Wer im Rathaus sitzt, steht oft im Fokus der Kritik. Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

Massive Bedrohungen lokaler Kommunalpolitiker im Bottwartal hat es bis auf eine Ausnahme bisher noch nicht gegeben. Beleidigungen sind dagegen keine Seltenheit mehr.

Marbach/Bottwartal - Kommunale Spitzenverbände beklagen seit längerem, dass Amts- und Mandatsträger in den Kommunen immer mehr mit verbalen oder tatsächlichen Angriffen überzogen werden. Wie sieht die Situation in den Städten und Gemeinden an Neckar, Bottwar und Murr aus? Wir haben dazu amtierende und einen ehemaligen Bürgermeister befragt.

"Anspruchsdenken ist gestiegen"

„Der Umgangston ist in den letzten Jahren rauer geworden“, sagt der Marbacher Bürgermeister Jan Trost. Und es gebe auch immer mal wieder etwas, das anonym eingehe. Doch vonseiten der Menschen, die keine psychische Störung hätten, hielte es sich in Grenzen.

„Natürlich kommt es immer wieder vor, dass jemand recht deutlich eine andere Meinung vertritt, aber das gehört zur Demokratie mit dazu“, äußert sich der Rathauschef relativ gelassen. Im vergangenen Jahr habe es zudem Probleme mit den sogenannten Reichsbürgern gegeben, die die Bundesrepublik als Staat nicht anerkennen. Das treffe dann auch auf örtliche Satzungen und Verordnungen zu, oder es würden beim Einwohnermeldeamt keine Papiere abgeholt.

Aufregerthemen seien generell Strafzettel oder die Bebauung von Baulücken. Beleidigungen seien dennoch eher selten, aber es gebe Versuche, eine Entscheidung zu den eigenen Gunsten umzubiegen.

Dass die innere Rathaustür nach der Pforte außerhalb der Sprechzeiten, von Ausnahmen wie Veranstaltungen oder öffentlichen Sitzungen abgesehen, seit kurzem geschlossen bleibt, habe damit aber nichts zu tun, betont Trost: „Es ist seit einigen Monaten verstärkt vorgekommen, dass Mitarbeiter in ihrer Mittagspause gestört wurden mit dem Argument: Sie sind doch sowieso da.“ Generell sei das Anspruchsdenken einiger Mitbürger gestiegen.

"Man darf nicht übersensibel sein"

Sein Vorgänger, der frühere Bürgermeister Herbert Pötzsch, berichtet auch aus seiner Zeit von einem „sehr energischen Vertreten der eigenen Sicht“. Die Leute seien aber ehrlich genug gewesen, zu ihrer Meinung zu stehen und das nicht anonym zu machen. Generell dürfe man „in dem Beruf nicht übersensibel sein“, betont er. Doch dass der Umgangston eindeutig rauer geworden sei, stellt er bei seinen Ehrenämtern auch fest.

"Teils wüste Beschimpfungen"

Torsten Bartzsch, der Bürgermeister von Murr, berichtet davon, dass vor allem die Mitarbeiter im „Zentralen Service“, wie in Murr das Bürgerbüro heißt, einiges abbekämen. „Körperlich gab es zum Glück noch keine Auseinandersetzungen, verbal schon.“ Beleidigungen oder Versuche, Verwaltungsmitarbeiter einzuschüchtern, seien aber Gott sei Dank die Ausnahme. Auch der Vollzugsdienst berichte von „unschönen Begegnungen“. Generell sei zu beobachten, dass Individualinteressen immer mehr im Vordergrund stünden. „Und wenn dann eine Entscheidung anders ausfällt als gewünscht oder etwas abgelehnt wird, ist der Aufschrei groß. Auch in den sogenannten sozialen Medien gebe es teils wüste Beleidigungen: „Man schimpft einfach mal drauflos, ohne die Hintergründe für eine Entscheidung zu kennen.“ Das Ganze seien „Auswüchse, die es heute leider gibt“, aber insgesamt eine sehr fragwürdige Entwicklung.

"Es gab eine Morddrohung"

Von einer besonders unangenehmen Erfahrung berichtet der Oberstenfelder Bürgermeister Markus Kleemann. Allerdings, so betont er, nicht mit Einwohnern aus Oberstenfeld, Gronau und Prevorst. Da gebe es weitaus mehr Lob als Kritik. Doch aus den neuen Bundesländern, wie die Polizei auf seine Anzeige hin ermittelte, sah er sich auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle sogar mit einer Morddrohung konfrontiert, wobei sein Bild, seine Wohn- und seine E-Mail-Adresse veröffentlicht wurden.

Der Hintergrund: Auf der als rechtsextremistisch eingestuften Website „Politically incorrect“ war berichtet worden, in der Gemeinde sei kein Geld für Kinder und Alte da, doch es gebe Luxus für Flüchtlinge. „Da wurde aus verschiedenen Phrasen eine dritte, falsche Geschichte gemacht“, sagt Kleemann. Zum einen aus den notwendigen Sparmaßnahmen wie der Zusammenlegung von Schulen, zum anderen aus der Tatsache, dass im alten Edeka nur 100 Flüchtlinge untergebracht worden seien, obwohl laut der damaligen Berechnung von 8,5 Quadratmeter pro Person mehr Platz gewesen wäre. „Wir waren aber der Meinung, dass 100 Flüchtlinge für eine Gemeinde wie Oberstenfeld genug sind“, so Kleemann.

