Lothar Ramsperger schnürt gerne den Rucksack und wandert. Foto: Werner Kuhnle

Lothar Ramsperger wird mit nur einer Niere geboren. Seine Schwester hat dem Großbottwarer im September ein Organ gespendet. Beiden geht es gut.

Großbottwar/Höpfigheim - Ginge es nach Silvia Göhrich würde ihre Geschichte nicht öffentlich gemacht. Zum einen, weil es für die 56-Jährige selbstverständlich war, ihrem Bruder eine Niere zu spenden. Zum anderen, weil sie auf keinen Fall möchte, dass irgendjemand denken könnte, sie wolle sich in den Vordergrund spielen. Doch Lothar Ramsperger kann hartnäckig und mindestens genauso überzeugend sein. Auch ihm geht es nicht darum, seine Lebensgeschichte an die große Glocke zu hängen. Der 64-Jährige will wachrütteln und Menschen zum Nachdenken bringen. Zum Nachdenken darüber, wie sie anderen helfen können. Wie sie Leben retten können.

Als Lothar Ramsperger 34 Jahrealt ist, bemerken Ärzte, dass er rechts keine Nierenfunktion hat. Eine Computertomografie bringt die Bestätigung: Der Großbottwarer wurde mit nur einer Niere geboren – wie ein Onkel und eine Nichte. „Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Einschränkungen in meinem Leben. Ich fühlte mich gesund, hab’ als junger Mann sogar Handball gespielt“, erinnert er sich. Mit nur einer Niere leben – kein Problem.

Als der Großbottwarer 40 Jahre alt ist, spricht der Arzt zum ersten Mal davon, dass es irgendwann einmal nicht mehr ohne Dialyse gehen wird. Es folgen halbjährliche Kontrollen. Mit 55 verschlechtern sich die Kreatininwerte. Der Kontrollrhythmus verkürzt sich auf zwei Monate. 2013 macht sich der begeisterte Wanderer auf den 320 Kilometer langen Jakobsweg. Nach der Tour sind die Werte besser – um danach schlagartig in den Keller zu fahren. „Da war klar, dass es ohne Dialyse nicht mehr geht“, sagt er.

Von den Ärzten im Robert-Bosch-Krankenhaus lässt er sich die zwei unterschiedlichen Dialysearten erklären – und entscheidet sich für die so genannte Bauchfelldialyse, bei der das Bauchfell als Blutfilter eingesetzt wird. Von Januar an verwandelt der 64-Jährige stundenweise die eigenen vier Wände in ein kleines Krankenhaus. Vier Mal am Tag – um 8, 12,16 und 20 Uhr – führt er sich über einen Katheter zwei Liter Dialyseflüssigkeit in die Bauchhöhle ein. Nach einigen Stunden wird sie mit den Harnbestandteilen wieder ausgelassen. Während der Behandlung muss der Patient einen Mundschutz tragen.

Körperlich geht es dem 64-Jährigen in dieser Zeit „relativ gut“. Er gewöhnt sich auch an die Einschränkungen. In den Urlaub fliegen geht nicht, auch länger als ein paar Tage wegfahren ist nicht drin. „Ich habe ja pro Tag vier Zwei-Liter-Beutel gebraucht und da ist der Kofferraum schnell voll“, erklärt der Großbottwarer. Auf Familienfeste nimmt er seine Utensilien mit und zieht sich in eine ruhige Ecke zurück.

Die Familie – für Lothar Ramsperger ein wichtiger Anker. Fünf Schwestern hat er. Drei von ihnen signalisieren dem Bruder zu einem sehr frühen Zeitpunkt, dass sie bereit sind, ihm eine Niere abzugeben – sollte es einmal erforderlich sein. Eine von dreien scheidet wegen zu schlechter Werte aus, die anderen zwei lassen sich im November 2014 untersuchen. Beide kommen als Spender in Frage. Bei Silvia Göhrich stimmen jedoch nicht nur die wichtigen Parameter, sondern auch noch die Blutgruppe. „Ich habe wie mein Bruder die Blutgruppe 0, meine Schwester nicht, deshalb war klar, dass er meine Niere bekommt“, erzählt sie.

Im April dieses Jahres lassen sich die Geschwister an der Uniklinik in Tübingen intensiv untersuchen. „Das Wichtigste bei Lebendspenden ist, dass der Spender zu 100 Prozent gesund ist“, sagt Lothar Rampserger. Schwester Silvia ist gesund und bekommt von den Medizinern grünes Licht. Das letzte Wort hat jedoch die Ethikkommission. Ein Richter, ein Psychologe und ein Arzt nehmen Silvia Göhrich in die Mangel. „Man darf nicht bezahlt werden und man muss absolut freiwillig spenden“, erklärt die Höpfigheimerin. Etwa 20 Minuten lang wird sie befragt und beobachtet. Fünf Minuten nach der Befragung erteilt die Kommission schon das Okay.

Da kein Zeitdruck besteht, legen die Geschwister den Eingriff auf Ende September. Länger als ein halbes Jahr sollte zwischen den Untersuchungen und der Transplantation nicht liegen. „Sonst müsste man alles noch einmal kontrollieren, um sicher zu gehen, dass die Werte noch gut sind“, berichtet die 56-Jährige.

Am 25. September schenkt Silvia Göhrich ihrem Bruder dann ein zweites Leben. „An dem Tag wurde ich neu geboren“, sagt Lothar Ramsperger, dem es kurz nach der Operation bereits wieder erstaunlich gut geht. „Zwei Tage nach der OP war mein Nierenwert schon wieder wie bei einem gesunden Menschen.“ Nur Schwester Silvia fühlt sich in den ersten drei Tagen nach dem Eingriff „bescheiden“. Was , wie ihr die Ärzte hinterher sagen, normal ist. Nach sechs Tagen darf sie die Klinik verlassen. Bruder Lothar nach vier Wochen.

Alle vier Wochen muss er seine Werte im Robert-Bosch-Krankenhaus kontrollieren lassen. Die Gefahr einer Abstoßung ist im ersten Jahr immer präsent. „Das Immunsystem muss runtergefahren werden, um eine Abstoßung zu vermeiden“, berichtet der 64-Jährige. Das wiederum hat Auswirkungen auf den Alltag. „Ich darf kein rohes Fleisch, keinen rohen Fisch und keine rohe Wurst essen. Auch frischer Salat kommt wegen der möglichen Keimbelastung nicht auf den Teller. Und eine Hand geben darf ich meinem Gegenüber auch nicht.“ Lothar Rampsberger ist konsequent und hält sich strikt an die Vorgaben der Ärzte. „Meine Schwester hat so viel auf sich genommen, schon allein deshalb will ich nichts aufs Spiel setzen“, sagt der Großbottwarer. „Ich bewundere und achte sie für das, was sie getan hat.“

Für Silvia Göhrich war die Spende selbstverständlich. Keinen Moment hat sie gezögert. Auch sie muss in der ersten Zeit noch engmaschig untersucht werden – später dann einmal jährlich. Ihr Leben lang. Ihren Bruder so lebendig und glücklich neben sich sitzen zu sehen und zu wissen, dass er verantwortungsvoll mit ihrer Niere umgeht, ist für die Höpfigheimerin aber das schönste Geschenk. Nächstes Jahr soll Lothar Rampsergers neues Leben mit einer großen Party gefeiert werden. „Und vielleicht“, so hoffen die Geschwister, „gibt unsere Geschichte ja einigen Menschen zu denken.“