Jede Kürbisfigur fertigt Pit Ruge in mühevoller Kleinarbeit. Foto: Werner Kuhnle

In seiner Waldwerft in Cleebronn erschafft der aus Marbach stammende Künstler faszinierende Gestalten aus Massivholz. Aus ihnen entstehen kühne Kürbisfiguren, die nicht nur im Blühenden Barock in Ludwigsburg Aufsehen erregen.

Marbach - Dunkle Wolken und strömender Regen machen den Weg zur Waldwerft in Cleebronn noch geheimnisvoller. Hinter jeder Ecke könnten mystische Fabelgestalten auftauchen. Und so verwundert es nicht, wenn plötzlich riesige Skulpturen den Blick zum Himmel versperren. Schon kurz hinter dem Eingang der Waldwerft arbeitet Pit Ruge an einem menschengroßen Kopf von Balu, dem Bär aus dem Dschungelbuch. Der Dschungel ist das neue Thema für die nächste Kürbisausstellung und zieht sich wie ein roter Faden durch alle hier entstehenden Gebilde. In einer Werkstatt mitten im Wald entstehen sie. Waldwerft ist ein sehr passender Name für diese verwunschene Kreativwerkstatt.

Handwerker und Multi-Künstler

Pit Ruge ist der Schöpfer all dieser fabelhaften Kreaturen der Kürbisausstellung im Blühenden Barock. Dafür ist der Künstler innovativer Ideengeber, Handwerker für Metallbau und Holzschnitzerei, Aufbau- und Ausstellungsverantwortlicher, obendrein noch Art Director und vieles mehr in einer Person. Aufgewachsen ist Ruge in Marbach. Hier leben heute noch seine Mutter und viele seiner Jugendfreunde. Obwohl er viele Welten sein Zuhause nennt, ist der Eichgraben in Marbach damals wie heute seine gefühlte Heimat.

Alles beginnt mit einer Skizze

Doch Ruge ist nicht alleine, wenn er den Figuren aus dem Nichts von der Skizze bis zum fertigen, mit Kürbissen behängten Wesen Leben einhaucht. Mit ihm arbeitet der Engländer und Wahl-Ludwigsburger Paul und Maryza, ein sonst in den Cevennen lebender Pole. Im Moment aber arbeiten, leben und kochen sie hier gemeinsam, und das nicht schlecht. Denn wie Ruge versichert, zeige sich die kreative Ader von Künstlern eben auch bei vielen in der Liebe zum Kochen und für gutes Essen.

Vom Arme-Leute-Nahrungsmittel zum Kunstwerk

Wie wurde nun aus dem einst als Arme-Leute-Nahrungsmittel geschmähten Kürbis eine schon 20 Jahre andauernde Erfolgsgeschichte im Blühenden Barock in Ludwigsburg und an vielen weiteren Ausstellungsorten? Maßgeblichen Anteil daran haben zwei Schweizer Bauern. Die Brüder Beat und Martin Jucker haben einen vielen Schweizern innewohnenden, natürlichen Instinkt für gute Geschäfte. Mit dem haben sie die einst geschmähte Frucht im wahrsten Wortsinne hoffähig gemacht und über interessante Wege auch ins Blühende Barock gebracht. Dessen damals noch junger Chef Volker Kugel erkannte früh, dass sich mit diesen Früchten viel mehr machen lässt, als sie nur dekorativ in Kisten zu stapeln. Und das war die Stunde für Pit Ruge. Er drückte der Idee seinen künstlerischen Stempel auf, und fortan sollte es jedes Jahr ein neues Thema geben. Seit 2002 ist er künstlerischer Leiter der Ausstellung. Die Kürbisse, einst in Kisten dekorativ aufgestapelt, wachsen fortan zu kühnen Kürbisfiguren. Und die werden geliebt. Neben Ludwigsburg werden die Figuren auch in Erfurt, Kaiserslautern, Klaistow bei Berlin, Köln und Zürich im Wechsel gezeigt. Mit mehr als einer Million Besuchern jedes Jahr ist sie schon seit Jahren ein Publikumsmagnet.

Werkstatt, Waldcamp und Remise

Und das ist gut so. Denn in jeder Figur stecken bis zu 20 Tage Arbeit. Bei elf bis zwölf solcher Figuren für jedes neue Ausstellungsthema summiert sich das schnell auf die rund sieben Monate, die Ruge jedes Jahr daran arbeitet.

Die Werkstatt ist eine faszinierende Mischung aus Waldcamp, Remise unter einem ausgedienten Zirkuszelt mit Sternenfirmament, künstlerischem Chaos sowie Werkstatt und Manufaktur für harte, handwerkliche Arbeit. Zuerst entsteht in Ruges Kopf die Idee. Daraus wird dann eine Bleistiftskizze. Und schließlich wird die Figur – wie eine Art lebensgroße Arbeitsschablone – aus Kunststofffolie herausgeschnitten. Ab und an orientieren sich die Kunsthandwerker daran für die richtige Proportion. Doch die meiste Zeit erscheint es für den Betrachter so einfach, wie es einst Leonardo da Vinci beschrieb: Er müsse doch nur den Engel aus dem überflüssigen Stein befreien, denn der Engel sei ja längst da. Erst die handwerklichen Talente für Holz, Metall und Stein lassen diese Arbeit so mühelos erscheinen. Dabei fliegen Funken, blitzt ein Lichtbogen beim Schweißen, zischen Holzspäne einer kreischenden Motorsäge durch die Luft oder überdecken Lackdüfte die Gerüche des Waldes.

Wanderer zwischen künstlerischen Welten

Woher holt man sich mit seinem Team nach 20 Jahren immer wieder neue Inspiration und Ideen? Dafür ist Ruge Wanderer zwischen den künstlerischen Welten. Sein zweites Atelier ist in Berlin und seine zweite Leidenschaft ist die Musik. Hier arbeitet er im Noise Lab. Wie in seiner Waldwerft ist auch hier ein Brutreaktor für neue Ideen entstanden. Jeder Künstler hier schafft ganz neue Musikformen, und gemeinsam haben sie eine komplett neue Musikbewegung geschaffen. Doch für Ruge ist das kein Widerspruch. Hier die Musik, das laute, quirlige, hektische Berlin – und dort die Stille, die einsam abgeschiedene Waldwerft mit einem elementar einfachen Leben. In diesem kreativen Spannungsfeld werden vermutlich noch viele neue Fabelgestalten entstehen, die nicht nur Kinderherzen höher schlagen lassen.