Wird der Leistenbruch minimalinvasiv operiert, schauen die Ärzte vor allem auf einen Monitor statt auf den Bauch. Foto: Michael Raubold Photographie

Zwei Leistenbrüche stehen auf dem OP-Plan von Doktor Dirk Weimann: Einer wird minimalinvasiv operiert, der andere Eingriff erfolgt konventionell.

Marbach - Kein Zutritt! Die Tür, die Unbefugte von den Operationssälen trennt, passieren wir um 10.43 Uhr. Warum ich so exakt auf die Uhr achte? Der Moment ist etwas Besonderes für mich! Ich habe so ähnliche Türen schon mehrmals durchschritten, das erste Mal aber befinde ich mich dabei nicht in einem Dämmerzustand. Dass sich das schon sehr bald ändern würde, konnte ich da ja noch nicht ahnen.

Zwei Leistenbrüche hat Doktor Dirk Weimann an diesem Dienstag auf seinem Operationsplan stehen. Fast so, als hätten sich die beiden Patienten abgesprochen, „kommen heute beide Techniken zum Einsatz“, erklärt der Mediziner. Während der erste Eingriff minimalinvasiv mit zwei kleinen Schnitten und einer Kamera vollzogen wird, erfolgt die zweite Operation nach der konventionellen Methode, sprich mit einem etwa zehn Zentimeter langen Schnitt durch die Bauchdecke und der darunterliegenden Schichten. „Diese Vorgehensweise, bei der man tatsächlich mit den Händen zugreift, erlernt man schneller“, ist sich Dirk Weimann sicher, der damit auch zugibt, bei seinen ersten minimalinvasiven Operationen schon mal die Orientierung im Körper verloren zu haben. Dazu äußert sich auch die Fachliteratur. „Man braucht circa 50 Operationen, bis man auf dem Monitor überhaupt etwas erkennt“, hat Weimann recherchiert. Heutzutage geht er mit der kleinen Zange und der Kamera so sicher durch den Körper, dass es schwer fällt zu glauben, es könne jemals anders gewesen sein.

Normalerweise hält ein Operateur das medizinische Instrument, ein zweiter führt die Kamera. Die Technik, beides selbst in der Hand zu halten, hat Dirk Weimann nicht erfunden. Jedoch hat er dieses Vorgehen für sich optimiert. So wird er auch heute in rund 35 Minuten den Bauch geöffnet und den Leistenbruch freigelegt haben. Dann durch eine Metallröhre ein Netz aus Polypropylen eingeführt und den Bruch damit verschlossen haben. Verlassen kann er sich dabei auf das Team im Operationssaal: Der erste Springer Davor Kraguljac wird bei der zweiten Operation von Jutta Einsele ersetzt, Petra Rebbelmund als Instrumentiererin, Anca Constantin als erste Anästhesieärztin sowie Anke Müller als zweite Anästhesieärztin bleiben im Raum. Obwohl man sich kennt, werden vor Beginn der Eingriffe die Namen laut genannt und ins Protokoll übertragen. „Weiß jeder, was zu tun ist“, fragt Dirk Weimann und erntet Kopfnicken. Die Abläufe im Vorfeld ähneln einer Choreografie, die damit endet, dass Dirk Weimann in den blauen, sterilen OP-Anzug richtiggehend hineintänzelt. „Wir haben das heute aber auch ein wenig zelebriert“, sagt er mit einem Augenzwinkern vor allem in Richtung Fotograf.

Bis zu sieben Mal am Tag führt das Team diese Handgriffe durch. „Für uns ist das ein alltäglicher Eingriff“, sagt Weimann in dem Wissen, dass es für die Patienten anders ist. „Für jeden, der hier hereingebracht wird, ist es im wahrsten Sinne des Wortes einschneidend.“ Sich das immer wieder bewusst zu machen, sei wichtig, damit die Routine nicht die Oberhand gewinnt.

