Selbst unter der Zimmerdecke zieht eine Modelleisenbahn ihre Kreise. Foto: Michael Raubold Photographie

Walter Ziegler ist seit seiner Kindheit begeisterter Sammler und hat sogar im Garten Schienen verlegt.

Murr - Mit großen Augen stehen die Kinder am Gartenzaun. „Wenn der Kindergarten hier auf dem Weg zur Murraue vorbeikommt, muss ich immer die Eisenbahn fahren lassen“, freut sich Walter Ziegler. Seit seiner Kindheit ist der 79-Jährige aus Murr begeisterter Modelleisenbahnfan.

Der Beginn war aber nicht einfach. Schon mit einem Jahr war Walter Ziegler Halbwaise. „Das Geld war immer knapp.“ Die Modelleisenbahn blieb ein Traum, bis der Onkel, der bei Märklin geschafft hat, eine Lok und einen kleinen Kreis Schienen mitgebracht hat. „Da hat’s noch keinen Trafo gegeben, wir haben uns einen Klingeltrafo umgebaut.“ Als Schlosser hat Walter Ziegler das Tüfteln quasi im Blut, alle seine Brücken, Plattformen und Tunnels hat er selbst gesägt, geschweißt und gebohrt. Auch die komplette Elektrik ist aus seiner Hand. Im „Eisenbahnzimmer“ sind auf 16 Quadratmetern 27 abfahrbereite Züge untergebracht, 40 Weichen, vier Trafos und Hunderte von Kabeln steuern das rasante Hin und Her. „Manchmal gibt’s auch Unfälle, aber das ist nicht weiter schlimm“, gibt der Rentner mit kindlichem Vergnügen zu.

Mit den Söhnen Steffen, Jörn und Markus, der zeitweise VfB-Profi war, startete Ziegler durch. „Die waren ebenso begeistert wie ich.“ Jetzt freuen sich die sieben Enkel an der großen Gartenbahn im Maßstab 1:32 oder Spur 1, der größten im Modellbau. Die Gefährte sind dabei richtig handfest. Die „94“, eine der ältesten von rund 20 Spur 1-Loks, wiegt rund 15 Kilogramm. Zum „Einspuren“ hat sich Ziegler eine Rampe aus Holz gebaut, damit die acht oder mehr Räder sicher die Gleise treffen.

Mit seiner Gartenbahn ist Ziegler in Murr eine „kleine Berühmtheit“. Aufsehen bei Freunden und Bekannten erregt aber auch die Eisenbahn unter der Wohnzimmerdecke. „Das Rattern ist entspannend“, meint Ziegler beinahe entschuldigend. Seine Frau habe ihn auf die Idee gebracht, als sie gemeinsam im Bahnhof Konstanz eine Modelleisenbahn unter der Decke fahren gesehen haben. Nun zieht die Lok „Krokodil“ einen Güterzug mit Wagen von Steiff, Bärenmarke, Kessler Sekt, Löwenbräu, Haribo und der Säugling-Fürsorge der Stadt Berlin durchs Wohnzimmer. Der Trafo für die Abfahrt hängt an der Wand. Alles ist genau ausgemessen. Die acht maßgesägten Holzelemente mit Geraden und Kurven sind sauber direkt an der Zimmerdecke aufgehängt.

Es gibt immer was zum Werkeln. „Geduld und praktische Begabung gehören schon dazu“, meint Walter Ziegler. Seine Frau Heike liest gern und strickt derweil Socken, wenn ihr Mann mit der Eisenbahn beschäftigt ist. „No isch’er aufg’räumt“, meint die Frau des Hauses zu dem „schönen Hobby“ ihres Gatten. „Das ist doch prima, wenn es ihm Spaß macht.“ Zu Geburtstagen wissen alle, was sie ihrem Walter schenken können: „Da gibt’s Spenden.“ Der Traum zum anstehenden 80. wäre der große „Big Boy“ der Union Pacific Railway, den Ziegler schon in der zweitgrößten Ausgabe H0 im Schaukasten in seinem Wohnzimmer stehen hat.

Im Berufsleben hatte Walter Ziegler wenig Zeit für sein Hobby, zumal er auch Kegler war und seine Söhne regelmäßig zum Fußball begleitet hat. Aber allen war klar: „Sonntag ist Fahrtag.“ Immer kam etwas Neues dazu. Die „kleinen“ Modelle, von denen Ziegler über 100 teilweise originalverpackte Züge hat, fahren in einer liebevoll gestalteten Landschaft, die notwendigerweise von 44 auf 16 Quadratmeter verkleinert werden musste, damit die Enkel ein Gästezimmer haben, das sie Besuchern des Hauses – und natürlich der Eisenbahn – mal anbieten konnten.

Über den Tunneln wachsen Reben. Die „Weinberge“ hat Ziegler liebevoll mit Zahnstocher und Leim „angepflanzt“, der Baden-Badener Bahnhof steht auf Stelzen, die Schwarzwaldklinik und das Märchenschloss Lichtenstein leuchten im Dunkeln, ganze Städte und Dörfer sind am Horizont aufgebaut. Nur das Steinheimer Rathaus hat einen Ehrenplatz, das steht direkt im Wohnzimmer.

Wie von Geisterhand fahren die Züge aus dem unterirdischen „Schattenbahnhof“, bis zu fünf Züge düsen auf den verschiedenen Ebenen gleichzeitig umher. Ein selbst gezeichneter Gleisplan hilft, beim korrekten Ein- und Ausparken den Überblick zu behalten. „Bis alle 27 Züge durchgefahren sind, vergehen zwei Stunden“, beschreibt Ziegler das ehrgeizige Programm, das die Enkel samt dem obligatorischen Halt am Bahnhof immer bis zum Ende durchziehen wollen.

TGV, ICE und Loks der DB Cargo ziehen ihre Last. Walter Ziegler ist ganz in seinem Element. „Erst ist er unten, dann dreht er und kommt wieder hoch.“ Am Berg haben die Lokomotiven bei bis zu sieben Prozent Steigung kräftig zu schnaufen. Prompt entgleist ein langer Güterzug in der Kurve. „Das ist der Vorführeffekt“, meint der Modelleisenbahner, klappt die eigens konstruierte Brücke hoch und stellt die Waggons wieder ins Gleis.

Auf dem Weg durch den Keller staunt man über 1500 Modell-Trucks, auch eine Sammelleidenschaft von Walter Ziegler. Die Gartenbahn startet im Wintergarten, der fast vollständig vom Bahnhof – hier ist es das Neuffener Modell – belegt ist. Mit zwei Klappen ist die Ein- und Ausfahrt möglich. „Die Gartenbahn fährt sogar im Winter, wenn man den Schnee gleich wegfegt, ist Ganzjahresbetrieb möglich.“ Nur bei Regen muss der Bahnbetrieb ruhen, sonst macht die Elektrik Mucken.

Die Lok 99 651 der Bottwartalbahn ist gerade in Reparatur, aber „Jenny“ oder die badische Dampflok P8 ziehen ihre Runden über die drei Spuren samt Rondell. 20 Weichen lenken die Züge in die richtige Richtung über die selbst gebauten Brücken an der Murrer Peterskirche vorbei, auf der sogar Störche brüten, in malerische Landschaften mit sattem Grün und einem klappernden Mühlrad.