Tausende Liter Wasser strömen pro Sekunde durch das Kraftwerk. Foto: KS-Images.de/ Karsten Schmalz

Das 1915 eingeweihte Kraftwerk in Pleidelsheim zeigt beispielhaft, wie man die Ressource Wasser umweltschonend nutzen kann.

Pleidelsheim - V ier riesige, blaugrüne runde Turbinen stehen in einer Reihe. Ihr Dröhnen erfüllt das langgestreckte Maschinenhaus. Wer näher herantritt, kann einen Blick in das Innere der Giganten werfen. Ein großes Schwungrad, rund sechs Meter im Durchmesser, rotiert mit wahnwitziger Geschwindigkeit inmitten eines Kranzes rötlicher Kupferwicklungen, 83 Mal in der Minute.

106 Jahre und kein bisschen leise: Das ist das Wasserkraftwerk in Pleidelsheim am Neckar. Ein Kleinod der Technik- und Industriegeschichte in der Region. Aber kein Museumsstück, sondern eine Anlage, die heute noch einwandfrei läuft und blitzsaubere Energie erzeugt.

„Diese Turbine, mit Schwungrad und Wicklungen, funktioniert wie ein Motor,“ sagt Andreas Föll. Er arbeitet bei der Süwag, der das Werk gehört. Als Leiter Betrieb und Erzeugung Süd ist er für viele Anlagen und Installationen des Unternehmens zuständig – Blockheizkraftwerke und Solaranlagen zum Beispiel. Doch Pleidelsheim ist etwas Besonderes. Das ist dem Elektrotechniker anzumerken, wenn er Besucher durch die sonst abgesperrte Anlage führt. „Hier erzeugen wir seit Jahrzehnten Strom.“ Mit Hilfe der Wasserkraft, der Schwerkraft und den Turbinen, die die Energie des Wassers umwandeln.

Das ockergelbe Gebäude mit seinem roten Walmdach ist schon von weitem zu sehen. Wer Pleidelsheim auf der Landstraße Richtung Mundelsheim verlässt, erblickt es zur Linken, ein paar hundert Meter nördlich des Ortsendes. Gebaut über einen parallel zum Hauptneckar verlaufenden Kanal.

Doch nicht nur die Energiewirtschaft nutzt den Fluss. Der Neckar ist auch die Hauptschifffahrtsstraße in Württemberg, und er soll als Gewässer gleichzeitig in einem ökologisch einwandfreien Zustand bleiben.

„Nicht mehr rausholen als nachkommt, das ist das Prinzip für uns im Kraftwerk,“ erklärt Föll. Der Spielraum ist begrenzt. Zum einen muss der Kanal an seinem Beginn, am Wehr Beihingen, in jeder Sekunde drei Kubikmeter Wasser an den verbleibenden Altneckar abgeben, also 3000 Liter für die Ökologie. Zum anderen sind da die Anforderungen der Schifffahrt: „Der Pegel darf maximal nur um 15 Zentimeter schwanken,“ so Föll. Fällt er tiefer, droht Schiffen die Gefahr, auf Grund zu laufen. Steigt er zu hoch, passen sie nicht mehr unter der Brücke hindurch.

Wie ist der Pegel zu halten? Die Elektronik in der Leitstelle des Kraftwerks, angesiedelt in einem Nebengebäude, macht es möglich. Vorgelagerte Pegelsonden erfassen die aktuellen Fließmengen, melden sie, und entsprechend wird automatisch reguliert, mit Schleusen und Klappen. Die Natur und die Schifffahrt haben Vorrang. Wenn es knapp wird, muss das Kraftwerk seinen Betrieb herunterfahren. Jetzt im Spätwinter strömt das Wasser reichlich. „Wir haben gerade einen Durchfluss von 68 Kubikmetern in der Sekunde,“ weiß Föll. Das reicht gut für alle vier Turbinen. Doch in trockenen Sommern kommt es schon einmal vor, dass nur noch eine arbeitet.

Die Wassermenge ist wichtig, aber es muss auch sauber sein. Um größeres Treibgut auf dem Wasser abzuhalten, ist dem Maschinenhaus eine schwimmende Barriere vorgelagert, der Abweiser. Da wird schon mal ein ganzer Baum angetrieben oder, nach einem Hochwasser, ein Fässchen aus einem Schrebergarten oder ein totes Wildschwein. Was dann noch unter der Oberfläche schwimmt, gerät sicher in die Fänge der vier metallenen Rechen, die dem Einlass ins Maschinenhaus vorgelagert sind, einer für jede Turbine.

Reinhold Nägele ist zuständig für die Wartung, Instandhaltung und Reparaturen im Werk. Er kontrolliert gerade die Anhebung der Rechen. Sie befördern alles, was noch mitschwimmt, in eine Rinne. Ein Förderband transportiert das Treibgut, meistens Gestrüpp, kleine Äste und Ähnliches, in einen großen Container an der Westseite. Mehr als 1500 Kubikmeter sind das im Jahr. Und wozu dient das kleine Boot? „Wenn ich etwas an den Rechen reparieren oder hartnäckigen Schmutz entfernen muss, dann mache ich das vom Wasser aus“, erklärt Nägele.

Das Wasser strömt unter das Maschinenhaus und fällt rund acht Meter in die Tiefe. Es treibt eine sogenannte Francis-Turbine an, die wiederum eine starke, lange Welle bewegt. Im Untergeschoss, sozusagen im „Bauch“ des Werks, kann man sehen, wie die vier Wellen, jede 18 Tonnen schwer, rotieren und ihre Bewegungsenergie über die Schwungräder an die Turbine weitergeben. Jede einzelne der vier Turbinen wiegt 32 Tonnen.

Mehr als 25 Millionen Kilowattstunden erzeugt Pleidelsheim in einem durchschnittlichen Jahr. Eine saubere Bilanz, ganz ohne Emissionen, und mit sauberen Mitteln bis ins Detail. Die Wellen, die mit Öl laufen, um ihren Verschleiß gering zu halten, sind auch mit einem gesonderten Wasserbehälter verbunden. Er verhindert, dass Öl in das auslaufende Wasser gerät, das rund 150 Meter nach dem Auslass wieder in den Hauptneckar strömt.

Die Jahresleistung entspricht dem Verbrauch von rund 7500 Haushalten. Der Strom, über ein Umspannwerk vor Ort in die Netze benachbarter Kommunen wie Pleidelsheim, Murr und Ingersheim eingespeist, spart 11 850 Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Die Süwag Vertrieb AG & Co KG hat auch ein Produkt im Portfolio, mit dem sie „100 Prozent Ökostrom“ garantiert: „Süwag Naturstrom Pleidelsheim“. Gedacht ist es für Kunden, die in einem Umkreis von 50 Kilometern um das Wasserkraftwerk wohnen.

Der populäre württembergische König Wilhelm II. persönlich hat das Werk 1915 eingeweiht – errichtet für rund 5,8 Millionen Reichsmark. Ein großer Schub für die Elektrifizierung und eine lohnende Investition. Zwar wurden Teile ausgetauscht und saniert, aber das technische Prinzip blieb unverändert. So steht Pleidelsheim beständig unter Strom, und nun bereits in seinem zweiten Jahrhundert.