Fünfzehn Jahre lang hat Dirk Weimann als Arzt im Ludwigsburger Klinikum gearbeitet, fünf davon als Oberarzt. Seine heutige Tätigkeit als Belegarzt im Marbacher Krankenhaus – die chirurgische Gemeinschaftspraxis betreibt er zusammen mit den Doktoren Franz-Peter Schnee und Andreas Westhauser – weiß er darum umso mehr zu schätzen. Während er im großen Team die Helfer nicht zwingend kannte und an dem Kreisklinikum oft nicht einmal mitbekommen habe, wie es den Patienten nach der Operation ergangen sei, „betreue ich ihn hier bereits vor dem Eingriff, führe diesen selbst durch und schaue anschließend nach dem Patienten, bis er entlassen werden kann“. Bei einem Leistenbruch ist das meistens noch der gleiche Tag. „Für gewöhnlich wird diese Operation ambulant durchgeführt.“

Dabei ist der Eingriff keineswegs unkompliziert. Die Schwierigkeit liegt darin, den Bruch mit dem Netz so zu verschließen, dass er sich nicht gleich wieder öffnet. Zumal das Netz vom Operateur nicht befestigt werden kann. Er legt es lediglich an die richtige Stelle, „die dann Narben bildet, die wiederum das Netz halten“, erklärt Weimann. Vor allem bei einem großen Bruch komme es jedoch immer wieder vor, dass der Patient kurz nach der Operation beispielsweise niese und das Netz dadurch entferne.

Leistenbrüche sind dabei keine Erscheinung des Alters. Selbst Säuglinge können darunter leiden. Risikofaktoren sind eine Bindegewebsschwäche, schwere körperliche Tätigkeiten, vorherige Operationen, aber auch Übergewicht oder Nikotin können dazu beitragen. „Bei Säuglingen taucht die Leistenhernie auf, wenn sich das Bauchfell im Leistenkanal während der Entwicklung des Embryos nicht richtig schließt“, erklärt Weimann.

Zaghaft sieht der erfahrene Operateur nicht aus, wenn er mit Kamera und Zange dem mit Kohlenstoffdioxid gefüllten Bauch zu Leibe rückt. Dort wäre ohne das natürliche Gas viel zu wenig Platz, um mit der Kamera irgendetwas erkennen zu können. So zeigen sich aber Fettzellen, Bindegewebe und Muskeln deutlich auf dem Monitor. Einiges davon muss bewegt werden, um die richtige Stelle für den Eingriff zu erreichen. Auch wenn die Methode minimalinvasiv heißt, sind die Bewegungen für den ungewohnten Betrachter eher grob zu nennen. „Es ist erstaunlich, wie viel Arzt ein Mensch aushält“, ist ein Witz, den Weimann in solchen Fällen gerne bemüht. Interessanterweise ist es so, dass die zwei kleinen Schnitte, insgesamt etwa anderthalb Zentimeter lang, nur unter Vollnarkose gemacht werden können, während die augenscheinlich heftigere konventionelle Methode unter örtlicher Betäubung durchgeführt werden kann. Das aber, so erklärt es der Arzt, hängt mit dem Zwerchfell und dessen Verbindung zur Bauchmuskulatur zusammen. Die Lunge muss außer Kraft gesetzt werden, damit im Bauchraum genug Platz für die medizinischen Geräte bleibt.

Als um 12.25 Uhr der zweite Patient aufgeschnitten wird, ist dieser bei Bewusstsein, sein Blick auf den Bauch jedoch verdeckt. Von dem etwa zehn Zentimeter langen Schnitt, mit dem seine Bauchdecke geöffnet wird, merkt er nahezu nichts. „Nur, dass am Gewebe etwas gezogen wird“, so Weimann. Anders verhält es sich, als er den Leistenkanal erreicht, wo er nicht weiter betäuben kann. Unter Schmerzen macht sich der Mann bemerkbar und Dirk Weimann erklärt, „das ist jetzt wie ein heftiger Tritt in den Hoden“. Damit ist die Prozedur aber auch schon fast überstanden. Wenige Minuten später kann der Arzt die Wunde zunähen.

Beide Operationen verlaufen planmäßig. Nicht vorgesehen hatten Dirk Weimann und sein Team jedoch, den Autor dieser Zeilen zu versorgen. Ich hatte mich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet, weil ich dachte, Blut zu sehen, mache mir nichts aus. Erstaunlich: Mein vegetatives Nervensystem hat am Ende des weitgehend unblutigeren minimalinvasiven Eingriffs seinen Dienst quittiert, und ich bin ohnmächtig geworden. Wie in jedem guten Operationssaal läuft nebenher das Radio. Als ich mich in den Dämmerzustand verabschiede, singen die Pet Shop Boys auf SWR1 „That’s the way, life is“ – so ist das Leben eben.