Bürgermeister Jan Trost ist in der vergangenen Gemeinderatssitzung darum gebetenworden, sich vor die Mitarbeiter seiner Stadt zu stellen. Foto: Archiv (KS-Images.de)

Rund sechs Wochen ist es her, dass Jan Trost zum Bürgermeister der Stadt Marbach gewählt worden ist. Gespräche mit den Fraktionen, die sich für seinen Mitbewerber ausgesprochen hatten, gab es bislang nur eines – dafür aber Vorwürfe in puncto Führungsstil.

Marbach - Eines war am Abend des 7. Februar für alle in der Stadthalle klar: Es besteht enormer Gesprächsbedarf. Denn als Jan Trost mit 47,36 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang erneut zum Bürgermeister der Stadt Marbach gewählt worden ist, endete ein unschöner und zum Teil extrem verbissen geführter Wahlkampf. CDU und Grüne hatten sich in diesem hinter Trosts Herausforderer Timo Jung gestellt und mit Kritik an den Führungsfähigkeiten des Stadtchefs nicht gespart. Noch am selben Abend war deshalb für alle Beteiligten unumgänglich: Es muss Gespräche geben. Passiert ist zunächst aber nichts. „Das lag jedoch an der Corona-Situation“, erklärt der Rathauschef auf Nachfrage. „Mit der CDU hätte ich mich eigentlich vergangene Woche getroffen, da uns da aber nur ein kleiner Raum zur Verfügung stand, haben wir das Gespräch verschoben.“ Ein neuer Termin ist für Mai ins Auge gefasst. Die Aussprache mit den Grünen wurde auf Mittwochabend dieser Woche terminiert. Wichtig ist allen, dass die Gespräche in Präsenz stattfinden.

Das Miteinander hakt noch an manchen Stellen

Die Zusammenarbeit in den vergangenen Wochen beschreiben alle Parteien in etwa gleich. Was die Sacharbeit im Sinne der Bürger angehe, könne man normal zusammenarbeiten. So wie auch vergangenen Donnerstag in der ersten Gemeinderatssitzung unter Trosts Führung nach der Wahl. „Wir haben normal diskutiert. Aber klar, das Drumherum hakt an der ein oder anderen Stelle“, räumt Trost ein.

Und die Vorsitzenden der schwarzen und grünen Ratsfraktionen? Wie sehen sie das Miteinander? „Wir sind wahrscheinlich etwas kritischer geworden und schauen genauer hin: Was hat er versprochen, was wird umgesetzt?“, erklärt Heike Breitenbücher (CDU). „Wir werden unsere Kritik in Zukunft noch deutlicher kommunizieren. Denn ich sehe nicht unbedingt einen Lerneffekt“, betont Barbara Eßlinger. Damit spielt die Grünen-Chefin auf einen Zwischenfall an, zu dem es in der Ratssitzung kam und der allen Beteiligten im Magen liegt.

Verbale Attacke gegen Rathaus-Mitarbeiter wird geduldet

Ausgangspunkt war eine verbale Attacke eines Anwohners der August-Lämmle-Straße gegen Ordnungsamtsleiter Andreas Seiberling. Der Bürger hat Schwierigkeiten, aus seiner Garage zu kommen, und nutzte die Bürgerfragestunde zu einem Rundumschlag inklusive Beleidigungen gegen Seiberling. Jan Trost ließ gewähren und fragte seinen Ordnungsamtsleiter lediglich, ob er Stellung nehmen wolle – was er verneinte. Auch danach ließ Trost Beschimpfungen zu und bot dem Bürger einen Vor-Ort-Termin an. Ein Vorgehen, das Heike Breitenbücher so sauer aufstieß, dass sie am Ende der Sitzung das Wort ergriff und dabei auch Jan Trost angriff – und Applaus von fast allen anderen Gemeinderäten für ihren Appell erntete.

