Wer im Backteam arbeitet sitzt neun Monate, oder lebenslänglich. Foto: Dominik Thewes

Olaf Oppenländer ist Bäckermeister. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn leitet er die Bäckerei, in der Häftlinge für Häftlinge Brot backen.

Wie beginnt eine Reportage über eine scheinbar ganz normale Bäckerei, in der doch so vieles anders ist? In der es wohlig nach frischem Brot duftet und die trotzdem bei vielen Unbehagen auslöst? In der kein Handy erlaubt ist? Einer Bäckerei, in der Besucher den Personalausweis abgeben müssen? In der auf dem Weg zur Backstube neun Türen auf- und vor allem sorgsam wieder zugeschlossen werden müssen? In der ein Mitarbeiter freundlich, aber bestimmt darauf hinweist, „keine sicherheitsrelevanten Dinge wie unsere Schlüssel“ zu fotografieren? Eine Reportage über eine Bäckerei, die rund 300 Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Heilbronn versorgt?

Sie beginnt wie jede Reportage. Mit einer Szene, die typisch ist. Zum Beispiel mit der sich langsam drehenden Knetmaschine, die den Brötchenteig anrührt. So langsam, als hätte auch sie unter der drückenden Hitze zu leiden. Trotzdem muss kontrolliert werden, was das Brot im Ofen macht. Ein Mitarbeiter öffnet die Tür und sorgt für noch mehr Hitze. Schweißgebadet, aber zufrieden kehrt er zurück. Alles sieht gut aus. Ob Bäckermeister Olaf Oppenländer weiß, weshalb der Mann bei ihm arbeitet? „Die Zeiten, als mich das interessierte, sind vorbei“, sagt der Marbacher. Früher habe er sich um die Akten gekümmert. „Aber danach ist man nicht mehr unvoreingenommen“, hat er an sich selbst beobachtet. Dealer, Betrüger, Mörder . . . Oppenländer will sie alle gleich behandeln. Wer bei ihm arbeitet, sitzt neun Monate ab. Oder lebenslänglich.

Egal, wie lange die Häftlinge für ihre Tat büßen müssen, eines haben alle gemeinsam. Wer in der Bäckerei arbeitet, hat sich in anderen Betrieben des vollzuglichen Arbeitswesens bereits bewährt. „Wir sind ein gelockerter Betrieb“, erklärt Olaf Oppenländer. Das heißt, innerhalb der Bäckerei können sich die Häftlinge verhältnismäßig frei bewegen. Bis zu einer Stunde darf Oppenländer sie unbeaufsichtigt lassen. „Im Grunde ist das die Vorstufe zum Arbeitseinsatz in der landwirtschaftlichen Außenstelle Hohrainhof oder zum Freigängerheim“, erklärt der Marbacher. In Letzterem wohnen Häftlinge, die in umliegenden Firmen eine Stelle gefunden haben.

Eine Arbeitspflicht besteht gemäß Paragraf 47 des Justizvollzugsgesetzbuches III für jeden Gefangenen, der keine 65 Jahre alt ist. Die Arbeit muss für ihn angemessen sein und er muss körperlich in der Lage sein, sie zu verrichten. Der Stundenlohn ist mit maximal 2,13 Euro zwar nicht sehr hoch, trotzdem ist er wertvoll. Drei Siebtel stehen dem Gefangenen für die Einkäufe hinter Gittern zur Verfügung. Der Rest wird angespart. Ist die Haftzeit vorbei, hat jeder Freigelassene so einen kleinen Betrag für den Start in ein neues Leben auf der hohen Kante.

