Bürgermeister Jan Trost übergibt den Preis an Andrea Breth. Foto: Werner Kuhnle

Die Regisseurin Andrea Breth hat in der Stadthalle den Schillerpreis der Stadt Marbach überreicht bekommen. Die Auszeichnung wurde zum 29. Mal verliehen.

Marbach - Sie gehört zu den ganz Großen des europäischen Welttheaters. Mit dieser Auszeichnung schließt der Text der Urkunde zum 29. Schillerpreis, den die Stadt Marbach alle zwei Jahre verleiht und der am Dienstagabend von Bürgermeister Jan Trost an die Regisseurin Andrea Breth übergeben worden ist. Breth habe sich unschätzbare Dienste um das deutsche Theater erworben, in dem sie als liebende und neugierige Dienerin der Dichter versuche, jedem Wort, jedem Ton, jedem Menschenmöglichen und -unmöglichen in den Dramen auf die Spur zu kommen.

Schillers Werke, so Jan Trost eingangs, seien in den vergangenen Jahren ziemlich fremd geworden. In den Schulen würden seine Dichtungen höchstens noch gestreift, seine Dramen nur noch selten aufgeführt. „Die Angst vor seiner pathetischen Sprache lässt viele Regisseure vor seinen großen Dramen zurückschrecken.“ Breth gelinge es jedoch, seine Werke so zu verarbeiten, dass auch ein jugendliches, nicht vorgebildetes Publikum die Stücke verständlich, nicht verstaubt und aktuell finde. Breth stimuliere mit ihren Inszenierungen zum Nachdenken über die Beweggründe von Krieg und Imperialismus und darüber, warum es Machtmenschen und Fanatiker offenbar glücklich mache, sogar Freunde und Verwandte für ihre Ziele zu opfern.

Die Laudatio auf die Preisträgerin hielt der in Stuttgart geborene Journalist Gerhard Stadelmaier, der bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Feuilleton für das Ressort „Theater“ verantwortlich gewesen ist. Bislang, so Stadelmaier, habe er es stets abgelehnt, Laudatios zu halten. Deshalb empfinde er jetzt auch eine „gewisse Verlegenheit“, gestand er. Andrea Breth habe er nie persönlich kennengelernt, als Theaterkritiker habe er aber über nichts öfter und lieber geschrieben als über ihre Inszenierungen. Breth sei früh aufgefallen, so Stadelmaier. Alldieweil sie nicht so recht in den theatralischen Hauptstrom passen wollte. Wo anderswo Tempo die konventionellen Inszenierungen dominierten, habe es bei einer Aufführung von Andrea Breth passieren können, dass schon allein der Vorhang ganz langsam aufgegangen sei. „Alle Inszenierungen Andrea Breths schaffen Freiräume für das Unerhörte.“

Breth habe eine szenische Fantasie und unterwerfe sich gleichzeitig den Personen und Stücken. „Ihr Ohr ist ins Weite gerichtet. Den Stimmen der Dichter hört sie so lange nach, bis sie Körper und Form annehmen.“ Auf der Bühne der Regisseurin gebe es nichts Kleines. „Man muss die Figuren, wie sie Andrea Breth findet und erfindet, erst einmal aushalten“, betonte Stadelmaier.

Die Preisträgerin gestand zu Beginn ihrer Dankesrede, dass ihre erste Begegnung mit Friedrich Schiller zu Schulzeiten „desaströs“ gewesen sei und erinnerte an besinnungsloses Auswendiglernen der Glocke. Die Lektüre Wilhelm Tells aus der Sicht der Nationalsozialisten habe eher Abscheu bewirkt. „Ich habe Schiller erst viel später für mich entdeckt“, so Breth. Vor allem die Sprache des Dichters hat die Regisseurin fasziniert. „Schillers Aussage über das Sprechen auf der Bühne war für mich lehrreich und interessant.“ Interessiert habe sie aber vor allem der politische Schiller. „Er ist und bleibt ein großer Dramatiker. Er schenkt krimiähnliche Geschichten. Er ist Gegenwart und Zukunft. Ich bin traurig, dass ich mich heute nicht mit ihm unterhalten kann und er nicht noch weitere 1000 Werke geschrieben hat.“

Das Theater habe es heutzutage schwer – gerade auch bei den Jüngeren, konstatierte die Preisträgerin. Als „dümmlich ignorante Missachtung des Dichters“ empfindet Breth es, wenn während einer Aufführung ins Handy getippt wird, statt der Handlung auf der Bühne zu folgen. Oder wenn, wie von ihr erlebt, in Weimar die Schillerstatue von jungen Menschen besprüht wird. Ganz anders die Erfahrung der Regisseurin in Sankt Petersburg, wo vor einer Puschkin-Statue Alte und Junge gemeinsam Texte des russischen Nationaldichters rezitierten.

Dabei richtete Breth ihre Kritik auch an die Verantwortlichen in den Theatern. „Das heutige Theater hat viel Schaden angerichtet.“ So nehme etwa das Einfügen von Fremdtexten überhand. „Man folgt dem Mainstream.“ Wenn etwa die Königin Elisabeth als Sekretärin einer Bank dargestellt werde, dann verstehe sie das nicht, merkte Breth an und kritisierte in diesem Zusammenhang auch, dass eine Bäckerei zum Backshop verkomme und Smileys den Gemütszustand vermittelten. „Wer, wenn nicht das Theater, soll für den Erhalt der Dichterkultur kämpfen?“ Dabei ist sie sicher, dass Sprache – sofern sie direkt ist und eine spannende Geschichte erzählt – das Publikum erreichen kann. „Der Mensch will Geschichten erzählt bekommen.“