Robert Kühn hat freie Sicht durch den fast laublosen Herbstwald. Foto: Phillip Weingand

Wie jeden Herbst finden im Bottwartal Drückjagden statt – für manche ein „blutiges Hobby“, für andere nötiger Naturschutz.

Marbach/Bottwartal - Ein Rascheln im Laub. In der Stille des Waldes klingt es fast laut. Kreisjägermeister Robert Kühn schaut auf und greift zum Fernglas: „Rehgeiß“, flüstert er. Das Tier ist nicht allein, es hat drei Kitze. Im Hochstand, neben Kühn, steht sein Drilling. Die Waffe ist prächtig graviert: R. K., seine Initialen. Jeder Lauf verschießt andere Munition: 16er Schrot, 7 x 65-Millimeter- und 5,6 -Millimeter-Kugeln. Doch die Büchse bleibt stumm. „Wenn ich diese Geiß jetzt schieße, gehen ihre Kitze im Winter zugrunde. Und das wäre unwaidmännisch“, sagt der 75-jährige Jäger. Nicht alle denken so wie Kühn: „Wilde Schießer“, wie er sie nennt, „kann ich aber gar nicht brauchen.“

Ein paar hundert Meter weiter hallen bald Rufe, Klopfen, Stampfen durch die Bäume. Die Treiber nähern sich. Eine Linie junger Männer bewegt sich grell gekleidet durchs Gehölz. Lautstark schlagen sie ihre Kultursicheln gegen Bäume, hacken sich durch die Sträucher. Sie sollen das Wild aufscheuchen, einer der 23  Flinten entgegen. Einer schnuppert: „Hier riecht’s nach Maggi-Wildsau“, sagt er. Tatsächlich: Bald springt ein Borstentier auf und davon – für die Jäger in die falsche Richtung.

Szenen wie diese bei Rielingshausen spielen sich gerade im ganzen Bottwartal ab. Der Herbst ist die Zeit der großen Drückjagden. Kein Laub oder Gras verdeckt die Sicht, das Wild ist noch gut genährt. Schilder warnen Spaziergänger, Schüsse peitschen durch den Hardtwald.

Nicht alle Herzen lachen bei Hundegebell und Hörnerklang. Die Tierschutzorganisation Peta etwa bezeichnet die Jagd auf ihrer Webseite als „unfaires Spiel“. Der Naturschutz sei lediglich Vorwand, um einem „blutigen Hobby“ nachgehen zu können. Dieser Vorwurf wird im Bottwartal kaum geteilt. Mit „übertriebenem Jagdgetue“, so Linke-Sprecher Walter Kubach, könne er zwar wenig anfangen. Doch er findet es wichtig, dass die Wildschäden durch Jagd vermindert werden. Joachim Lösing, Vorstandsmitglied des BUND Marbach-Bottwartal, begrüßt die Drückjagden sogar ausdrücklich. Eine groß angelegte Jagd sei für die Tiere „besser als ständige Einzeljagd“. Voraussetzung dafür sei, dass sie nicht in der Schonzeit und nicht in geschützten Gebieten stattfinde – und dass die Jäger gut schießen. „Viele können das leider nicht“, so Lösing, der betont, einige Freunde unter ihnen zu haben.

Manfred Hollenbach, CDU-Landtagsabgeordneter und ehemaliger Bürgermeister von Murr, nimmt öfters an Jagden teil – wenn auch nicht als Schütze. „Allein schon die Natur zu genießen und das Verhalten der Tiere zu beobachten, fasziniert mich“, sagt er. Die Jagd an sich sei „dringend notwendig“, schließlich nähmen Jäger vor allem kranke Tiere aus dem Kreislauf und achteten so darauf, dass das natürliche Gleichgewicht erhalten bleibe.

Die Jäger sehen sich selbst als Bewahrer der natürlichen Balance – und einer langen Tradition. „Schon meine Großväter haben gejagt“, erzählt Robert Kühn. Als Jugendlicher hat er auf der Schwäbischen Alb gelebt, wo das Adelsgeschlecht von Thurn und Taxis seine Jagden abhielt. Durch das Fenster beobachtete der junge Robert, wie bei Fackelschein die Strecke gelegt wurde, und war fasziniert. Damit ist er nicht alleine: Die Zahl der Jäger im Landkreis schätzt er heute auf knapp 1000.

Wildschweine schießt die Rielingshäuser Jagdpartie am vergangenen Samstag keine. Etwas enttäuscht verkündet Jagdpächter Alfons Spiller: „Drüben in Marbach haben sie 17 Sauen geschossen.“ Auch an anderen Orten im Bottwartal ist die Jagd auf das Schwarzwild erfolgreicher gewesen. In Pleidelsheim haben Jäger sechs Schwarzkittel erlegt, in Oberstenfeld und Großbottwar jeweils fünf. In Rielingshausen liegen am frühen Nachmittag immerhin zwei Rehkitze auf der Strecke. Die Abschussquote für Rehwild umfasst zur Hälfte Jungtiere. Das soll den Bestand der Rehe in der Zukunft begrenzen und Bäume vor Fraß schützen.

Nach der eigentlichen Jagd beginnt wieder eine jahrhundertealte Zeremonie. An Ort und Stelle werden die dampfenden Tierkörper ausgeweidet – aufgebrochen, wie der Jäger sagt. Das verhindert, dass der Pansen anfängt zu gären. Blut tropft auf trockenes Herbstlaub. Ein Tannenzweig, der sogenannte Aneignungsbruch, verdeckt die Schussverletzungen. Im Maul, das die Jäger Äser nennen, trägt jedes Tier noch einen Zweig: Der symbolische letzte Bissen. Die Schützen stecken sich einen blutbenetzten Schützenbruch an den Hut.

Dann stellen sich die Hornbläser auf und spielen das Signal „Reh tot“. Die Augen der Umstehenden leuchten. In einer Woche wird im Kälbling gejagt, einige sehen sich dort wieder. Im nächsten Jahr werden auch wieder Büchsen und Hörner durch den Rielingshäuser Hardtwald schallen.