Kein Hinderungsgrund für die körperliche Betätigung ist hingegen die Schwierigkeit, früh aus dem Bett zu kommen. Für seine Mitarbeiter sei meist schon das eine Herausforderung, betont Oppenländer. „Regelmäßiges Aufstehen, regelmäßiges Essen“, all das war seine Klientel in Freiheit nicht zwingend gewohnt. In der Bäckerei stehen die Mitarbeiter um 6 Uhr am Ofen, um 12.45 Uhr ist Schluss. In der Zeit backen sie „alles außer Torten“, wie Oppenländer zufrieden sagt. Die Produkte können sich nämlich sehen lassen, auch wenn zur Zeit nur ein wirklich gelernter Bäcker für ihn im Einsatz ist. Das ist mehr, als er sonst oft zur Verfügung hat.

Gebacken wird von Montag bis Donnerstag ausschließlich für die Insassen. Was die Bäckerei produziert, ist zu 100 Prozent für den Eigenbedarf gemacht. Freitags gehen die Produkte darüber hinaus auch ins Gitterlädle, eine kleine Verkaufsstelle neben der Justizvollzugsanstalt. Hier werden die Produkte angeboten, auch die der anderen Eigenbetriebe, etwa der Metzgerei. Und die finden reißenden Absatz, „weil wirklich alles handgemacht ist“, schwärmt Katja Kalb, Geschäftsführerin des vollzuglichen Arbeitswesens. Doch seien es nicht nur die Mitarbeiter der JVA, die die Waren zu schätzen wüssten. Weit über die Grenzen Heilbronns hinaus hat sich die Qualität herumgesprochen. Regelmäßig reisen auch Kunden etwa aus Bietigheim an, um den Kühlschrank aufzufüllen.

In der Bäckerei der Justizvollzugsanstalt steht ebenfalls ein gut gefüllter Kühlschrank. Nicht im Warenlager, sondern im Büro von Olaf Oppenländer und seinem Stellvertreter Ulrich Scherbaum-Rühl. Obwohl der Raum eigentlich immer abgeschlossen ist, sichert ein zusätzliches Vorhängeschloss das Möbelstück. „Darin lagert nämlich begehrte Ware“, weiß Ulrich Scherbaum-Rühl. Die Hefe wird ausschließlich von einem der Bäckermeister herausgeholt. Und auch nur unter derer strengen Aufsicht wird sie verarbeitet. „Mit Hefe lässt sich Most herstellen, oder Schnaps“, erklärt Scherbaum-Rühl. Erlaubt ist das nicht. Wer versucht, sich mit einem Stück Hefe davonzumachen, riskiert allerdings seine begehrte Stelle in der Bäckerei. Mit den gelockerten Bedingungen ist es dann ganz schnell vorbei.

„Das kommt zwar immer wieder mal vor“, berichtet Olaf Oppenländer. Probleme mit den Häftlingen seien aber die Ausnahme. „Manchmal wird es schon laut – aber das wird es schließlich in jedem Handwerksbetrieb, ob vor oder hinter Gittern“, sagt Oppenländer. Vor 15 Jahren hat der Marbacher seinen Job bei Huober-Brezel an den Nagel gehängt, um in den Staatsdienst zu treten. Der Tipp kam von einem Kollegen, der die Annonce in der Zeitung entdeckt hatte – und dessen Frau gegen die Arbeit im Gefängnis war. Glück für Olaf Oppenländer, der von seiner Familie unterstützt wird. „Die finden gut, was ich mache“, erzählt er von seiner Frau und den beiden Kindern.

Anfangsschwierigkeiten im Umgang mit Strafgefangenen habe er nicht gehabt. Im Gegenteil. „Ich musste lernen, mich abzugrenzen und die Häftlinge nicht zu nah an mich heranzulassen“, sagt er. Das geschah unter anderem in einer 18-monatigen Zusatzausbildung, die den Bäckermeister auf den Strafvollzugsdienst vorbereitet hat und zu der neben der Rechtskunde auch die Psychologie gehörte. Denn heute trägt Olaf Oppenländer eine weit größere Verantwortung, als nur ein guter Bäckermeister zu sein: Das Motto des vollzuglichen Arbeitswesens lautet schließlich: „Erfolgreich produzieren und Menschen resozialisieren.“