Seit 1990 ist Albrecht Gühring Stadtarchivar in Marbach. Zu fast jeder Archivalie kann er eine Geschichte erzählen. Foto: geschichtenfotograf.de

Das Marbacher Stadtarchiv ist seit 25 Jahren hauptamtlich besetzt. Albrecht Gühring hat die Stelle von Anfang an inne.

Marbach - Als der Stadtarchivar Albrecht Gühring die Tür zu seiner Schatzkammer öffnet, schlägt dem Besucher der Geruch von altem Papier entgegen. Die Luft ist extrem trocken – 60 Prozent Feuchtigkeit, irgendwo sorgt ein schnarrendes Gerät dafür, dass es auch so bleibt. Denn Nässe oder Schimmel wären der Tod für vieles, was hier lagert: Abertausende Verwaltungsakten, Fotos, Urkunden, akribisch geordnet in den schweren Archivschränken. Gühring ist der Herr über das Gedächtnis der Stadt Marbach.

Neben Gühring arbeitet im Archiv auch Eva-Maria Jung. Die 19-jährige absolviert seit September ihre Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste. Gerade ist sie dabei, Zeitungsartikel mit Marbach-Bezug zu markieren. In der Marbacher Zeitung wird sie fündig und streicht zwei Beiträge an. Auch sie werden bald Teil des Stadtgedächtnisses sein. Denn im Archiv lagern viele alte Zeitungen, zum Beispiel Ausgaben des MZ-Vorgängers „Postillon“, die bis ins Gründungsjahr 1845 zurückreichen. Sie sind bei Weitem nicht die ältesten Stücke: „Wir haben auch eine Hardtwald-Ordnung aus dem Jahr 1580“, erklärt Gühring. In dem Band wurde damals unter anderem vermerkt, welcher Gemeinde welche Waldstücke gehören.

Warum das inzwischen restaurierte Buch erhalten geblieben ist, weiß Gühring nicht – womöglich stammt es aus einer Nachbargemeinde. Denn den großen Stadtbrand von 1693 hatte das Marbacher Stadtarchiv eigentlich nicht überlebt. Damals, im Pfälzischen Erbfolgekrieg, hatten französische Truppen die Stadt zu großen Teilen niedergebrannt. „Die meisten Bewohner waren schon vorher geflohen, allen voran die Verwaltung“, sagt Gühring. Das damalige Gedächtnis der Stadt wurde ein Raub der Flammen. „Unser Archiv ist deswegen im Vergleich zu anderen ein relativ junges.“

Nicht alles, was im Archiv aufbewahrt wird, besteht aus altem Papier. In den Schränken liegen unter anderem zigtausende Dias und Filme, letztere werden nach und nach digitalisiert. Und da es in Marbach kein Stadtmuseum gibt, beherbergt das Archiv auch andere Schätze. „Das ist unser Archivkrokodil“, sagt Gühring und grinst: Das etwa anderthalb Meter lange, präparierte Reptil diente in der früheren Volksschule dem Biologieunterricht. Seine spitzen Zähne sind nicht die einzige Waffe im Bestand: Gühring holt einen gewaltigen Vorderlader hervor. „Das Gewehr stammt von der Bürgerwehr, aus dem Jahr 1848“, sagt er. Dann drückt er ab. Mit einem satten Klacken schnappt der Hahn zu: Alles ist noch funktionstüchtig.

Es gibt noch viel mehr zu entdecken in den Tiefen des Archivs. Doch so weit kommen nicht allzu viele der Besucher: Führungen gibt es nur auf Bestellung oder zu ganz besonderen Anlässen. Im Herbst ist es wieder so weit: „Dann feiern wir 25-jähriges Jubiläum. Seit 1990 ist das Archiv hauptamtlich besetzt“, sagt Gühring. Genauer gesagt, war der offizielle Feierakt bereits im Januar, im Herbst folgt anlässlich des Jubiläums noch ein Tag der offenen Tür. Gühring selbst ist der erste und bisher einzige Archivar, den sich die Stadt leistete.

Der Drang, die Historie zu erforschen, liegt ihm einfach im Blut: „Mit 16 habe ich mit der Familienforschung angefangen. Es ist toll, zum Beispiel alte Kirchenbücher durchzublättern. Wenn man erfährt, wie die eigene Familie mit historischen Ereignissen verbunden ist, bekommt Geschichte doch einen ganz anderen Stellenwert“, sagt er. Mit dieser Faszination ist er nicht alleine: Die meisten Benutzer, die ins Archiv kommen, sind Familienforscher. Etwa die Australier, die sich vor Jahren auf die Suche nach Vorfahren machten. Ihr Name, Swavely, wäre ungewöhnlich für die Gegend um Marbach gewesen und zunächst wurden sie auch nicht fündig. Bis sich herausstellte, dass der ursprüngliche Familienname Schwäble eben nicht allzu gut ins Englische passt. Zusammen mit Albrecht Gühring fanden die Australier tatsächlich Verwandte. „Sie stehen bis heute in Kontakt“, sagt Gühring.

Von solchen kleinen Erfolgen lebt ein Archivar. Denn Tag um Tag erreichen neue Mosaiksteine der Geschichte das Archiv, die es einzuordnen gilt. Und diese Aufgabe wird niemals abgeschlossen sein.