Bürgermeisterin Barbara Schönfeld (vorne) mit Landrat Norbert Heuser, Amtsleiter Marc Hoffmann und Staatssekretär Siegfried Lorek (von rechts) sowie THW-Mitarbeitern. Foto: /avanti

Das Landratsamt Heilbronn kann 120 Vertriebene aus der Ukraine auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Spätregen-Mission in Beilstein unterbringen.

Eine Kirche, die keine mehr ist, öffnet in Beilstein ihre Tore. In ihr finden rund 120 Vertriebene aus der Ukraine vorübergehend eine Bleibe. Das Gotteshaus auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Spätregen-Mission erfüllt jetzt einen anderen Zweck: Sie wird zur Schlafstätte. Die Verantwortlichen der beteiligten Behörden zeigten sich beim Rundgang am Donnerstag überaus zufrieden. Sie sprachen wegen der Infrastruktur mit Küche und Speisesaal im Nachbargebäude von einem Glücksfall für die Unterbringung.

Im Laufe des Donnerstages sollte der erste Reisebus mit rund 50 registrierten Flüchtlingen aus dem Aufnahmelager in Ellwangen eintreffen. Landauf, landab kommen in diesen Tagen die von den Kriegswirren nach Deutschland Gespülten an – die meisten von ihnen sind Mütter mit Kindern. Das Gelände in Beilstein gehört der Stadt. Sie stellt es dem Landkreis zur Verfügung.

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Die Landratsämter stehen unter Druck. Sie benötigen für die Erstaufnahme Unterkünfte – doch bereits im November vor Kriegsausbruch hatten die Zahlen von Asylsuchenden zugenommen. Fünfmal habe das Land die Zuweisungsrate an die Kreise erhöht, berichtete in Beilstein der Heilbronner Landrat Norbert Heuser. Die Zahl habe sich von insgesamt 700 bis 900 im Jahr 2020 auf 2500 pro Monat erhöht. Die meisten Flüchtlinge waren über das Mittelmeer und durch Belarus nach Deutschland gelangt. Deshalb habe er schon im November vorigen Jahres einen Appell an die 46 Kreiskommunen gerichtet – mit einigem Erfolg. „Wir haben die Hälfte von 200 Personen, die eigentlich bereits in der Anschlussunterbringung sein sollten, in den Kommunen untergebracht.“

Noch ist nicht klar, wie viele Ukrainer Unterkünfte brauchen

Der Russland-Ukraine-Krieg wird die Situation in den nächsten Monaten verschärfen. Wie viele Geflüchtete untergebracht werden müssen, erscheint noch unklar. „Wir rechnen erst mal mit einer Million für Deutschland und 130 000 für Baden-Württemberg“, erklärte in Beilstein Siegfried Lorek, Staatssekretär des Ministeriums der Justiz und für Migration. Die Hilfsbereitschaft sei groß, was sich durch die hohe Zahl privater Unterkünfte ausdrücke – die Bevölkerung trage die Belastung erfreulicherweise mit, sagte der CDU-Landtagsabgeordnete.

Staatssekretär geht von höherer Akzeptanz aus

Die Solidarität spiegelt sich in den Zahlen des Landkreises Heilbronn, wo laut Landratsamt derzeit rund 1700 Geflüchtete wohnen, aber nur 109  staatlich untergebracht sind. Weil er aber auch Anrufe erhalte von Menschen, die ihre Aufgenommenen nach zwei Wochen wieder loswerden wollten, sprach Staatssekretär Lorek von einem „gesellschaftlichen Marathon und keinem 100-Meter-Lauf“. Auch in Kindertagesstätten und Schulen stehe das Land nicht zuletzt wegen knappen Personals vor einer Herausforderung. Anders als im Jahr 2015 sei die Akzeptanz diesmal größer, weil hauptsächlich Mütter mit Kindern kämen, nicht junge Männer. Dennoch sollte an den Grenzen die Identität festgestellt werden, da illegale Einwanderer die Situation ausnützen könnten.

Bürgermeisterin ist stolz auf die Hilfsbereitschaft in Beilstein

Mit Hochdruck sind an diesem Morgen etwa 25 Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks Weinsberg zugange. Sie hatten schon am Dienstag begonnen, Kirchenbänke zu entfernen und die Vierbett-Unterkünfte mit Stockbetten, Spinden und Trennwänden zu errichten. Für den Landkreis Heilbronn seien die 120 Plätze eine Hilfe, sagt Isabelle Haaf, Leiterin des Amtes für Migration und Integration im Landratsamt Heilbronn. Von 1060 staatlichen Plätzen seien 849 besetzt.

Die Hilfsbereitschaft in Beilstein sowohl durch die Bevölkerung als auch in den Gremien mache sie stolz, betonte Bürgermeisterin Barbara Schönfeld. Privat seien 16 Ukrainer untergekommen. Die Stadt habe das Gelände wegen der 60 Bewohner der Spätregen-Mission sozial verträglich entwickeln wollen. „Die Bewohner sind sehr offen und begrüßen die Hilfe.“ Die Situation sei stabil und ein gutes Miteinander zu erwarten.

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Deutsche Spätregen-Mission: Freikirche und Sekte

Insolvenz
 Die Stadt Beilstein hat das Gelände der Deutschen Spätregen-Mission (DSM) nach deren Insolvenz im Jahr 2020 gekauft. Die Freikirche konnte Rentenbeiträge für Aussteiger nicht nachzahlen. Diese sprachen zum Teil von der „schlimmsten Psychosekte Deutschlands“ und berichteten von Drohungen, Mobbing und Zwang.

Gründung
  Die fundamentalistische Freikirche wurde im Jahr 1927 in Südafrika gegründet. In Deutschland gibt es sie seit den 1950er-Jahren. Die Mitglieder in Beilstein lebten abgeschieden von der Außenwelt und gingen in den Gebäuden des „Hauses Libanon“ Arbeiten im Haushalt, der Küche, der Näherei oder den missionseigenen Werkstätten nach – ohne dafür Lohn zu erhalten. Ihnen zugesagt war aber Sorge im Alter.