Kirchberg ist eine der Gemeinden, in denen die Kirchenglocken allabendlich noch zum Corona-Gebet rufen. Foto: Werner Kuhnle

Das Geläut von Kirchenglocken zum Gedenken an die Corona-Pandemie ist in den meisten Orten verstummt. Eine Ausnahme bildet Kirchberg. Die FDP-Politikerin Gudrun Wilhelm will daraus eine Minidemo kreieren.

Kirchberg - In Kirchberg trifft man sich noch beim Sonntagsspaziergang. Und dabei tauscht man sich natürlich auch über aktuelle Ereignisse aus. Bei der Gemeinderätin Gudrun Wilhelm ist das nicht anders. Und dabei stellte sich jüngst heraus, dass sich etliche ihrer Bekannten, wie auch sie selbst, darüber ärgern, dass die Querdenken-Bewegung viel Aufmerksamkeit bekommt, während diejenigen, die sich an die Corona-Verordnung halten, kaum Gehör finden. Eigentlich, so der Tenor, müsse man doch daran etwas ändern.

Das führte dazu, dass Gudrun Wilhelm in ihrer jüngsten Kreistagsrede folgenden Appell in die Runde schickte: „Ich fordere alle diejenigen auf, die die Regeln einhalten, für den Schutz aller gegen die Verantwortungslosigkeit einiger, ein Zeichen zu setzen.“ Da Versammlungen möglichst vermieden werden sollen, schlug sie vor, dass man abends um 19.30 Uhr fünf Minuten lang vors Haus treten soll, um zu zeigen, „dass wir uns mit Gesellschaft und Gesetzgeber solidarisieren. Als Zeichen des Miteinanders und Zusammenhaltens, von Vertrauen und Verlässlichkeit.“ Den Zeitpunkt hat sie deshalb gewählt, weil dann in Kirchberg die Kirchenglocken läuten.

Das tun sie, seit bei der ersten Corona-Welle Gottesdienste nicht mehr möglich waren. Die Initiative dazu ging von den beiden großen Kirchen Baden-Württembergs aus. Der evangelische Landesbischof Frank Otfried July schrieb seinerzeit dazu: „Die Glocken sollen uns daran erinnern, dass wir unser Leben auch in diesen Krisentagen mit dem großen Horizont der Gegenwart Gottes sehen. Die Glocken rufen uns zur Andacht und Fürbitte. Wir denken an die kranken Menschen und alle, die im medizinisch-pflegerischen Bereich, im öffentlichen Dienst, in den Familien und Nachbarschaften für Unterstützung und Hilfe sorgen.“

Der Oberkirchenrat in Stuttgart sah nach Auskunft einer Sprecherin die Aktion als beendet an, als man Gottesdienste wieder gemeinsam feiern durfte. Im Kirchenbezirk Marbach finden sich dennoch Gemeinden, die entweder nie mit dem allabendlichen Läuten aufgehört haben oder nun, bei der zweiten Corona-Welle in der Adventszeit, über einen erneuten Beginn nachdenken, ohne damit eine politische Demonstration zu verbinden. Der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Kirchberg, Martin Weber, sagt dazu: „Corona ist ja immer noch ein Thema, deshalb läuten wir auch weiterhin.“

In Höpfigheim und Steinheim schweigen die Glocken abends zwar, doch erklärt der Höpfigheimer Seelsorger Volker Hommel: „Ich halte es gerade im Advent für wichtig, das zu tun. Das Läuten ist ein Symbol für die Stimme Gottes und ein Hoffnungszeichen. Es ist wichtig, gerade jetzt Mut zu machen. Denn die derzeitige Situation lähmt die Menschen.“

Deshalb will er sich darüber auch noch mit seinem Steinheimer Kollegen, Matthias Maier austauschen. Einstweilen verteilt er Friedenslichter als Zeichen der Hoffnung.

Zum Corona-Gebet geläutet wird auch in Oberstenfeld seit März jeden Abend. Dazu Pfarrer John-Walter Siebert: „In dieser Zeit, wie viele sie noch nie erlebt haben, scheint uns die Einladung zum Gebet mehr als angemessen. Wir bitten Gott um sein Erbarmen und Eingreifen, und wir beten für Erkrankte und für alle, die das Leben am Laufen halten.“

Der Dekan des Kirchenbezirks Marbach, Ekkehard Graf, weiß um die Unterschiede bei den Gemeinden und erklärt für Marbach selbst: „In ökumenischer Absprache haben wir das Corona-Läuten am Sonntag, 5. Juli, zum letzten Mal erklingen lassen.“ Auch bei der katholischen Kirchengemeinde St. Pius X in Großbottwar schweigen die Kirchenglocken seit dem Sommer. „Wir wollten die Nachbarn nicht zu sehr belasten, und wenn das Läuten über Monate geht, wird es ja auch irgendwann zur Gewohnheit“, sagt Pfarrer Pius Angstenberger dazu.

Mit ihrem Aufruf zur Minidemo vor der eigenen Haustür zum Glockenläuten hat Gudrun Wilhelm in ihrer Kirchberger Nachbarschaft schon einige Unterstützer gefunden. Zwei davon sind Ingrid und Erhard Kimmel. Letzterer macht deutlich, warum er und seine Frau jeden Abend vor dem Haus demonstrieren: „Ich kann das Geschwätz der Querdenker und der angeschlossenen rechten Szene nicht nachvollziehen. Es ist doch kein Problem, mal auf Urlaub zu verzichten, eine Maske aufzusetzen und Abstand zu halten. Und dann wird noch von einer Corona-Diktatur in Deutschland gefaselt – die hätten wir ja dann in der ganzen Welt, wo zum Teil viel härtere Maßnahmen gelten als bei uns.“