Manfred Moll setzt sich zur Ruhe – wie hier auf der Bank auf der Hälde oberhalb von Großbottwar. Sie bietet eine Aussicht bis zum Wunnenstein, allerdings nur, bis in rund 20 Jahren neugesetzte Douglasien die Sicht versperren werden. Foto: Werner Kuhnle

Revierförster Manfred Moll verabschiedet sich nach 30 Jahren in Großbottwar und Umgebung in den Ruhestand. Orkan Lothar hat sein Wirken ebenso geprägt wie der Klimawandel.

Großbottwar/Oberstenfeld - Diese Szene werde ich in Erinnerung behalten, solange ich lebe.“ Als Manfred Moll, der langjährige Revierförster von Großbottwar und Oberstenfeld, diesen Satz in dieser Woche im Gespräch am Hardtwald beim Forsthof ausspricht, schüttelt er den Kopf, als könne er immer noch nicht glauben, was passiert ist. Gemeint ist der zweite Weihnachtsfeiertag 1999. Nicht nur Menschen, die wie er mit dem Wald zu tun haben, fällt bei diesem Datum direkt ein Name ein: Lothar – der Orkan, der über Baden-Württemberg hinwegzog und immensen Schaden anrichtete. Die Szene, die Manfred Moll anspricht, zeichnet ihn an jenem Tag im Büro im Keller seines Hauses in Mundelsheim. Während der Vater von drei Töchtern am Schreibtisch die Weihnachtspost erledigt, blickt er hinaus. „Ich habe mich gewundert, warum mein Nachbar in der Hofeinfahrt so komisch zu seiner Haustüre läuft“, erinnert sich der heute 60-Jährige. Wie sich herausstellt: Der Nachbar kämpft gegen den Wind an, um überhaupt voranzukommen. Der Beginn eines Szenarios, das Manfred Moll als Revierförster jahrelang beschäftigen wird. „Wenn ich an Lothar denke, graust es mir heute noch“, sagt er und blickt auf seine Unterarme, als warte er darauf, dass sich die Haare zu Berge stellen. „In meinen 40 Jahren Dienstzeit war das das einschneidendste Erlebnis, was den Forst betrifft.“ Das bleibt auch so – ist der 60-Jährige doch Ende Juli aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand getreten.

30 Jahre war Manfred Moll für den Großbottwarer Wald zuständig, der Oberstenfelder kam später hinzu. Die Gesamtfläche umfasst rund 1100 Hektar. Wer Moll kennt, der weiß: Er übte seinen Beruf mit Herzblut aus. Was auch jetzt im Gespräch nach seinem Start in den Ruhestand spürbar ist. „Der Wald von Großbottwar und Oberstenfeld ist mir richtig ans Herz gewachsen.“ Entsprechend spricht er von gemischten Gefühlen. „Ich hatte einen sehr schönen Beruf, habe das mehr als eine Berufung gesehen.“ Und wo sonst könne man sich 80 Prozent der Arbeitszeit selbst einteilen. Mit den Menschen, egal ob in den Rathäusern oder bis zum Holzschlepper sei er immer gut klargekommen. Ein gutes Verhältnis sei ihm auch wichtig gewesen, er selbst habe sich als Dienstleister gesehen. „Der Wald gehört ja den Bürgern.“ Auf der anderen Seite freut er sich auf die Freizeit. „Ich habe erst mal nichts geplant und werde es genießen, ohne Termine in den Tag zu starten. Immerhin habe ich 40 Jahre lang nach Plan gelebt. Ich bin aber auch keiner, dem langweilig wird.“ Er spüre auch, dass Verantwortung von seinen Schultern falle. „Denn trotz Vollerntemaschinen und Co. ist die Waldarbeit noch immer körperlich schwer.“ Er sei froh, dass in all den Jahren bei seinen Kollegen bis auf einen Beinbruch und zwei Vorfälle, als der Helm bei fallenden Ästen schützte, nichts passierte. „Ich war täglich froh, wenn deshalb kein Anruf kam.“

Besonders gerne aufgehalten hat sich Manfred Moll im Großbottwarer Teil des Kälblings, rund um den dortigen Spielplatz, der quasi als Abschiedsarbeit umfassend hergerichtet wurde. „Der Borkenkäferbefall an anderer Stelle hat aber dafür gesorgt, dass wir die Arbeiten nicht abschließen konnten. Das wird im Spätsommer oder im Frühjahr nachgeholt.“ Apropos Folgen des Borkenkäfers: Mit so genannten Kalamitäten, also Naturschäden, hatte Manfred Moll immer wieder zu kämpfen. So waren die Jahre 2018 und 2019 extrem trocken, weshalb die Fichte reihenweise vertrocknete. „Die hat nur 30 bis 50 Zentimeter tiefe Wurzeln und erreicht das bei einer Dürre sinkende Grundwasser nicht mehr“, schildert der Revierförster a.D. „Es zeichnet sich auch leider ab, dass der Wald hier in zwei, drei Jahren fichtenfrei sein wird.“ Einzig in der höheren Lage bei Prevorst könnte die Baumart überleben, weil es häufiger regnet. Im Tal ist es trockener. „Ein Drittel des gefällten Holzes war in den letzten Jahren Dürrholz.“ Da das meiste, was bei Häusern an Holz benötigt wird – Möbel, Brennholz, Parkett, Latten – Fichtenholz ist, ist Manfred Moll gespannt auf die Auswirkungen. „Die Industrie muss sich noch umstellen. Ich hoffe, dass der Markt so lange bedient werden kann.“

