Vom Bund gibt es die Ehrenamtspauschale, die jeder für die Geschäftsführung eines Vereins in Anspruch nehmen kann. Foto: dpa/Jens Wolf

Jeder zweite von elf Millionen Baden-Württembergern ist ehrenamtlich engagiert. Damit steht man zwar gut da, doch die Politik hat die Herausforderung, den Zusammenhalt zu stärken.

Marbach/Bottwartal – - Friedlinde Gurr-Hirsch kennt als Staatssekretärin für den Ländlichen Raum die Situation vieler Vereine. Das ehrenamtliche Engagement ist nach wie vor hoch, aber Politik und Verwaltung sollten sich noch mehr um den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen.

Sie sind sowohl Staatssekretärin für den Ländlichen Raum als auch Vorsitzende des Blasmusikkreisverbands Heilbronn. Würden Sie die oft gehörte Einschätzung teilen, dass es mit dem Ehrenamt bergab geht?

Die teile ich absolut nicht, weil wir in Baden-Württemberg ein reiches Land sind – reich an ehrenamtlichem Engagement. Wir haben im Bundesvergleich die höchste Zahl an ehrenamtlicher Beteiligung. Die liegt bei fast 50 Prozent, das bedeutet, jeder zweite von elf Millionen ist ehrenamtlich engagiert. Das hat sich sogar erhöht, 2009 waren es noch 41 Prozent, und jetzt haben wir 52,6 Prozent im ländlichen Raum.

Fakt ist aber, dass viele Vereine über mangelndes Engagement klagen. Vorsitzende und Personen in verantwortlicher Position zu finden, fällt zunehmend schwer. Woran könnte das liegen?

Man engagiert sich gerne, aber man möchte nicht der „Häuptling“ sein. Daher geht es in bestimmten Bereichen mehr und mehr in Richtung eines Teams. Ich sehe das bei vielen Landfrauen-Vereinen, dass eine sagt: Ich möchte das nicht alleine machen, wir machen das gemeinsam als gleichberechtigtes Team. Manchmal ist das aber eine Illusion. Der Alltag zeigt, dass Außenstehende eine Ansprechpartnerin, einen Ansprechpartner möchten, der sagt, was Gültigkeit für den Verein hat. Irgendwann stellt sich heraus, dass es keine Gleichrangigkeit gibt, und einer muss mehr Verantwortung übernehmen. Dennoch ist eine Einstellung zu sehen, dass ein Vorsitzender sich nicht über die anderen erheben möchte.

Vor allem die mittlere Generation tut sich schwer, sich im Verein zu engagieren. Haus, Kinder, Leistungsdruck im Job – fehlt schlichtweg die Zeit für noch eine Aufgabe?

Es ist schön, dass in der Jugend, in der Schule sehr viel ehrenamtliche Beteiligung da ist. In der „Rush Hour des Lebens“ zwischen 30 und 45 Jahren lässt das dann deutlich nach. Da ist wenig Zeit für Außenengagement. Die Gruppe der über 70-Jährigen ist wiederum sehr stark ehrenamtlich vertreten. Die Leute haben Erfahrung, sie haben Interesse und sie investieren auch gerne Zeit. Das ist die Chance unserer Gesellschaft. Die älteren Menschen heute sind gut ausgebildet, erfahren durch Reisen, in elektronischen Medien, sie haben Antrieb. So lange sie gesund sind, sind sie super präpariert für einen Job im Verein.

Wie könnte man den Vereinen helfen? Schafft die Politik Strukturen, die ehrenamtliches Engagement erleichtern?

Ich bin froh darüber, dass sowohl der Bund als auch das Land sich darüber Gedanken machen. Wir haben jetzt in unserer Koalition die Herausforderung, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken. Das bedeutet auch Stärkung von Vereinen, Verbänden und Initiativen des bürgerschaftlichen Engagements. Das sind die Helfer, die „Blaulicht-Gruppen“, aber auch soziale und ökologische Initiativen, die wir vor allem in der Gewinnung und Ausbildung von Nachwuchskräften unterstützen. Das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes begrenzt seit dem Jahr 2013 die Haftung der Vorsitzenden. Vom Bund gibt es die Ehrenamtspauschale, die jeder für die Geschäftsführung eines Vereins in Anspruch nehmen kann. Wer regelmäßig für den Verein tätig ist, kann die Übungsleiterpauschale bekommen.

Da gibt es ja die Variante, dass der berufstätige Partner dem Verein in gleicher Höhe eine Spende macht, die dann wiederum steuerlich absetzbar ist. Für den Verein ist das kostenneutral.

Ja, das ist legitim, das so zu handhaben. Was sehr wichtig ist, dass Leute versichert sind, wenn sie für den Verein unterwegs sind. Dafür haben wir einen Rahmenversicherungsvertrag geschaffen. Und für die Weiterbildung im Ehrenamt gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Urlaub, die Nachfrage ist aber leider überschaubar geblieben. Dass man aber soweit geht, dass man für ehrenamtliche Tätigkeit beispielsweise Rentenpunkte bekommt oder Vorsitzende beim Verein anstellt, dass führt eher dazu, dass die Motivation – zumindest bei den übrigen – Ehrenamtlichen abnimmt. Eine bessere und schöne Möglichkeit, für die ich immer Werbung mache, ist der „Bufdi“, der Bundesfreiwilligendienst. Die können temporär Aufgaben übernehmen, beispielsweise für eine Festschrift, oder um das Notenarchiv zu ordnen oder um das Vereinsheim umzubauen. Das kann ja jemand aus dem Verein sein.

Oft findet Ehrenamt im Verborgenen statt. Wie kann bürgerschaftliches Engagement einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen?

Das ist mitunter ein Manko. In den Gemeinden sollte das Vereinsregister so geführt werden, dass man erkennen kann, welche Jubiläen anstehen. Wenn der Herr Maier oder die Frau Müller 15 Jahre Schriftführer beim Obst- und Gartenbauverein ist, kann man die Landesehrennadel beantragen und die kann dann der Bürgermeister beim Neujahrsempfang überreichen. Dadurch steht diese Person im Mittelpunkt. Das passiert leider nicht in jeder Gemeinde. Wir brauchen eine Anerkennungskultur für Menschen, die etwas Besonderes tun, vor allem in Bereichen, die nicht so offensichtlich sind. Bei den Sportlern gibt es die Sportlerehrung, aber es gibt auch Kultur und sehr viel Soziales. Es ist kein Ehrenamt, wenn jemand ein behindertes Kind 30 Jahre lang pflegt und auf eine Berufstätigkeit verzichtet. Aber das ist etwas, dass man nach außen tragen kann und das Anerkennung verdient. Viele Gemeinden haben eine Ehrenamtskultur und eine eigene Auszeichnung für besondere Verdienste. Für Menschen, die etwas ganz besonderes gemacht haben, kann man beim Ministerpräsidenten die Staufermedaille zu beantragen. Ich würde die Gemeindeverwaltungen dazu auffordern, da stärker den Blick drauf zu haben.