Lukas Stökle (links) und Michael Markievicz hatten eigentlich andere Pläne. Jetzt haben sie sich für die Pflegerausbildung entschieden. Foto: geschichtenfotograf

Das Haus am Wunnenstein hat zwei ungewöhnliche Azubis: Einer hatte eigentlich andere Pläne, der andere schult mit 47 Jahren um.

Großbottwar-Winzerhauseen - Lukas Stökle spricht der alten Dame direkt ins Ohr – er ruft es eigentlich schon: „Müssen Sie auf die Toilette?“ Die schwerhörige Seniorin verneint und ruft zurück: „Aber dätet sie en Rollstuhl a paar Zentimeter vom Tisch weg?“ Schon passiert, Stökle und sein Kollege Michael Markievicz machen weiter die Runde, um nachzusehen, wer im Aufenthaltsraum des Hauses am Wunnenstein noch etwas auf dem Herzen hat. Ein Herr streckt ihnen stolz ein Vergrößerungsglas entgegen: „I hab’s wiederg‘funda.“ Die beiden Azubis freuen sich mit ihm: Sie wissen, wie wichtig die Lupe dem Mann ist. Er hat sie immer dabei. Falls mal Post kommt.

Stökle hat seine dreijährige Ausbildung zur staatlich examinierten Altenpflegefachkraft vor einem Jahr begonnen, sein älterer Kollege Markievicz ist seit Oktober da. Beide hatten eigentlich etwas anderes vor: Der 21-jährige Stökle kam für seinen Bundesfreiwilligendienst als Haustechniker ins Haus am Wunnenstein der Karl-Schaude-Stiftung und wollte eigentlich nichts mit der Pflege zu tun haben. „Vielleicht wegen des Vorurteils, das alle haben – dass Pflege halt nur Hintern abputzen bedeutet“, meint er. Doch der Geschäftsführer Thomas Wieland überredete ihn, die Arbeit an den Hausbewohnern einmal auszuprobieren. Und Stökle fand Spaß daran. An seine Ausbildung will er noch ein Studium hängen. Pflegemanagement und BWL.

Michael Markievicz ist 47 – ein ungewöhnliches Alter für einen Azubi. Er hat als Masseur und Bademeister gearbeitet, doch seit einem Motorradunfall fehlt ihm die zum Massieren nötige Kraft in den Fingern. „Ich hatte schon oft in Pflegeheimen behandelt, die Arbeit mit den Älteren hat mir immer gefallen“, erzählt Markievicz. Also wechselt er in die Pflege: „Einen Schreibtischjob könnte ich nie machen.“

Die Menschen werden immer älter, die Zahl der Pflegebedürftigen wächst. Laut Statistischem Bundesamt werden im Jahr 2050 rund vier Millionen Menschen in Deutschland Pflege brauchen – drei Viertel mehr als heute. Der Bedarf an Altenpflegern steigt also und kann schon heute kaum gedeckt werden: Im vergangenen Jahr kamen laut einer Analyse der Arbeitsagentur auf 100 freie Stellen jeweils 39 arbeitslose Fachkräfte.

Der Karl-Schaude-Stiftungs-Geschäftsführer Wieland glaubt nicht, dass der Mangel nur am Pflegergehalt liegt: „Bei der Bezahlung hat sich in den letzten Jahren viel getan. Eine ausgelernte Fachkraft verdient rund 2500 Euro brutto, nach ein paar Jahren 3000 plus Zuschläge.“ Trotzdem verdienen Altenpfleger laut verschiedenen Studien deutlich weniger als ihre Kollegen in der Krankenpflege. Um solchen Unterschieden entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung im Januar einen umstrittenen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Ausbildung von Kranken- und Altenpflegern vereinheitlichen soll. Ob dadurch mehr Menschen eine Ausbildung in der Altenpflege beginnen, ist fraglich.

Eine weitere Schwierigkeit: Nicht jeder Mensch taugt als Altenpfleger. „Pflege ist mehr als satt und sauber. Man muss jedem das Gefühl geben, dass er hier zu Hause ist“, erklärt Wieland. Ein Pfleger muss die richtige Balance finden, zwischen Einfühlungsvermögen und Zupacken, zwischen vertrautem Umgang und Loslassen-Können. Die Bewohner des Hauses am Wunnenstein sind zwar mit durchschnittlich 65 Jahren ungewöhnlich jung für ein Pflegeheim – viele von ihnen haben psychische Erkrankungen, oft in Verbindung mit Folgen von Alkoholsucht. Doch der Tod ist ein ständiger Begleiter. „Neulich ist ein Bewohner gestorben, der hier Legendenstatus hatte“, erinnert sich Lukas Stökle. „Das war schon ein komisches Gefühl.“ Dabei, mit solchen Erlebnissen umzugehen, helfen Schulungen und ein intaktes privates Umfeld.

Es sind nicht nur Geschichten von Tod und Zerfall, die bei den Pflegern hängen bleiben. „Manchmal erlebt man auch, wie Menschen hier wieder aufleben“, erzählt Stökle. So könne es sein, dass jemand im Rollstuhl oder bettlägrig ankomme und sich nach einiger Zeit wieder aufrichte oder sogar einige Schritte gehen könne. „Man bekommt von den Bewohnern unheimlich viel Dankbarkeit zurück“, meint sein Kollege Michael Markievicz.

Ihr Chef Thomas Wieland hofft, dass Erfahrungen, wie sie seine Azubis machen, sich immer mehr herumsprechen und den Leuten bewusst wird, dass der Pflegerjob zwar nicht leicht sein mag – aber dass er definitiv mehr bedeutet als nur Hintern zu putzen.