Foto: Dominik Thewes

Früher haben Seefahrer Stockfisch mit auf ihre Reisen genommen. Heute ist er eine Köstlichkeit, die Apollinia Paiano an ihre italienische Heimat erinnert.

Benningen - Als Apollinia Paiano eine junge Frau war, hat sie sich eines ganz fest vorgenommen: Sie würde nie eine dieser typisch italienischen Mamas werden, die stundenlang in der Küche stehen, nur um die Familie zu verwöhnen. Es klingt jede Menge Stolz mit, wenn die heute 62-Jährige beherzt in der Pfanne rührt und dabei mit einem Lachen zugibt: „Genau das ist aus mir geworden!“ Längst hat sie das Kochen für sich entdeckt. Und sie macht es nicht nur gerne, sondern auch „sehr, sehr gut“, wie Tochter Anna Maria Lo Bello anerkennend bestätigt. Wenn sie mit ihrem Gatten Enzo, ihren zwei Brüdern Raffaelo und Gian Luca sowie dessen Ehefrau Paola und den drei Enkelkindern Davide, Enrico und Carla am Wochenende zu Besuch sind, haben Apollinia Paiano und ihr Mann Guiseppe zehn hungrige Münder am Tisch sitzen. Hat die Familie Glück, gibt es Stockfisch. Ein Gericht, „das typisch ist für die Region, aus der ich komme“, sagt Apollinia Paiano. In ihrer Heimat im süditalienischen Apulien gehört das luftgetrocknete Fischfleisch – meistens Kabeljau oder Seelachs – unbedingt auf die Speisekarte.

Als Apollinia Paiano 1962 nach Deutschland kam, war an die Spezialität nicht zu denken. Auberginen, Artischocken, selbst Paprika musste die Familie aus dem Heimaturlaub mitbringen, weil all das hierzulande noch nicht sehr verbreitet war. Heute hat es die temperamentvolle Frau wesentlich leichter. Sie muss nur schnell drei Häuser weiter zu Schwiegersohn Enzo gehen, der in der Benninger Studionstraße einen italienischen Feinkostladen betreibt. „Zwischen Weihnachten und Ostern wird bei uns viel Stockfisch nachgefragt“, berichtet Tochter Anna Maria.

Was heutzutage ein beliebtes Winteressen ist, war früher teils überlebenswichtig. Zu einer Zeit, in der es noch keine Kühlmöglichkeit gab, wurde der Fisch durch die Trocknung und das Einlegen in Salz haltbar gemacht. Die großen Seefahrernationen haben damit ihre Helden für die oft monatelangen Reisen auf den Ozeanen dieser Welt ausgestattet. Der getrocknete Fisch ist aber auch fernab der Küste auf großes Interesse gestoßen. Weil er leicht konservierbar ist, hat er sich auch auf dem Festland schnell verbreitet.

Allerdings hat der Stockfisch seinen Ruf als Arme-Leute-Essen inzwischen verloren. Der Kabeljau wird auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN als „gefährdet“ geführt. Der starke Rückgang der Bestände hat den Preis ansteigen lassen. Die Fanggründe für den Kabeljau oder Dorsch liegen vor allem im Atlantik und der Nordsee. Er kommt aber entlang der Ost- und Nordküste von Nordamerika ebenso vor wie entlang der grönländischen Küsten und von der Biskaya bis hinauf zum arktischen Meer, wie der World Wide Fund For Nature (WWF) berichtet.

Wer Stockfisch zubereiten will, braucht vor allem Zeit. Vor drei Tagen hat Apollinia Paiano den Fisch in Stücke geteilt und ihn in Wasser eingelegt. Zweimal täglich, morgens und abends, hat sie es durch Frisches ersetzt. Nur ein ordentlich gewässerter Fisch wird weiterverarbeitet. „Baccalá al Pomodoro“ heißt das Gericht, das sich die Benningerin für heute vorgenommen hat: Stockfisch mit Tomate. Als sie die kleinen Cocktailtomaten halbiert, ergreift ein Duft von der offenen Küche Raum, der einem allein schon das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Die Masse wird mit zwei Knoblauchzehen zum Kochen gebracht. Wichtig dabei ist, den Knoblauch „mit Camicia in die Pfanne zu geben“, erklärt Apollinia Paiano. Das italienische Wort für Mantel beschreibt, dass die äußere Schale an der Zehe bleibt, damit diese nur ihr Aroma abgibt. „Die ganze Zehe kommt später wieder aus der Pfanne, so verhindert man einen zu starken Knoblauchgeschmack und den Geruch.“ Auch in Sachen Salz ist die Köchin sehr zurückhaltend. Weil die Tomaten viel Säure enthalten, kommt eine Brise Zucker dazu.

Während all das vor sich hin köchelt, sollte eigentlich der Fisch meliert werden. Doch davor muss Apollinia Paiano Glückwünsche für ihren Mann Giuseppe entgegennehmen. Er ist gerade nicht im Haus, als sich sein Bruder Antonio an dessen heutigen Namenstag erinnert. Darauf deutet auch die bereits kaltgestellte Süßspeise hin: Die Tradition sagt, dass es Zeppole ausschließlich zum Ehrentag des Heiligen Josef gibt. Nur an diesem Tag haben die italienischen Bäcker im Umkreis die frittierte Köstlichkeit im Angebot.

Nach dem kurzen, aber lebhaften Wortwechsel wendet sich Apollinia Paiano wieder dem Stockfisch zu. Nachdem dieser einen Mantel aus Mehl bekommen hat, wird er in reichlich heißem Olivenöl frittiert. „Leider habe ich nicht so viel Geduld wie meine Mutter“, gibt die Köchin zu. Sie habe früher jede einzelne Gräte mit der Pinzette entfernt. Ihre Gäste müssten hingegen eben beim Essen ein bisschen mehr aufpassen. „Ist doch kein Problem, ist halt Fisch“, zeigt sich der inzwischen heimgekehrte Giuseppe verständnisvoll.

Und der ist auch schon bald servierbereit. Die frittierten Stücke müssen nur noch kurz in die Tomatensoße, in der sie für ungefähr 30 Minuten in Ruhe schwimmen dürfen. Inzwischen ist von der Sauce kaum noch etwas übrig, „weil alles in den Fisch gezogen ist“, sagt eine zufriedene Köchin, die die Zeit genutzt hat, den Tisch zu decken. Fehlt nur noch der Rotwein. Als dieser geöffnet ist und Apollinia ihrem Mann Giuseppe einen guten Appetit gewünscht hat, kehrt mit dem ersten Bissen in das traditionelle Gericht ein Stück italienische Heimat nach Benningen zurück.