Kritik aus der Bürgerstunde sei in der Sache grundsätzlich okay, es sei um eine schwierige Ausfahrt und den Wunsch nach einer Ortsbesichtigung gegangen. Die Kritik sei aber unsachlich gewesen und habe sich gegen einen Mitarbeiter der Stadt gerichtet, den die Gemeinderäte sehr schätzen. „Entscheidend ist der Ton, persönliche Angriffe – gegen wen auch immer – sind nicht zu akzeptieren“, sagte Breitenbücher. Dies seien Ermutigungen, die Spirale immer weiter drehen zu lassen. Die Folgen habe man in den vergangenen Monaten erlebt. Gemeinderäte könnten sich selbst gegen Kritik wehren. Man wolle sich aber auch vor die Mitarbeiter der Stadt stellen und plädiere für einen fairen Umgang. „Ich möchte nicht mehr zu solchen Sachen schweigen“, wurde die CDU-Chefin deutlich. „Wir bitten auch die Führung der Stadtverwaltung, einem solchen Umgangston entgegenzutreten und sich vor die Mitarbeiter der Stadt zu stellen – wie wir es auch gegenseitig mit uns tun.“ Es gehe nicht darum, eine Meinungsäußerung von irgendeinem Bürger zu verhindern, aber „wir sollten zu Sachlichkeit und einem respektvollen Umgang miteinander zurückkommen“.

Fassungslosigkeit herrscht auch noch Tage nach der Sitzung

Ein paar Tage nach der Sitzung ist Heike Breitenbücher immer noch fassungslos. „Es hat mich wirklich schockiert, was da passiert ist. Ich habe Rot gesehen. Ich habe mich die ganze Nacht nach der Sitzung darüber geärgert, dass ich zu feige war und nicht sofort aufgestanden bin und etwas gesagt habe. Wir alle sitzen nur da und sind froh, wenn wir selbst nicht in die Schusslinie geraten. Wir tolerieren alles. Da muss ich mich fragen: ‚Wo sind wir inzwischen gelandet?’ Plötzlich scheint alles okay zu sein – auch Angriffe unter der Gürtellinie.“ Die Kritik, die sie am Donnerstag noch öffentlich geäußert habe, sollte an jeden im Saal gehen – „es war kein direkter Angriff gegen Jan Trost, aber natürlich auch gegen ihn“, sagt sie. Barbara Eßlinger bläst ins gleiche Horn. „Heike Breitenbücher hat Recht. Ich bin leider drei Minuten zu spät gekommen und habe nicht alles mitbekommen, aber wir sind alle dazu verpflichtet, so etwas nicht zuzulassen und müssen uns an die eigene Nase fassen – Jan Trost als Chef aber natürlich besonders. Er hat eine Fürsorgepflicht seinen Mitarbeitern gegenüber.“ Was ihr enorm aufstößt ist, dass der Schultes keinerlei Reaktion gezeigt hat. Auch nicht beim Appell von Heike Breitenbücher. „Da hätte er in meinen Augen etwas sagen müssen. Aber es kam gar nichts. Und gar nichts ist eindeutig zu wenig“, so Eßlinger.

Jan Trost räumt ein, dass er sich anders hätte verhalten können

Und was sagt Jan Trost zu all dem? „So eine Bürgerfragestunde wie an diesem Tag habe ich in der Art noch nie erlebt. Als es 2015 ums Asylheim ging, war schon Druck im Kessel. Seitdem ist der Ton aber noch rauer geworden.“ In der Situation am Donnerstag habe er sich überlegt, was am besten ist. „Ich habe mich dafür entschieden, es mit Deeskalation zu versuchen. Hätte ich dem Mann Contra gegeben, hätte es wahrscheinlich zu einer noch wilderen Diskussion geführt. Das wollte ich nicht. Ich hätte aber natürlich auch einen anderen Weg wählen und dem Herren das Mikrofon abdrehen und ihn des Saales verweisen können“, gesteht er ein. Betonen will er, dass er voll und ganz hinter Andreas Seiberling steht. „Ich wollte in dieser Situation aber einfach ruhig bleiben. Zukünftig werde ich aber sicher die andere Variante wählen. Denn die Bürgerfragestunde darf nicht mehr zu einer Bürgerstatementstunde werden, und persönliche Beleidigungen haben hier nichts zu suchen.“ Warum er später auch auf Breitenbüchers Appell nichts erwiderte? „Es war schon zu später Stunde. Aber ja, ich hätte da noch ein paar Worte finden können“, gibt er zähneknirschend zu.