Bei der Fichte sind auch bis heute Auswirkungen von Lothar zu spüren. „Die, die damals umgestürzt sind, fehlen heute in der Holzwirtschaft“, schildert Manfred Moll, der immer auch die Einnahmenseite des Waldes im Auge haben musste. Die Fichten im Kälbling seien 40, 50 Jahre alt gewesen, wären jetzt mit 60, 70 perfekt für die Nutzung und würden „schön Geld bringen“. Stattdessen musste nach dem Sturm neu gepflanzt werden, wofür vor allem die Eiche genommen wurde. „Bis die genutzt werden kann, muss auch sie 60 bis 70 Jahre gewachsen sein.“

Den Schaden durch Lothar mit Geschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern beschreibt Manfred Moll heute noch als „unvorstellbar“. 30 000 Festmeter Schadholz habe es gegeben, allein im Kälbling 14 500. „Der war im Forstamt Heilbronn der am stärksten betroffene Distrikt.“ Zur Einordnung: Ein Festmeter ist ein acht Meter langer Stamm mit 40 Zentimetern Durchmesser. In Großbottwar habe es die fast achtfache Holzmenge im Vergleich zu einem normalen jährlichen Holzeinschlag gegeben. „Ich bin tagelang durch den Wald gelaufen, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Es war kaum ein Durchkommen, weil die Bäume überall lagen. Es hat auch an Maschinen gefehlt. Mithilfe des Baggers vom Bauhof haben wir dann einen Stamm nach dem anderen zur Seite geräumt.“ Die Organisation war auch schwierig, weil der Orkan unvorhergesehen kam. „Vielleicht lag das an den Feiertagen. Ich kann mich jedenfalls an keine Vorwarnstufe erinnern.“ In der Folgezeit wurden auch Mitarbeiter aus dem Ausland angeheuert, um die Schäden zu beheben. „Alleine hätten wir das nie geschafft.“ Die Pflanzung mit Eiche, Speierling und Elsbeere in den betroffenen Gebieten, gerade im Kälbling, sei erfolgreich gewesen. „Das gibt einen schönen Mischwald“, freut er sich.

Diese drei Holzarten sind übrigens nicht nur besonders gefragt, sie lassen auch Molls Herz besonders hoch schlagen. „Bei der Elsbeere und beim Speierling ist es vielleicht der Minderheitenschutz“, sagt er lachend. Beide Arten kämen mit der Trockenheit recht gut klar, auch die Holzfarbe sei schön. Und die Liebe zur Eiche begründet sich bereits auf Molls Anfangsjahre in den 1980ern im Revier bei Lauda-Königshofen, bevor er 1990 ins damalige Forstamt nach Großbottwar kam. „Die Eiche ist über Jahrzehnte preisstabil geblieben und kommt mit Stürmen und Trockenheit gut zurecht.“

Trockenbeständigkeit ist wegen des Klimawandels gefragt, auch die Douglasie wird deshalb vermehrt gesetzt. „Ich hoffe sehr, dass die vergangenen beiden Dürrejahre eine Ausnahme bleiben. Dieses Jahr haben wir zumindest wieder einen normalen Sommer“, sagt Manfred Moll, der besonders gerne die Markierungen an Bäumen vorgenommen hat, die gefällt werden müssen. „Auch wenn die Entscheidung nicht leicht fällt, wenn zwei Bäume nebeneinander stehen, aber nur einer bleiben kann.“ Auch die Brennholzverkäufe habe er mit Leidenschaft durchgeführt. „Die Gemeinden machen da ja inzwischen richtige Volksfeste draus.“

Ansonsten sollte es im Wald eines sein: ruhig. Was manche Mountainbikern inzwischen verhindern. „Da treffen im Wald die Erholfunktion für die Menschen und die Schutzfunktion für das Wild aufeinander.“ Werden Trampelpfade illegal befahren, kann Moll „nur mit dem Kopf schütteln“, handele es sich doch um Rückzugsgebiete für Tiere. Als Lösung kann er sich vorstellen, dass in mehreren Waldungen legale Trails angelegt werden. So vergrößere sich für die immer mehr werdenden Biker die Auswahl und es werde auf den immer selben Trails nicht langweilig.

Wenn darüber beraten wird, wird Manfred Moll aber nicht mehr mit am Tisch sitzen. Stattdessen sein Nachfolger Rene Frank. Moll wird stattdessen als eifriger Nutzer der Mundelsheimer Ortsbücherei vielleicht gerade ein Buch lesen, mit seiner Frau spazieren oder Hund Leo gassiführen. Ganz bestimmt auch mal im Wald.