Viele Jugendliche identifizieren sich mit Marbach. Foto: geschichtenfotograf

Wir haben uns im Planet-X umgehört, wie den Jugendlichen das Leben in der Kleinstadt zusagt.

Marbach - Laute Hip-Hop-Musik dringt nach draußen. Oben, im ersten Stock des Marbacher Jugendhauses Planet-X, fliegen die Fäuste. Zumindest spielerisch, und sie stecken in roten Boxhandschuhen. Kurze Zeit später ist das jugendliche Kräftemessen schon wieder vorbei, die Kämpfer hängen gemeinsam ab.

Unter ihnen ist der 13-jährige Valton. „Das Planet-X ist das geilste Jugendhaus der Welt“, findet er. „Ich komme immer, wenn ich Zeit habe, es ist wie mein zweites Zuhause.“ In Marbach vermissen er und seine Freunde zum Leben nur wenig – „vielleicht ein Freibad“, fällt einem der Jungs ein. Und: „Ich finde, das Jugendhaus könnte mehr Geld bekommen. Georg und die anderen arbeiten so viel, sie sind immer für uns da – die tun mir manchmal fast leid“, sagt Valton.

Mitleid möchte Georg Stenkamp, der Leiter des Jugendhauses, aber keines. Im Gegenteil, er fühlt sich ziemlich wohl: „Ich weiß nicht, ob ich noch mal jung sein wöllte“, meint er nachdenklich. So verbrächten die Jugendlichen heute mehr Zeit mit dem Lernen – oft sei das aber „Langzeitpädagogik mit Kurzzeitwirkung“. „Hier im Planet-X versuchen wir, das Gegenteil zu machen. An einen Kanuausflug, bei dem sie vielleicht auch mal gekentert sind, erinnern die sich noch ein Leben lang.“ Immer mehr junge Menschen, findet Stenkamp, würden von den Eltern überbehütet. „Aber sie müssen eines Tages ihr Leben selbst in den Griff bekommen – auch wenn sie sich, etwa hier beim Boxen, mal eine blutige Nase holen.“

Überbehütende Eltern sind das eine Problem. Doch einige der Jugendlichen, die ins Planet-X kommen, stammen aus schwierigen familiären Verhältnissen. Sobald die Jungs und Mädchen zu den Mitgliedern des Jugendhaus-Teams Vertrauen gefasst haben, erzählen sie ihnen von ihren Problemen. „Wir können zwar nicht immer helfen, das ist auch nicht unsere Aufgabe. Aber wir sind gut vernetzt und wissen, an welche Stellen sich die Jugendlichen wenden können“, erklärt Stenkamp.

Ein Gesicht, das man fast täglich im Planet-X sieht, gehört Simon Keim. Der 19-Jährige absolviert hier seit September seinen Bundesfreiwilligendienst und ist quasi das „Mädchen für alles“. „Hier ist immer was los, langweilig wird es nie“, meint er. So wie jetzt: Vom Büro kommt Gejohle, die Jungs schieben einen Fernseher zur Couch. Playstation-Spielen ist angesagt – „Fifa 15“, ein Fußballgame. Die Jungen drängeln sich vor dem Bildschirm und versinken in der virtuellen Sportwelt.

Wie die Jugendlichen ihre Zeit im Jugendhaus nutzen, ist ihnen selbst überlassen. Sie können Tischkickern, Billard spielen, sich an der Bar überbackene Baguettes kaufen, boxen, tanzen oder auf einem der Ledersofas abhängen. Kein unwichtiger Faktor, besonders in der „Chillerstadt“, wie manche der Teenager Marbach nennen. „Hier sagt niemand: ,Geh‘ Getränke holen‘, oder ,Räum‘ dein Zimmer auf‘“, meint einer der Jungs. Nicht ganz: kurze Zeit später steht Georg Stenkamp mit Besen und Handfeger da. Ein paar deutliche Worte des Jugendhausleiters, kurze Zeit später ist der Dreck weg.

In Marbach sind etwa 2000 Bürger zwischen sieben und 18 Jahre alt – Senioren gibt es mehr, rund 2900 Marbacher sind älter als 65. Der Marbacher Bürgermeister Jan Trost betont, er wolle versuchen, Politik für alle Altersklassen zu machen. „Durch das große Schulzentrum trifft uns der demografische Wandel nicht so sehr wie andere Kommunen“, sagt er. Im Fenster des Jugendhauses steht eine große Sammeldose. „Jugendtopf 5000 plus X“ steht darauf. Der Marbacher Gemeinderat hat beschlossen, den Jugendlichen der Stadt 5000 Euro zur Verfügung zu stellen – plus das Geld, das Vereine und Initiativen auftreiben. Organisiert von den Schülermitverwaltungen dürfen die Marbacher Jugendlichen im kommenden Frühjahr selbst bestimmen, wie das Geld eingesetzt wird.

In manchen Gemeinden, gibt es einen Jugendgemeinderat. Marbach hat keinen. „Jugendliche wollen sich eher projektbezogen engagieren. Viele Jugendgemeinderäte haben Probleme, genügend Kandidaten zu finden“, meint Trost. Der Jugendtopf eigne sich besser, um Jugendliche zu beteiligen. Die Chancen, dass der Wunsch nach einem Freibad in Erfüllung geht, seien aber „sehr gering“. „Dafür haben wir eine gute Busanbindung nach Steinheim“, sagt er.

Alles in Allem, ist der Jugendhausleiter Georg Stenkamp überzeugt, sei Marbach trotzdem kein schlechter Ort, um jung zu sein. Sein 13-jähriger Stammgast Valton denkt ähnlich. Ob er mal wegziehen wolle wenn er älter ist, in eine größere Stadt? „Ganz ehrlich, ich will in Marbach bleiben und eines Tages hier sterben.“ Einer von seinen Kumpels grinst: „Schau mal an die Wand hinter dir, das passt ja voll.“ Dort, auf der Tapete hat jemand wie zur Bestätigung von Valtons Worten mit Kugelschreiber hingekritzelt: „672 – Marbach forever“.