Regina Lessenthin plädiert gerade jetzt für eine bewusste Gestaltung der Adventszeit.Weihnachtsgefühle kann man sich holen – durch verschiedene Sachen. Foto: Archiv (Oliver von Schaewen)

In den Wochen bis zum Weihnachtsfest stellt uns die Corona-Pandemie vor besondere Herausforderungen. Eine Diplom-Psychologin verrät, wie die besinnliche Zeit trotz der schwierigen Umstände positiv gestaltet werden kann.

Benningen - Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen führen dazu, dass die Adventszeit in diesem Jahr ganz anders wird, als wir es gewohnt sind. So werden Weihnachtsmärkte in den Gemeinden und Weihnachtsfeiern im Betrieb ausfallen. Zudem dürfen sich Großfamilien nicht im üblichen Rahmen treffen. Die Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin Regina Lessenthin aus Benningen gibt im Gespräch Tipps, wie wir auch in einer Corona-Adventszeit Freude empfinden können und welches Potenzial für neue Ideen in ihr steckt.

Viele Menschen sind vor den anstehenden Advents- und Weihnachtstagen traurig, weil voraussichtlich vieles verboten sein wird, was diese Zeit ausmacht. Hilft es dann, sich an der Entschleunigung zu freuen und sich darauf zu besinnen, was der eigentliche Sinn dieser Zeit ist?

Die Entschleunigung ist grundsätzlich erst einmal sinnvoll und die vom Staat beschlossenen Einschränkungen betreffen ja alle Menschen gleichermaßen. Der Haken daran ist, dass der Einzelne sich nicht freiwillig für die Einschränkungen entschieden hat. Da geht ein Stück weit Energie und Emotionalität verloren, weil jemand von außen gesagt hat: ,Du darfst das nicht‘. Das ist nicht anders als bei einer Diät oder wenn jemand zum Beispiel wegen Diabetes seine Ernährung umstellen muss. Jeder ist viel freier und hat mehr Power, wenn er für sich selbst definiert, dass er nun seltener auf bestimmte Lebensmittel zurückgreift. Genauso ist es jetzt, wenn jemand für sich bestimmt, dass er sich nun nur noch mit ausgewählten Personen trifft. Man sollte nicht auf Vorgaben warten, ab wann man wie viele Personen noch treffen darf, sondern im Rahmen der Möglichkeiten für sich selbst entscheiden, was man machen will.

Wie könnten solche Entscheidungen in der Adventszeit aussehen?

Freunde und Bekannte sollten sich nicht wie früher einfach spontan verabreden und dann erst überlegen, wozu man jetzt Lust hat. Stattdessen sollte man sich zum Beispiel mit einer Person oder einem Familienangehörigen konkret dazu verabreden, um zusammen Strohsterne zu basteln. Wer das Zusammensein mit mehreren Personen vermisst, kann sich ja auch per Videokonferenz zum gemeinsamen Plätzchenbacken oder zum Weihnachtsbaumschmücken verabreden. Paare könnten sich überlegen, nicht nur zusammen vor der Glotze zu sitzen, sondern ihr Badezimmer mit Teelichtern zu schmücken und zusammen ein Entspannungsbad zu nehmen. Je klarer die Pläne sind, umso weniger greift das Gefühl, anderen Mächten ausgeliefert zu sein.

Ist es ein Nachteil, wenn jemand solche Entscheidungen nicht für sich trifft?

Je weniger man selbst plant, desto mehr kann sich das Gefühl ausbreiten, jemand anderem ausgeliefert zu sein. Es entwickelt sich das Gefühl: Mit mir wird was gemacht. Dann entstehen Wut, Trauer oder Angst. Das kann dann ins Politische kippen, oder körperliche Defizite können sich verstärken. Wenn man etwas nicht beeinflussen kann, ist der erste Schritt immer, das zu akzeptieren und im vorgegebenen Rahmen seine Möglichkeiten zu suchen. Da gelten die Worte des alten Gelassenheitsgebetes des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr: Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Haben Sie einen Tipp für Singles oder Menschen in Altersheimen, die befürchten, dass Weihnachten dieses Jahr noch einsamer für sie wird?

Sollte es zu der Einschränkung kommen, dass man sich nur noch mit einer einzigen anderen Person treffen darf, würde ich diejenige auswählen, die am meisten Zeit hat. Also nicht gerade jemanden, der sich an Weihnachten schon um drei Kinder kümmern muss oder sogar arbeiten geht. Mit dieser Person kann man dann einfach zusammen Fernsehen oder Karten spielen. Wichtig ist allein, dass beide gemeinsam Zeit verbringen.

Viele Menschen sind traurig, weil einige Rituale wie zum Beispiel ein Weihnachtsmarktbesuch nicht mehr möglich sind.

Abgesehen davon, dass es an einigen Orten in Deutschland Drive-in-Weihnachtsmärkte gibt, kann sich jeder das Weihnachtsgefühl doch auch über andere Dinge holen, die nicht verboten sind. Man kann Weihnachtsmusik hören oder die klassischen Weihnachtsfilme wie ‚Der kleine Lord‘ gucken. Denkbar ist auch, sich die Bilder vom vergangenen Jahr anzugucken und sich Mut zu machen, dass es im nächsten Jahr sehr wahrscheinlich wieder ein normales Weihnachten wird. Der Blick in die Zukunft ist ohnehin ein weiterer wichtiger Aspekt.

Inwiefern?

Jeder sollte jetzt auch schon Pläne schmieden für den Tag X, an dem die Pandemie vorüber ist. Alle sollten sich Vorstellungsbilder entwerfen, mit wem man sich dann treffen will und wo es dann hingehen soll. Das kann zum Beispiel ein ganz besonderer Urlaub sein, schließlich haben wir bis dahin vielleicht zwei Jahre lang das Urlaubsgeld nicht verbraucht.