Beim Besuch in Marbach gibt Steffen Krebs einen Einblick in seinen spannenden Alltag. Foto: Werner Kuhnle

Steffen Krebs spielte 17 Jahre lang beim GSV Erdmannhausen – heute ist er Torwarttrainer bei den Bundesliga-Profis von Borussia Mönchengladbach.

Erdmannhausen - Auf Tabellenplatz zwei stehend, ist Borussia Mönchengladbach die Überraschungsmannschaft der laufenden Bundesliga-Saison. Nur 18 Gegentore kassierte der Traditionsverein und fünffache Deutsche Meister bis zur Winterpause – Ligabestwert. Gehörigen Anteil daran hat ein waschechter Erdmannhäuser: Steffen Krebs, der 17 Jahre für seinen „geliebten“ GSV kickte, ist der Torwarttrainer der Gladbacher – und hat damit die Aufgabe, den Schweizer Nationalkeeper Yann Sommer Woche für Woche zur Höchstform zu bringen. Was ihm ganz offensichtlich glänzend gelingt.

Doch wie kam es zustande, dass der 36-Jährige Bundesliga- und Europa-League-Luft schnuppert, statt über die Sportplätze der Kreisliga zu tingeln? Dass er bei Spielen seiner Mannschaft gegen Bayern München, Borussia Dortmund und den AS Rom auf der Trainerbank Platz nimmt, statt gegen Nachbarvereine aus Affalterbach, Steinheim oder Marbach? Schließlich stand Steffen Krebs selbst in der Kreisliga A zwischen den Pfosten, abgesehen von zwei Landesliga-Jahren beim SV Unterweissach, Verbandsligaeinsätzen während seines Studiums in Köln und Auswahlspielen in der Jugend.

Weiterhin eine enge Verbindung in die Heimat

Die Antworten liefert der Erdmannhäuser bei einem Interview zwischen den Jahren in einem Café in Marbach – und es spricht für ihn, dass aus einer Tasse Kaffee irgendwann zwei werden. Denn trotz seines eng getakteten Terminkalenders, der nur wenige Möglichkeiten eines Heimatbesuchs bietet, nimmt sich der einstige Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums viel Zeit. Von Allüren keine Spur – im Gegenteil. Steffen Krebs spricht bodenständig vom guten Umfeld in seiner Heimat, das er zu schätzen weiß. Dass er immer gerne nach Hause zu Familie und Freunden kommt – wo er den Fußball auch mal Fußball sein lassen und zur Ruhe kommen kann. Dass er 2017 im Relegationsspiel des GSV Erdmannhausen gegen den FSV Oßweil II noch mal aushalf. Und er spricht von den Glücksmomenten, wenn Erdmannhäuser Weggefährten bei Gladbach-Spielen etwa in Hoffenheim oder im DFB-Pokal in Sandhausen aufkreuzen – mal angekündigt, mal als Überraschung. „Sie schreiben mir auch immer wieder Nachrichten und fiebern mit. All das ist durch nichts zu ersetzen“, schwärmt Krebs.

Seit eineinhalb Jahren in Mönchengladbach

Seit eineinhalb Jahren ist er für die Torhüter der Gladbacher Bundesliga-Mannschaft zuständig. Das Training leitet er meist mit Torhüter-Legende Uwe Kamps, der Leiter des Torhüterbereichs im Verein ist. „Ich habe ihn bei einem Lehrgang kennengelernt“, erinnert sich Steffen Krebs, der zu dieser Zeit im U23- und U19-Bereich bei 1899 Hoffenheim wirkte und in den Gesprächen mit Kamps bleibenden Eindruck hinterließ. Denn irgendwann klingelte Krebs’ Telefon – und am anderen Ende der Leitung war Gladbachs Sportdirektor Max Eberl. „Da ging mein Puls schon kurz hoch. Er berichtete mir dann, dass sich die Borussia im Torhüterbereich neu aufstellen möchte. Sie erkannten, dass da noch Potenzial ist“, so Krebs – der daraufhin die Koffer packte und im Sommer 2018 mit seiner Frau Tanja nach Mönchengladbach zog.

