahrungen anderer, die tagtäglich diesen Schmerzen erleiden müssen, meine Rolle Künstlerin darin zu finden.

Würden Sie mitdemonstrieren, wenn Sie in den USA leben würden?

Ja. Es ist für mich sehr schwer, jetzt nicht dort zu sein. Ich lebte zehn Jahre in Minnesota, und in vielen dieser Jahren wohnte ich in der Nachbarschaft, wo George Floyd ermordet wurde und wo Aufruhre stattfinden. Das ist meine Nachbarschaft und obwohl es schwer ist zuzuschauen, wie sie zerstört wird, ist es für mich noch herzzerbrechender zu wissen, dass diese Reaktion aus Jahrzehnten voller Ungerechtigkeiten hervorkommen. Aber ich kann auch hier in Deutschland etwas machen: Demonstrationen finden aktuell weltweit statt, zum Beispiel eine „Black Lives Matter“-Demo in Stuttgart am 13. Juni um 13 Uhr, am Schlossgarten.

Was sagen Sie zu den Plünderungen?

Ich habe andere gehört, die die Aufstände und Plünderung verurteilen. Ich stimme zu, dass Gewalt keine Lösung ist. Aber was tausendmal entsetzlicher sein sollte, ist die Tatsache, dass Afroamerikaner immer und immer wieder diskriminiert und getötet werden. Der Mord an George Floyd war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Man kann nicht leugnen, dass die Aufstände auch eine bessere Wahrnehmung der Situation gebracht haben. Das haben sie jedenfalls für mich. Das ist nicht das Problem von einem anderen, das ist unser Problem.

Gewalt nutzt niemandem etwas. Wie könnte man die Lage deeskalieren?

Ein Weg, die Gewalt zu beenden, ist aufzuhören, mit Gewalt zu regieren. Polizeiliche Brutalität gegen Afroamerikaner und People of Color reicht weiter in die Vergangenheit zurück, als wir wissen. Nur mit dem Fortschritt in Technologie beginnen wir als Gesellschaft, diese Brutalität mit den eigenen Augen zu sehen. Eine weitere Möglichkeit, die Gewalt zu beenden, ist Veränderungen zu suchen und zu verlangen – Veränderungen, die real sind, die die Alltagserfahrungen von Afroamerikanern verbessern. Man darf nicht vergessen, dass es schon zahlreiche gewaltfreie Demonstrationen gegeben hat in Bezug auf die polizeilichen Behandlung von Afroamerikanern, und dennoch hat sich scheinbar nichts geändert. Aber durch diese landesweiten Aufruhre beginnen wir jetzt, konkrete Änderungen zu sehen. Der Druck ist da. Alle vier Polizisten, die am Mord von George Floyd beteiligt waren, wurden jetzt endlich verhaftet.

Wie können die Menschen in den USA miteinander den Rassismus überwinden?

Diese Frage ist unglaublich schwer. Aber ich würde gerne die Frage auch umdrehen und fragen: Wie können die Menschen in Deutschland gemeinsam den Rassismus überwinden? Auf der gleichen Weise wie dieses Coronavirus eine globale Pandemie darstellt, so ist es auch der Rassismus. Es reicht mir, wie die Deutschen schockiert über die Geschehnisse in den USA auf mich zukommen, denn in Deutschland sind die Wurzeln des Rassismus auch noch verwickelt. Ich meine damit nicht nur den Holocaust, sondern auch die Kolonialisierung von Afrika. Wenn wir uns bilden und wenn wir die Vergangenheit wahrnehmen und die Geschichten von Unterdrückten wirklich hören, dann können unsere Augen geöffnet werden. Das beinhaltet unter anderem, dass man auch die Deutschen, die keine weiße Haut haben, einbezieht. Stell dir vor, hier in Deutschland geboren zu sein, aber die erste Frage, die du hörst, nur weil deine Haut nicht weiß ist, lautet: „Woher kommst du?“ Menschen mit anderen Hautfarben sind genauso deutsch wie alle andere Deutsche, und sie sind etwas, das das Land umso schöner und brillanter macht.

Haben Sie Rassismus schon einmal in einem Ihrer Songs thematisiert?

Ja. Das Album, das ich mit meiner Band Black Swift gemacht habe, „See me human“, hatte viele Lieder, die dieses Thema ansprachen: im Namen der Flüchtlingen zu singen, Rassismus und Diskriminierung anzusprechen und ein Aufruf, einander zu lieben, auch wenn es schwer ist.

Welche musikalischen Vorbilder haben Sie, um dagegen anzusingen?

Mavis Staples ist eine meiner absoluten Helden, aus vielen Gründen. Sie sang mit ihrer Familie The Staple Singers mit Martin Luther King während der Zivilrechte-Bewegung, und hat seither mit ihrer Karriere fortgeführt – sie ist jetzt 80. Für mich als 44-jährige Musikerin in einer Branche und Kultur, wo das Jungbleiben wertgeschätzt wird, sehe ich in ihr, dass ich gerade am Anfang eines langen Weges mit der Musik stehe. Sie singt über diese Themen ganz klar in dem Song „Build a Bridge”: „When I say my life matters

You can say yours does too

But I bet you never have to remind anyone

To look at it from your point of view.“