Der Alltag im Pflegeheim ist eine Herausforderung. Foto: Phillip Weingand

In der Altenpflege fehlen Fachkräfte. Dabei erleben Pfleger im Alltag neben den Herausforderungen auch viel Freude.

Marbach/Bottwartal - Ein kurzes Klopfen, dann tritt Bianca Becker ein. „Guten Morgen, Frau Kerner“, weckt sie die alte Dame. Käthe Kerner (Name von der Redaktion geändert) ist seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und braucht Hilfe im Alltag. Jetzt, um halb acht, steht die Grundpflege an. Vorsichtig und doch beherzt hebt die zierliche Altenpflegerin die Dame in den Rollstuhl und schiebt sie ins Bad. Kaum sind die beiden fertig, steht schon die Zimmer-Nachbarin mit ihrem Rollator vor der Türe. Sie holt Käthe Kerner ab: „Na, fahren wir zum Frühstück?“ Dann rollen die beiden Damen los. Wie jeden Tag.

Szenen wie diese im Beilsteiner Haus Ahorn wird es in Zukunft häufiger geben. Die Gesellschaft wird älter. Der Beruf des Altenpflegers wird wichtiger, doch nur wenige junge Menschen schlagen diesen Weg ein. Gründe gibt es viele. Einer davon: Der Job ist emotional nicht leicht. Wichtig ist die richtige Balance zwischen menschlichem Mitgefühl und angemessenem Abstand. Die Pfleger sind dabei, wenn die Senioren in den Heimen ihren Alltag meistern, Feste feiern – und irgendwann für immer Abschied nehmen. „Jeder hat seine Grenze, an der er Dinge nicht weiter an sich heran lässt“, erklärt Altenpflegerin Sandra Wilewski. „Bei mir sind es Beerdigungen. Egal, wie viel mir ein Bewohner bedeutet hat, da gehe ich nicht hin.“

Aber es gibt nicht nur Geschichten des Abschieds. Sondern auch kleine Fortschritte im Alltag – ein dankbares Lächeln, ein selbst angezogenes Hemd. Oder etwas, das sogar ein Arzt als „Wunder“ bezeichnet: Eine Dame kommt als schwerer Pflegefall ins Haus Ahorn. Einige Monate später gehört sie zu den aufgewecktesten Bewohnern. „Manchmal will das Leben einfach zurück“, beschreibt der Mediziner.

Trotzdem: Die Arbeit im Heim birgt Herausforderungen, auch körperliche. Bei der Grundpflege kommen die Pfleger ihren Klienten sehr nahe – das kostet beim ersten Mal für beiden Seiten Überwindung. Bianca Becker geht damit locker um: Während sie den Körper der Bewohnerinnen wäscht, plaudert sie munter mit ihnen, nimmt der Situation damit die Peinlichkeit. Rosemarie Medak, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi, hebt jedoch einen anderen Punkt hervor: „Ein Pfleger muss seine Schützlinge beim Umbetten auch hochheben können.“ Das geht auf den Rücken. Mit 55 Jahren geben laut Medak viele auf – in diesem Alter keine leichte Entscheidung.

Je weniger Fachkräfte auf dem Markt sind, desto mehr Arbeit bleibt an den restlichen examinierten Pflegern hängen. Überstunden fallen an, freie Tage flach. „Am Mangel wird sich nicht viel ändern, solange Bezahlung und Arbeitskonditionen so unattraktiv bleiben“, moniert Medak. Pfleger im ersten Jahr verdienen pro Monat knapp 2200 Euro brutto –  wenn der Arbeitgeber Tariflohn zahlt. Hinzu kommen Zuschläge für Schicht- und Nachtdienst. Wer 15  Jahre Schichtarbeit übersteht, bekommt knapp 3000 Euro brutto.

Das Geld ist nur ein Grund, warum wenige junge Menschen Altenpfleger werden wollen. Walter Lees, Geschäftsführer der Kleeblatt-Heime, nennt die Bezahlung „nicht schlecht im Vergleich zu anderen Berufsgruppen“. Er sieht andere Punkte, die das Pflegerleben schwer machen. Etwa die Bürokratisierung. „Die Zeit, in der man am PC sitzt, statt sich um Klienten zu kümmern, hat massiv zugenommen“, sagt er.

Immer mehr Heimleitungen in Deutschland greifen auf Leiharbeiter zurück. Laut Agentur für Arbeit ist deren Zahl im Pflegebereich von 2005 bis 2011 um das vierfache gestiegen. Walter Lees bestätigt, dass in den Kleeblatt-Heimen Leiharbeiter zum Einsatz kommen: „Allerdings nur im Ausnahmefall. Wir bewegen uns da im ein- oder zwei-Prozent-Bereich.“ Ausgeliehen würden nur Fachkräfte – „alles andere wäre Preisdrückerei“. Johanna Spahr, Pflegedienstleiterin im Haus Ahorn, räumt ein, dass ihr Heim mit einem Personaldienstleister zusammenarbeitet, auch für Hilfskräfte. „Aber mit dem Ziel, diese auch zu übernehmen“, betont sie.

Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Quote von 50 Prozent an ausgebildeten Pflegern. Die Kleeblattheime liegen mit fast zwei Dritteln examinierter Pfleger deutlich darüber. „Weniger wollen wir eigentlich nicht haben“, meint Walter Lees. Johanna Spahr vom Haus Ahorn hält eine Quote dagegen für unnötig. „Um die zu erfüllen, muss ich Fachkräfte oft für Arbeiten am Pflegebett einsetzen. Vieles davon könnten auch menschlich kompetente Hilfskräfte wunderbar erledigen.“ Auch Rosemarie Medak von Verdi hält die Quote nicht für ein Allheilmittel: Heime seien zu unterschiedlich für eine generelle Vorgabe.

In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Die Gesellschaft muss die Altenpfleger mehr wertschätzen. Die Verdi-Frau Rosemarie Medak sieht die Politik in der Pflicht und hofft, dass das Thema in den Wählerköpfen so präsent wird, dass Parteien sich ihm annehmen müssen. Ein langer Prozess. Um kurzfristig an Fachkräfte zu kommen, werden die auch aus dem Ausland geholt. Die Kleeblatt-Heime bilden derzeit junge Spanier aus. „Die sagen, dass der Status von Pflegeberufen in ihrer Heimat viel höher ist“, so Lees.

Es gibt auch andere Zukunftsvisionen. Im Foyer des Haus Ahorn steht ein „Pflegeroboter“, Angestellte haben ihn aus Karton und Alufolie gebastelt. Er soll auf ironische Weise zeigen, wer im Jahr 2050 ihren Job übernehmen könnte. Doch noch gibt es Hoffnung. Sie heißt – unter anderem – Steven Biney. Der 23-jährige Kleinbottwarer hat im August seine Pflegerausbildung begonnen. „Klar, Schichtarbeit ist eine echte Umstellung“, sagt er. „Aber wenn ich mir vorstelle, eines Tages aufzuwachen und Hilfe zu brauchen – dann wünsche ich mir auch, dass jemand da ist.“ Dann muss Biney weiter, eine demente Bewohnerin im Erdgeschoss braucht ihre Grundpflege.