Es war der nächste große Schritt auf der Karriereleiter des 36-Jährigen. Ein Schritt, von dem Krebs noch vor wenigen Jahren nicht zu träumen gewagt hätte. „Ich hatte nie das feste Ziel, in den Lizenzspielerbereich zu kommen. Darüber habe ich nicht mal nachgedacht. Mein Traum war es, den Sprung in ein Nachwuchsleistungszentrum zu schaffen, weil es mir am meisten Spaß machte, junge Spieler zu entwickeln. Das hat sich also erst alles Schritt für Schritt entwickelt.“

Diplomarbeit weckt bei Torhütertrainern großes Interesse

Die Liste seiner Stationen ist lang: Nach seinen Jahren beim GSV Erdmannhausen, wo Krebs auch Jugendteams trainierte, studierte er an der Sporthochschule Köln, wo er 2008 für seine Diplomarbeit analysierte, inwieweit sich das Torhüterspiel verändert hat. „Das war die Zeit, in der der Begriff Torspieler aufkam. Und wie sich herausstellte, nahm der Anteil der mitspielenden Aktionen bei Torhütern gegenüber den Dingen wie Ballfangen tatsächlich zu“, so Krebs, dessen Analyse bei Torhütertrainern auf großes Interesse stieß und die auch noch heute zur Anwendung kommt.

Krebs arbeitete fortan als Stützpunkttrainer in Ludwigsburg und fand den Weg zum Württembergischen Fußballverband (wfv) in die Abteilung Fußballentwicklung. Er besuchte mit dem DFB-Mobil Vereine und wirkte beim Programm DFB-Juniorcoach bei der Ausbildung von Trainern. „Meine letzte Amtshandlung war, dass das FSG Marbach ein Standort dafür wird.“ Im Rahmen seiner Tätigkeiten lernte er VfB-Torwarttrainer Eberhard Trautner kennen, der ihn zur U14 nach Bad Cannstatt holte. Dort betreute Krebs mit den Jahren immer ältere Teams, zuletzt die U17 und U19. Und nach sieben Jahren beim VfB zog es ihn nach Hoffenheim, wohin er Kontakt zu Torwartkoordinator Michael Rechner hatte.

Vom VfB Stuttgart geht's zu 1899 Hoffenheim

Hatte er beim VfB im Jugendbereich unter Domenico Tedesco, Thomas Schneider und Tayfun Korkut gearbeitet, war er im Kraichgau für die Torhüter der U19 und U23 zuständig. „Auch Cheftrainer Julian Nagelsmann hat sich für diesen Bereich interessiert“, sagt Krebs, der zeitweise den Torhütertrainer des Erstligakaders vertreten durfte, da der einen Lehrgang besuchte und Vater wurde. „Wir waren mit der U23 im Trainingslager in Freiburg, als mich freitags das Handy weckte. Ich solle direkt nach Hoffenheim kommen. Von dort ging es zum Auswärtsspiel nach Bremen.“ Krebs’ Bundesligapremiere erfolgte im Weserstadion. „Ein tolles Stadion, das war wirklich fantastisch.“

Die Einheiten mit Oliver Baumann und Alexander Stolz bezeichnet Krebs heute als seine „Reifeprüfung“. Und er lernte die Abläufe im Profibereich kennen. „Es war auch von Vorteil, dass Hoffenheim international spielte. Das half mir für die Erstellung des Trainingsplans für diese Saison in Gladbach.“

Videoanalyse großer Bestandteil des Alltags

Zu seinen Aufgaben zählt bei den Borussen nicht nur das Training an sich. Vor Spielen am Nachmittag absolviert er mit Yann Sommer eine Aktivierungseinheit, um die Wartezeit zu nutzen. Während der Partie sitzt er meist neben Ersatzkeeper Tobias Sippel, mit dem er über das Spiel spricht. Für Cheftrainer Marco Rose ist er dann erster Ansprechpartner, was das Torhüterspiel angeht. „Er sagt mir, ob er eher den Spielaufbau oder lange Bälle nach vorne haben möchte.“ In der Halbzeitpause wird das Geschehen kurz analysiert. Und nach dem Spiel geht’s direkt weiter: Mit den Videoanalysten geht Krebs durch, welche Sequenzen mit Yann Sommer besprochen werden sollen. Das Team schneidet diese die Nacht über zusammen – ehe Krebs die Videos um 8 Uhr morgens mit dem Keeper analysiert.

