Die Landesregierung hat die Möglichkeit virtueller Sitzungen geschaffen. Immer mehr Kommunen nutzen sie. Foto: factum/Simon Granville

Seit dem Frühjahr können Gemeinderatssitzungen digital stattfinden. Von Januar an braucht es dafür eine angepasste Hauptsatzung.

Marbach/Beilstein - Das Thema Digitalisierung beschäftigt die Kommunen schon seit Längerem. Die Corona-Pandemie hat neue Wege in vielen Bereichen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens aufgezeigt. Ratssitzungen per Mausklick? Seit Mai ist es möglich – theoretisch.

Einer der wichtigsten und heikelsten Aspekte bei dem Thema digitale Ratssitzung ist der Datenschutz. „Die Gemeinde hat sicherzustellen, dass die technischen Anforderungen und die datenschutzrechtlichen Bestimmungen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Sitzung einschließlich Beratung und Beschlussfassung eingehalten werden“, heißt es dazu in Paragraf 37a, Absatz 2 der Gemeindeordnung. Ins Internet können die Sitzungen – unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Voraussetzungen – übertragen werden, wenn ein entsprechendes Einverständnis der Beteiligten vorliegt.

Die Universitätsstadt Tübingen hatte die neue Möglichkeit als Erstes genutzt und schon am Tag nach Inkrafttreten eine virtuelle Gemeinderatssitzung abgehalten. Andere kleine und größere Kommunen haben nachgezogen. Die Gemeinde Dossenheim etwa. „Wir haben bisher ausgesprochen positive Erfahrungen gemacht“, sagt David Faulhaber, Bürgermeister der Gemeinde in der Nähe von Heidelberg. Durch Hybridsitzungen könne einerseits der Abstand zwischen den Beteiligten gewahrt werden, andererseits müssten nicht alle Mitglieder tatsächlich präsent sein. Gleichzeitig werde die Verpflichtung zur Öffentlichkeit gewahrt, indem die Sitzungen weiterhin im Ratssaal von interessierten Bürgern besucht werden können, so Faulhaber.

Bis Ende des Jahres konnten die Kommunen dieses Instrument ohne Änderung ihrer Hauptsatzung nutzen. Von Januar an braucht es dafür eine Änderung. Und für die haben sich jetzt auch die Mitglieder des Verwaltungsausschusses Marbach entschieden. Man wolle sich, betont Hauptamtsleiter Jürgen Sack, angesichts steigender Infektionszahlen die Option offenhalten. Formal muss zu einer Hybridsitzung, also einer Sitzung in Pandemie-Zeiten, die sowohl in Präsenz stattfindet, an der aber auch Personen per Video zugeschaltet werden, wie zu einer reinen Präsenzsitzung sieben Tage vorher eingeladen werden, betont Sack. „Außerdem muss beim Einberufen bereits der Charakter der Sitzung klar sein.“ Die Entscheidung, in welcher Form getagt wird, obliege dem Verwaltungschef. Demnächst werde man den Ablauf und die Technik verwaltungsintern testen, kündigt der Marbacher Hauptamtsleiter an.

Auch die Mitglieder des Rielingshäuser Ortschaftsrates sollen 2021 nach und nach in die Lage versetzt werden, wenn erforderlich, in die Videotechnik einzusteigen. Sack: „Als erster Schritt wurde unser Rats-info-System jetzt bei den Damen der Verwaltungsstelle eingeführt, zudem wurde der Saal technisch ertüchtigt.“ Im Haushalt für 2021 habe man Mittel für Tablets eingestellt. „Sobald diese Mittel freigegeben sind, werden wir uns um die Beschaffung und die notwendigen Schulungen der Räte in der Handhabung kümmern.“

