Mit Schlagzeuger Mikkey Dee (links) und Lemmy Kilmister ist Oliver Kämpf 1993 in Koblenz unterwegs gewesen. Foto: privat

Oliver Kämpf hat eine riesige Motörhead-Sammlung. Er pflegte außerdem engen Kontakt zu Sänger Lemmy Kilmister.

Beilstein - Sobald sich der Plattenteller dreht, tost fetter Rocksound aus den Lautsprechern. Verzerrte Gitarrenriffs mischen sich mit knarzigem Bass, schepperndem Schlagzeug und Lemmy Kilmisters heiserem Gesang. „Jailbait“ – ein typischer älterer Motörhead-Song mit einem Text, der auf einen Bierdeckel passen würde. Auf der Hülle der Schallplatte, einer ledergebundenen Sonderedition, prangt das Bandmaskottchen „Snaggletooth“. Daneben: Unterschriften der Musiker und der Schriftzug „To Oli“. Es ist mehr als ein Autogramm für einen Fan. Es ist die Widmung eines Freundes – von Lemmy Kilmister, der im Dezember verstorbenen Rocklegende, an Oliver Kämpf.

Als 15-Jähriger hatte Kämpf zum ersten Mal ein Konzert der britischen Hardrockband Motörhead besucht. „Damals habe ich jemanden mit einer Kiste Bier bestochen, damit er mich zum Gig nach Schwäbisch Hall fährt“, erinnert er sich. Die Musik ließ ihn nicht los: „Besonders die kurzen Stücke, die einfach Spaß transportieren – ich fühlte mich befreit“, sagt er. Aus dem Konzertbesuch wurde mehr: Drei Jahre später schlich sich Kämpf bei einem Gig hinter die Bühne, er hatte sich als Vorsitzender des Motörhead-Fanclubs ausgegeben. Dem Bandchef Lemmy gefiel diese Chuzpe – und Kämpf durfte fortan Backstage kommen, wann immer er wollte. Bei mehr als 100 Konzerten war er hautnah mit dabei, ging als Roadie mit auf Tour, bewegte sich frei hinter und auf der Bühne.

Vielleicht hatte Kilmister an Kämpf auch Gefallen gefunden, weil der sich nie als unterwürfiger Bewunderer gezeigt hat. „Bootlicker“, Stiefellecker, konnte der Rockstar nämlich nie leiden. Der Schwabe und der Brite hatten durchaus unterschiedliche Ansichten. „Als er mich einmal im Anzug gesehen hat, hat er mich nachgeäfft, von wegen: ,Oh, CDUUU‘“, erinnert sich Kämpf. Er ist seit 1993 Christdemokrat und war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag, Kilmister dagegen war bekennender Anarchist, der sich oft für die Legalisierung von Drogen und gegen Religion aussprach. Über die Gretchenfrage, sagt Kämpf, habe er nie mit Lemmy diskutiert: „Er hatte eben seine Wahrheit, ich meine.“

Über viele andere Dinge sprachen sie aber. Kilmister ist Kämpf als nachdenklicher, intelligenter Mensch in Erinnerung geblieben. „Wenn er in Interviews sagte, er würde jetzt aus gesundheitlichen Gründen Wodka Orange statt Whiskey trinken, so stimmte das, aber er spielte damit auch eine Rolle“, meint Kämpf. Tatsächlich sei Alkohol für Kilmister gewissermaßen „Betriebsstoff“ gewesen, er habe den Rockstar aber nie volltrunken erlebt.

Nicht jedem passte Lemmys Freund aus Deutschland. „Den Gitarristen Phil Campbell hat es wohl mal gestört, dass ich hinter der Bühne herumgehangen und gefilmt habe. Bei einem Konzert hat er versucht, mich in einen Faustkampf zu verwickeln“, erzählt Kämpf. Lemmy persönlich sei dann eingeschritten. Der Umgang mit den Rockstars brachte Kämpf in Kreise, die einen anderen Lebenswandel führten als er selbst. Als er bei einem Ex-Bandmitglied zu Besuch war und ihn um eine „Coke“ bat, verstand der das offenbar falsch. „Ich habe von dem Kokain nichts genommen“, betont Kämpf – der Musiker schon, womit der Abend gelaufen gewesen sei.

Oliver Kämpfs Blick fällt auf ein altes Foto. Es zeigt ihn mit Stuttgarter Kumpels aus der alten Zeit. Einige Jungs von damals, erzählt er, zögen die Rock-and-Roll-Nummer noch immer durch. Doch sein eigenes Leben hat sich gewandelt. Im Jahr 2004 ist der heute 43-Jährige von Stuttgart nach Beilstein zurückgezogen, er ist zweifacher Vater, als Versandhändler selbstständig und sitzt im Gemeinderat. „Irgendwann war mir der Trubel um Motörhead einfach zu viel“, sagt Oliver Kämpf. Die Band trat in riesigen Hallen auf, die „Jugendhaus-Atmosphäre“ war damit dahin. Mit dem Erfolg kamen viele Hardcore-Fans, die um die Aufmerksamkeit ihrer Idole buhlten. Kämpf war nach 2006 nicht mehr auf Touren dabei.

Seine Haare sind kürzer geworden, die Jeansweste ist einem – heute immerhin schwarzen – Hemd gewichen. „Auf dem Land findet ein Rock-and-Roll-affiner Mensch schwerer Gleichgesinnte als in der Stadt“, meint er. Mit Lemmy hielt er auch aus der Ferne Kontakt. Zuletzt schrieb Kämpf dem Rocker zu dessen 70. Geburtstag am vergangenen Heiligabend.

Vier Tage später starb Kilmister an Krebs. Lemmys Lebensstil musste irgendwann seinen Tribut fordern. „Wir wissen, was uns erwartet – eine hölzerne Kiste, Würmer und Staub. Vielleicht die Himmelspforte – ein hastiges Gebet, wenn es zu spät ist“, singt Kilmister in „No Remorse“.

An ein Leben nach dem Tod glaubte Lemmy zwar nie – aber irgendwie lebt er doch weiter: Oliver Kämpf hat im Lauf der Jahre eine riesige Motörhead-Sammlung aufgebaut. Konzerttickets, alte T-Shirts und seltene Schallplatten, für die Fans viel Geld bezahlen würden. Und an einem Ring an Kämpfs Finger funkelt ein „Ace Of Spades“, das Pik-Ass. Kämpf hat davon zwei Stück fertigen lassen. Der andere gehörte Lemmy Kilmister.