Sowieso spielen Videos im Traineralltag von Steffen Krebs eine gewichtige Rolle. Vier bis fünf komplette Fußballspiele schaut er sich pro Woche an, um andere Torhüter zu beobachten. Dazu kommen Highlights, Zeitlupen-Sequenzen oder Videos mit dem Blick aus der Hintertor-Perspektive. „Ich mag komplett ausgebildete Keeper. Besonders Jan Oblak von Atletico Madrid verkörpert das. Er hat einen guten Fuß, ein top Stellungsspiel, hält viele Bälle, hat ein super Eins-gegen-eins-Verhalten und ist in der Strafraumbeherrschung und der Raumverteidigung super.“ Auch Kasper Schmeichel von Leicester City oder André Onana von Ajax Amsterdam seien Paradebeispiele. Gute Keeper zeichne neben den technischen Fähigkeiten generell ein Selbstbewusstsein aus. „Es braucht Mentalität, Mut und eine gewisse Verrücktheit.“

An Krebs werden hohe Erwartungen gestellt

Auch Gladbachs Keeper Yann Sommer ist freilich ein Top-Torhüter. „Er ist sehr fordernd und anspruchsvoll. Er arbeitet hart an sich und möchte sich entwickeln – erwartet das entsprechend auch von seinem Torwarttrainer. Es geht darum, dem gerecht zu werden, neue Reize zu setzen und ihn durch kleine Anpassungen noch besser zu machen“, sagt Steffen Krebs, der sich noch gut an seine erste Einheit mit Sommer erinnert: „Da dachte ich: wow! Der ist echt gut. . . !“

Im Training setzt er auch mal auf die Strobo-Brille, bei der die Gläser abwechselnd dunkel und hell werden. „Es muss aber nicht unbedingt alles hochmodern sein. Wir trainieren auch mit Tennisbällen oder einer Piraten-Augenklappe, die 1,99 Euro kostet.“ Im ständigen Austausch über die aktuelle Form Sommers ist er mit Patrick Foletti, dem Torhütertrainer der Schweizer Nationalelf. „Wir haben wöchentlich Kontakt“, so Krebs, der Foletti bereits in seiner Hoffenheimer Zeit kennengelernt hatte – spielte in der Jugend dort doch der heutige VfB-Keeper Gregor Kobel, der ebenfalls Eidgenosse ist.

Eine ganze Stadt im Borussia-Fieber

Und so genießt es der 36-Jährige, das Bundesligageschäft hautnah mitzuerleben. „Gerade Gladbach ich ein toller Verein. Er hat eine riesige Strahlkraft. Selbst beim Trainingslager am Tegernsee sind immer 1000 Fans vor Ort. Und aus ganz Baden-Württemberg, von Hohenlohe bis zum Bodensee, schreiben mir Gladbach-Fans, die ich noch aus meiner wfv-Zeit kenne. Man glaubt ja nicht, wie viele Gladbach-Fans es hier gibt.“ An den Spieltagen sei die ganze Stadt im Borussia-Fieber. „Sie lebt das richtig.“ In den Vorgärten würden die Fahnen gehisst, überall liefen Menschen, die das Trikot übergezogen haben.

Keine Rolle mehr spielt die Tatsache, dass Krebs in seiner Jugend Köln-Sympathisant war – dem stärksten Rivalen der Gladbacher. „Mein Vater war riesiger Köln-Fan, dadurch hat es auf mich abgefärbt. Aber ich war kein richtiger Köln-Fan, sondern Fan von Eintracht Frankfurt. Ich habe einfach schönen Fußball geliebt, und bei Frankfurt spielten damals Anthony Yeboah oder auch Uwe Bein.“

Alles fing in der D-Jugend in Erdmannhausen an

In dieser Zeit wurde auch der Grundstein dafür gelegt, dass Steffen Krebs überhaupt eine erfolgreiche Torwarttrainer-Laufbahn hinlegte. Seine Gedanken lenkt er wieder in Richtung Heimat. „In der D-Jugend beim GSV Erdmannhausen, als wir beim FC Marbach spielten, kam unser Torhüter nicht. Gegen Marbach haben wir immer hoch verloren. In der Kabine überlegten wir dann, wer ins Tor gehen könnte – ich habe das dann gemacht. Wir haben 1:4 verloren, was vergleichsweise okay war.“ Vor allem aber sei der Funke des Torhüterspiels auf ihn übergesprungen. Eine Funke, aus dem längst eine lodernde Flamme geworden ist.