Apropos Tablets. Zwei Gemeinderäte haben – aus unterschiedlichen Gründen – bislang kein städtisches Tablet. Puls-Vertreter Hendrik Lüdke und CDU-Mann Jochen Biesinger. Er sei allgemein kein Freund von Tablets, erklärt Lüdke. Bis vor Kurzem habe er auch noch kein Handy gehabt. Er sei es gewohnt, Unterlagen mit einem Kuli in der Hand zu lesen, Anmerkungen zu machen, et cetera. Außerdem wolle er Kosten für die Stadt sparen. Zudem sei nicht gesagt, dass die Nutzung des Tablets ökologisch besser sei. „Das erforderliche Papier der Stadt versuche ich, an anderer Stelle einzusparen, was aber auch nur begrenzt möglich ist – leider.“ Jochen Biesinger versperrt sich nicht gegen den Schritt ins neue Zeitalter. Im Gegenteil. Der Gemeinderat, der auch Ortschaftsrat ist, möchte eine ganzheitliche Lösung für beide Gremien. Die einen Unterlagen in Papierform, die anderen digital – ein Durcheinander, das nicht im Sinne des CDU-Rates ist. „Ich lasse mich einmal auf das System ein und dann stelle ich um.“

Die Ludwigsburger Nachbarn hatten bislang drei Sitzungen des Gemeinderats im Hybridformat, berichtet Pressesprecher Peter Spear. Zugeschaltet waren je fünf bis sechs Stadträte, die restlichen Mitglieder des 40-Kopf-starken Gremiums waren vor Ort. „Wir können bisher nur von guten Erfahrungen berichten“, betont Spear. In Kornwestheim gab es während des Lockdowns im April zwei virtuelle Sitzungen. Allerdings fand nur die beratende Aussprache per Videokonferenz statt. Die Beschlüsse wurden per Umlaufverfahren gefasst, berichtet Pressesprecherin Marion Blum. Wie in Marbach wurde die Hauptsatzung inzwischen geändert. Die virtuellen Sitzungen sollen jedoch die Ausnahme bleiben. Die Mitglieder des Gemeinderates haben sich dafür ausgesprochen, die Sitzungen in Präsenzform durchzuführen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es in den Sitzungen, die real stattfinden, einfacher ist, in Diskussionen zu bleiben, miteinander in Dialog zu kommen und atmosphärische Stimmungen aufzunehmen. Das Gemeinschaftsgefühl ist in realen Sitzungen viel deutlicher spürbar“, begründet Oberbürgermeisterin Ursula Keck.

Thomas Winterhalter sieht es ähnlich. Eine kommunalpolitische Diskussion lebe vom Erspüren der Stimmung und der Emotionen des Gegenübers, findet der Steinheimer Rathauschef. „Auch wenn ich aus der Generation Smartphone stamme, bin ich ein Freund von Präsenzveranstaltungen, solange es die Verordnungen ermöglichen.“ Seit ein paar Sitzungsrunden tagen die Steinheimer in der Blankensteinhalle, davor lange Zeit noch im Bürgersaal. In der Halle habe das Gremium viel Platz und man könne lüften. Die Änderung der Hauptsatzung und damit das Ermöglichen von virtuellen Sitzungen steht in Steinheim nicht auf der Agenda, erklärt Winterhalter. Auch wenn die Urmenschstadt technisch aufgestellt dafür wäre. „Der Gemeinderat hat auch noch keinen Wunsch dahingehend geäußert.“

Ganz im Gegensatz zu den Ratskollegen in Beilstein. Unterm Langhans wird kommenden Dienstag zum ersten Mal virtuell getagt. Lediglich Bürgermeister Patrick Holl und ein kleiner Teil der Verwaltung werden in der Stadthalle vor Ort sein, der Rest des Gremiums schaltet sich von daheim aus zu. Die Hauptsatzung soll wie in Marbach dann auch geändert werden. „Natürlich ist es unser Ziel, so rasch wie möglich zu Präsenzsitzungen zurückzukommen, aber angesichts der Infektionslage hat der Gesundheitsschutz Priorität“, so Holl. Darüber hinaus wolle man auch ein Zeichen der Solidarität setzen. „Auch wir machen nicht einfach so weiter wie bisher.“