Foto: Phillip Weingand

Der Golden Retriver kommt zweimal in der Woche für eine halbe Stunde an den Kindergarten der Paul-Aldinger-Schule.

Steinheim-Kleinbottwar - Dienstag ist Alany-Tag, das wissen alle Kids aus dem Kindergarten der Paul-Aldinger-Schule. Doch die Retrieverhündin kommt erst in den morgendlichen Stuhlkreis, wenn alle ganz still sind und wie aus einem Mund „A-la-ni“ gerufen haben. Dann trottet das pelzige Tier geduldig von Platz zu Platz und lässt sich zur Begrüßung knuddeln. Jedes Kind wartet, bis es an der Reihe ist.

Für die Kinder sei das keine leichte Übung, erklärt die Fachlehrerin Sabine Schmidt. Denn die Kids, die den Kindergarten der Paul-Aldinger-Schule besuchen, haben teilweise geistige Behinderungen wie Autismus oder das Down-Syndrom oder sind stark verhaltensauffällig. „Viele haben eine maximale Aufmerksamkeitsspanne zwischen einer und fünf Minuten“, sagt Schmidt. Wenn die vorbei ist, wird schon mal über Tische gesprungen, gezankt oder gebrüllt.

Doch die Sitzungen mit Alany dauern eine gute halbe Stunde. Wie gebannt schauen fünf Augenpaare in dieser Zeit zu, ob die Hündin das im Stuhlkreis versteckte Futter findet. Und beim Streicheln und Striegeln des Tiers will jeder an die Reihe kommen. Sogar ein Autist, dem körperliche Nähe normalerweise schwerfällt, fährt mit der Hand zärtlich durch das dichte Hundefell. Behinderungen sind dem gutmütigen Vierbeiner egal: „Alany urteilt nicht“, weiß die Sonderpädagogin Schmidt. „Die Kinder spüren das. Sie fühlen sich von dem Tier angenommen, es weckt ihre Empathie.“ Dadurch können die Betreuerinnen das Sozialverhalten der Kinder beeinflussen. Etwa, wenn sich die Kinder auf den Boden legen und Alany über sie hinweg läuft. Da bleibt es ganz still im Raum, keiner rührt sich.

Natürlich laufen die Sitzungen nicht immer so glatt ab. Für den achtjährigen Hund ist das scheinbar sorglose Spiel mit den Kids richtig schwere Arbeit. Schmidt und Alany haben eine zweijährige Ausbildung durchlaufen, um als Therapiehundeteam wirken zu können. Kindergeschrei, Knuffe und Gewusel dürfen einen Therapiehund nicht aus der Fassung bringen. Dennoch: Nach den Sitzungen liegt Alany ziemlich geschafft unter dem Tisch. Dieser Platz ist für die Kids tabu, meist halten sie sich daran. Die Kinder Mitgefühl zu lehren, ist nicht der einzige Nutzen des Therapiehunds. Wenn Schmidt und Alany zum Beispiel mit sprachverzögerten Kindern das Hütchenspiel spielen – unter farbigen Bechern ist ein Leckerli versteckt – dürfen die Kids dem Hund nicht zeigen, wo das Futter liegt. Sie müssen für Schmidt die Farbe der Becher benennen und werden so zum Sprechen ermuntert. Und wenn es wenig später zum gemeinsamen Spaziergang mit dem Hund geht, ist die Meute auch leichter im Griff zu haben. „Dann sind alle immer bei Alany“, sagt Sabine Schmidt.

Hunde sind nicht die einzigen Tiere, die sich als Therapiehelfer einsetzen lassen. Weltweit sollen zum Beispiel Gelähmte auf dem Rücken eines Pferdes ein neues Körpergefühl entwickeln oder Traumatisierte ihren Schrecken mit Hilfe einer Lamatherapie überwinden. Katzen kuscheln in manchen Altersheimen mit Demenzpatienten, bei anderen Therapien werden sogar Delfine als Begleiter eingesetzt.

Alany ist zwar weniger exotisch als ein Meeressäuger, doch Sabine Schmidt ist angetan von den Erfahrungen mit ihrem Therapiehund. Seit gut sieben Jahren bringt sie ihn immer dienstags und freitags in den Kindergarten. „Anfangs gab es einige Bedenken wegen des Nutzens oder der Hygiene“, erzählt sie. Doch damit sei es schnell vorbei gewesen. Immer wieder erhält sie jetzt auch Anfragen, ob sie andere Einrichtungen besuchen könnte. „Aber ich habe hier eine volle Stelle, mehr würden wir einfach nicht schaffen“, sagt sie.

Während Alany sich von der Sitzung ausruht, wird es allmählich wieder lauter unter den Kindern. Doch Sabine Schmidt erzählt, die Erlebnisse mit dem Hund blieben ihnen durchaus länger im Gedächtnis. Auch dann, wenn sie schon auf die Schule gehen. „Ein Mädchen aus der Paul-Aldinger kommt fast täglich vorbei und fragt, ob sie Alany besuchen kann“, sagt Schmidt. Das ist zwar für die Schulkinder kaum mehr möglich – doch das Ziel, in den Kindern Empathie zu wecken, ist ganz offensichtlich erreicht.