MZ Leserforum - Geflüchtet um zu bleiben? Integration in Marbach Foto: Werner Kuhnle

Beim Podiumsgespräch geht es darum, wie Flüchtlinge in die Gesellschaft eingebunden sind.

Marbach - Im Zusammenhang mit der immensen Fluchtbewegung der vergangenen Jahre könnte man sich über viele Teilaspekte, etwa die Ursachen für diesen Exodus, stundenlang austauschen. Beim gemeinsamen Leserforum der MZ mit dem Asylkreis der Schillerstadt konzentrierte man sich am Dienstag im Schlosskeller aber im Wesentlichen auf zwei Fragen: Wie gelingt es, die hier gestrandeten Menschen in die Gesellschaft einzubinden? Und inwieweit wollen das die Asylsuchenden überhaupt? Darüber diskutierten unter der Moderation von Karin Götz, Leiterin der Lokalredaktion der Marbacher Zeitung, Christian Buschhaus vom örtlichen Asylkreis, die Syrerin Naschmia Mohamad, Martin Zerrinius, Leiter der Direktion Polizeireviere Ludwigsburg, und Heike Felbecker-Janho, die bei der IHK das Projekt „Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Flüchtlinge“ koordiniert.

Sie alle beleuchteten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven – wodurch sich am Ende vor allem zwei entscheidende Dinge herauskristallisierten: Zum einen ist Integration keine Einbahnstraße, sondern erfordert von Einheimischen und Geflüchteten gleichermaßen die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen. Zum anderen scheint es kein Patentrezept zu geben, wie Syrer, Iraker oder Afghanen hier eingebunden werden können. Dazu sind die Menschen schlicht zu unterschiedlich.

Davon konnte nicht zuletzt Heike Felbecker-Janho ein Lied singen, die selbst mit einem Jordanier verheiratet ist. Während sie und ihr Mann ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, zog es den Bruder ihres Gatten irgendwann wieder in seine alte Heimat zurück. Diesen Gedanken habe ihr Schwager stets im Hinterkopf gehabt und sich deshalb auch trotz eines guten Jobs gesträubt, in der Bundesrepublik endgültig sesshaft zu werden. „Wenn er nun in Jordanien ist, vermisst er Deutschland. Wenn er hier ist, vermisst er Jordanien“, sagte sie. Mit dieser kulturellen Hin- und Hergerissenheit müssten sich viele Ausländer arrangieren – was aber eher eine Bereicherung sei. „Man kann das doch mischen. Es muss doch nicht alles Deutsch oder Arabisch sein“, sagte Felbecker-Janho. Integration sei unterm Strich ein langer Prozess.

Auch Christian Buschhaus ist aus seiner Arbeit im Asylkreis klar, dass die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft nicht von heute auf morgen funktioniert. Umso mehr würde er sich wünschen, die Erwartungen an die Geflüchteten herunterzuschrauben. Die Leute hätten oft massive Sorgen. Da sei es nur normal, wenn jemand beispielsweise nicht immer einen Kopf dafür habe, Deutsch zu lernen. Außerdem vermisst der ehemalige Gymnasiallehrer bei vielen Einheimischen Offenheit und Mut, auf die Neuankömmlinge zuzugehen. Das zeige sich beim Café International, eigentlich ein Treffpunkt für alle Marbacher, der allerdings von den Alteingesessenen kaum aufgesucht werde. Dabei sieht Buschhaus unsere Gesellschaft in der Pflicht zu helfen. Schließlich würden die Kriege auch mit deutschen Waffen geführt, die Armut in weiten Teilen der Welt vom Westen verursacht. Der Sprecher vom Asylkreis hatte aber auch gute Nachrichten im Gepäck: Über die Patenschaften, die er und seine Mitstreiter übernehmen, seien stellenweise richtige Freundschaften entstanden.

Viel Kontakt mit den Marbachern pflegt beispielsweise Naschmia Mohamad, die mit ihrem Bruder zu Fuß aus Syrien flüchtete und nach einer langen Odyssee in der Schillerstadt ankam. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagte die 34-Jährige. Vor allem, seit sie die Unterkunft im Art-Hotel verlassen und eine eigene Wohnung mit ihrem Bruder beziehen konnte. Ihr Weg bis nach Deutschland sei beschwerlich gewesen und habe viel Kraft gekostet. „Es ist aber Krieg in Syrien. Wir mussten in ein Land gehen, das sicher ist“, sagte sie. Eine Rückkehr nach Syrien kann sich Naschmia Mohamad derzeit nicht vorstellen. „Dort ist Krieg. Ich könnte nicht arbeiten. Das ist schwierig“, erklärte sie. Deshalb will sie in Marbach bleiben und Erzieherin werden, meinte sie in schon ordentlichem Deutsch. Ihre Fähigkeit, sich in dieser Sprache ausdrücken zu können, hat sicher auch Martin Zerrinius registriert. Für ihn ist das nämlich die Hauptvoraussetzung für eine Integration. Insofern sei er für jeden dankbar, der mit einem Flüchtling Deutsch lernt, sagte der Kommissar, der sich früher um besonders schutzbedürftige Kinder und Frauen aus dem Nordirak kümmerte und in dieser Funktion vor Ort das Leid in den Flüchtlingslagern hautnah miterlebte.

Martin Zerrinius räumte zudem mit der Mär auf, wonach Asylsuchende eine ausgeprägte kriminelle Ader hätten. Laut polizeilicher Statistik seien 2018 in Marbach 29 tatverdächtige Flüchtlinge registriert worden, was zehn Prozent von allen Beschuldigten entspreche. „Die hiesigen Flüchtlinge sind überhaupt nicht auffällig“, resümierte Zerrinius. Die Körperverletzungen, die zur Anzeige kamen, hätten sich hauptsächlich untereinander in den Unterkünften zugetragen. Es sei aber auch kein Wunder, wenn junge Menschen einmal explodieren, die ohne Perspektive oder Job den Alltag verbrächten.

Man kann seine Gefühle aber auch so kanalisieren wie Mazen Mohsen. Der Gitarrist unterhielt die rund 60 Besucher im Schlosskeller mit deutschen Volksliedern, die er stellenweise auch auf Arabisch sang. Was wiederum unterstrich: Die Wege zur Integration sind völlig unterschiedlich, manchmal kann es sogar die Musik sein.