Ihn habe das Ganze vor allem deshalb aufgeregt, weil die Website auf Unwahrheiten aufgebaut habe. Auf manche der E-Mails, die er deshalb bekam, habe er zurückgeschrieben und den tatsächlichen Sachverhalt erklärt, was zum Teil dann auch auf Verständnis gestoßen sei. Angst habe er keine gehabt, sagt Kleemann, „aber ich war entsetzt, was man alles so schreiben kann“.

"Man weiß nicht, was morgen ist"

Steffen Döttinger, Bürgermeister von Affalterbach, fühlt sich nicht bedroht. Doch hat auch er festgestellt, dass der gesellschaftliche Ton insgesamt rauer werde. „Viele wissen gar nicht mehr, dass es so etwas wie das Allgemeinwohl gibt“, hat er festgestellt. Das werde in Verhandlungen oder Gesprächen deutlich, in denen jeder nur seine eigenen Interessen im Blick habe. Zudem herrsche zunehmend die Ansicht, die Gemeinde habe alles und möglichst sofort zu erfüllen; das Anspruchsdenken wachse. Doch insgesamt bewege sich das in normalem Rahmen. Auch die Aufregung zur Hochzeit der Flüchtlingskrise habe sich gelegt. Aber: „Man weiß nicht, was morgen ist“, zeigt sich auch Döttinger vorsichtig.

"Ausdruck der Verzweiflung"

Von konkreten Bedrohungen sei er zum Glück verschont geblieben, sagt auch Beilsteins Bürgermeister Patrick Holl. „Aber wenn man liest, was manchmal in den sozialen Medien geschrieben wird, hat man den Eindruck, dass der Umgangston rauer geworden und die Grenze zur Beleidigung oft fließend ist.“ Seine Vermutung: „Für den einzelnen geht es oft um viel, da ist dann die Hemmschwelle, die nächste Eskalationsstufe zu überschreiten, geringer. Ich sehe das oft eher als einen Ausdruck der Verzweiflung.“

Was er schon erlebt hat, sind Einschüchterungsversuche mit dem Inhalt, die Person und das Amt des Bürgermeisters in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht zur rücken und so „das große Gut der Glaubwürdigkeit zu beschädigen“, wie Holl es formuliert. Wo es in Deutschland echte Bedrohungen gegeben habe, sei das seiner Beobachtung nach oft von übergeordneten politischen Themen geprägt. „Das haben wir hier zum Glück nicht.“

"Einzelne seltsame Briefe"

Bedrohungen seien auch in Großbottwar kein Thema, so die Auskunft von Bürgermeister Ralf Zimmermann. Es gebe „einzelne Bürger, die seltsame Briefe schreiben“, und insgesamt werde der Ton ruppiger. Einen Vorfall habe es vor mehr als zehn Jahren gegeben: „Damals wurden Gemeinderäten während der Sitzung die Reifen zerstochen.“ Doch das sei nie wieder vorgekommen. Ob es in sozialen Medien Beleidigungen gebe, wisse er nicht: „Die habe ich mir abgewöhnt.“ Die Stadt Großbottwar habe auch keinen Facebook-Auftritt.

"Das Leben wird nicht einfacher"

Kurz und bündig beantwortete Kirchbergs Bürgermeister Frank Hornek auf die Anfrage dieser Zeitung: „Das ist in Kirchberg kein Thema.“ Doch auch er hat festgestellt: „Das Leben wird nicht einfacher, es wird alles etwas kritischer durchleuchtet.“

"In sozialen Medien wird eher scharf geschossen"

Erdmannhausens Bürgermeisterin Birgit Hannemann hat die Erfahrung gemacht, dass es „immer Leute gibt, die übers Ziel hinausschießen“. Das halte sich aber noch im normalen Rahmen. Beleidigungen kämen zwar vor, aber keine massiven, und wenn, dann eher in den sozialen Medien: „Da wird eher mal scharf geschossen als im persönlichen Kontakt“, hat sie festgestellt. Generell hat jedoch auch sie beobachtet: „Der Umgang wird schwieriger, aber Bedrohungen hat es bei uns bislang keine gegeben.“ Bei ihrer Entscheidung, nicht mehr für das Bürgermeisteramt zu kandidieren, habe das Ganze keine Rolle gespielt.

"Ein Stück weit am Pranger"

Auch Mundelsheims Bürgermeister Boris Seitz ist noch nie bedroht worden. Doch er weiß: „Als Bürgermeister steht man ein Stück weit am Pranger, das gehört zu dem Job mit dazu.“ Die sozialen Medien trügen dazu bei, dass „die Zeiten schlimmer“ würden. Es sei für manchen einfacher, „nachts um 12 eine wütende E-Mail runterzuhauen, als einem das ins Gesicht zu sagen“.

Meistens gehe es darum, dass jemand Partikularinteressen durchsetzen wolle. „Einsichten sind heute nicht mehr da, und der Umgangston ist rauer geworden.“