Kommentar: Nicht zaudern, sondern handeln

Bürgermeister Jan Trost hat scheinbar wenig durch die Kritik an ihm gelernt. Doch es wird Zeit dafür. Schweigen ist der falsche Weg.

Zuhören und andere Meinungen zulassen können, ist eine gute Eigenschaft. Eine sehr gute sogar. Jedoch gibt es Momente, in denen  zuhören  nicht reicht. Momente, in denen man agieren muss. Momente, in denen es eine starke Führung braucht. Mehr noch, in der sie sogar zwingend erforderlich ist. Dass  Jan Trost in diesem Punkt noch immer   Nachholbedarf hat, zeigte sich in seiner ersten Ratssitzung nach der Wahl.
Kritik am  Führungsstil des Marbacher Rathauschefs gab es in den vergangenen Monaten oft. Vorgeworfen wurde ihm, dass er sich zu wenig um seine Mitarbeiter kümmert, deren Belange nicht ernst nimmt und sie oft übergeht. Der unschöne  Wahlkampf, in dem die Kritik immer wieder aufpoppte, hätte Jan Trost die Augen öffnen müssen.    Sie hätte ihm eine Lehre und Ansporn sein sollen, es besser zu machen. In der jüngsten Gemeinderatssitzung  war Gelegenheit dazu. Trost hätte zeigen können, dass er  aus der Kritik an seiner Person, gerade auch was das Thema  Fürsorgepflicht angeht, gelernt hat. Doch was tat er? Nichts. Außer schweigen.
Das ist ungut – und darf so nicht weitergehen.  Erst recht nicht in Zeiten, in denen jeder den immer rauer werdenden Ton anprangert. In denen Beleidigungen unter der Gürtellinie, Beschimpfungen und Bedrohungen fast schon legitim geworden zu sein scheinen. Sich jeder quasi  herausnehmen kann, was er will. Damit  muss Schluss sein.  Doch wie soll sich etwas  ändern, wenn nicht einmal ein Rathauschef klar Stellung bezieht und sich positioniert? Wenn er seiner Vorbildfunktion nicht gerecht wird und nicht einschreitet? Denn das ist seine Aufgabe – und zwar im Moment des Geschehens. Nur so merken die Menschen, die übers Ziel hinausschießen, dass es  Grenzen gibt.  
Der Ton macht die Musik, bei vielem. Dass dieser wieder  respektvoller wird, dafür trägt  jeder mit  Verantwortung. Da haben Heike Breitenbücher und Barbara Eßlinger recht.  Führungspersönlichkeiten sind aber  besonders in der Pflicht. Das muss Jan Trost verstehen und endlich anfangen zu agieren und Haltung zu zeigen.  Zuhören allein reicht nicht, wenn man etwas ändern möchte.
Gut, dass wenigstens Heike Breitenbücher den Mund aufgemacht und etwas gelernt hat aus den vergangenen Wochen. Denn: Den Gemeinderäten wurde von Bürgern im Wahlkampf vorgeworfen, zu lange ruhig gewesen zu sein. Diese Kritik hat sie sich zu Herzen genommen und gehandelt. Das stimmt hoffnungsvoll, reicht aber nicht. Andere – allen voran Jan Trost – müssen sich daran ein Beispiel nehmen.