Romulus Revisz genießt sein Eis im Marbacher Biergarten. Foto: Werner Kuhnle

Romulus Revisz hat sein wohl härtestes Duell hinter sich. Der Tischtennisspieler hat einen Gehirntumor besiegt.

Steinheim - Die Sonne knallt vom Himmel. Es hat rund 30 Grad. Romulus Revisz und sein Sohn Andrei spazieren lässig vom Parkplatz aus in Richtung Marbacher Bootshaus. Er und ich sind zu einem Kaffee verabredet. Bei den warmen Temperaturen entscheiden wir uns aber kurzerhand für ein Eis. Wir suchen uns einen Schattenplatz, setzen uns in den belebten Biergarten. Romulus Revisz – für mich und wahrscheinlich auch für viele andere Mister Tischtennis in Steinheim – schaut sich um und lächelt. Er genießt das bunte, rege Treiben, die Gesellschaft seines 17-jährigen Sohnes. Denn ihm ist bewusst: Es ist nicht selbstverständlich, dass er hier ist. Er könnte jetzt auch tot sein, hätte seine Frau nicht so gehandelt, wie sie es getan hat.

Vor rund eineinhalb Jahren lieferte sie den heute 46-Jährigen ins Krankenhaus ein, „ich habe damals wohl nicht mehr richtig reagiert. War total abwesend. Ich selbst habe davon nichts gemerkt“, erzählt er. Einzig Kopfschmerzen und etwas Schlaflosigkeit quälten ihn. „Das habe ich aber auf die anstrengende Saison geschoben, die gerade vorbei war. Ich dachte, der Ballast fällt etwas ab“, sagt er. Doch es war höchste Eisenbahn. Die Diagnose: Gehirntumor. Eine Operation und viele Chemotherapien später sitzt er mir nun im Marbacher Biergarten gegenüber und sagt: „Ich bin ein Glückspilz. Schon immer. Das hätte auch ganz anders laufen können, die Chemo hätte nicht anschlagen können.“

Aktuell gilt Revisz als stabil ungefährdet, geheilt ist er deshalb aber nicht. „Ich weiß, dass der Tumor jederzeit zurückkommen kann“, sagt er. Verrückt macht er sich deshalb aber nicht, auch „wenn ein Hauch von Sorgen natürlich immer da ist, denn ich will da nicht noch einmal durch. Aber ich habe es akzeptiert. Ich kann nicht ändern, was passiert“, sagt er. Demütig erscheint er der Krankheit gegenüber. Gleichzeitig wirkt er aber auch kämpferisch und geht ganz offen mit der ganzen Situation um. Bildlich will er mir sogar zeigen, wie groß seine zwei Tumore waren. „Mach mal eine Faust“, sagt er. Ich tue es. „Genau so groß waren beide Tumore zusammen. Den einen, den größeren von beiden, konnten die Ärzte bei der Operation entfernen, den anderen leider nicht. Da hat die Chemo dann aber angeschlagen“, berichtet er ganz sachlich.

Sein Sohn Andrei hört aufmerksam zu, isst sein Eis. Eine Kugel Schokolade, eine Kugel Vanille und eine Portion Sahne. Genauso wie sein Vater, der den Löffel gerade im Eis stecken lässt und erklärt: „Die Krankheit hat meine Sichtweise verändert. Ich schätze seitdem alles viel mehr.“ Seine Familie, seinen Job als Tischtennistrainer, sein Umfeld. „Ich bin dankbar für mein Leben. Ich habe alles erreicht, was ich wollte“, sagt er. Dafür hat der zweifache Familienvater aber auch allerhand auf sich genommen. Das wohl schwerste: Er ließ seine Familie alleine in Rumänien zurück und machte sich auf nach Deutschland, um es dort als Profi zu probieren.

Zuvor hatte er schon eine ganze Zeit lang Geld mit dem Tischtennisspielen verdient. Zum ersten Mal im Alter von 16 Jahren in Bukarest, seiner Heimatstadt. „Ich habe dort drei, vier Jahre lang gespielt und abends nebenher die Schule besucht, um mein Abitur zu machen“, erzählt er. Als 1989 die rumänische Revolution stattfand und der Kommunismus abgeschafft wurde, packte Revisz seine Sachen und ging zum Tischtennisspielen ins Ausland. „Vorher war das ja verboten. Doch dann ist halb Rumänien losgezogen“, erinnert er sich.

Einem Jahr im Kosovo folgten drei Jahre in Maribor in Slowenien, ehe er einige Zeit lang in Österreich in den höchsten Ligen aufschlug. In dieser Zeit holte er zahlreiche Titel: Als Schüler und Jugendlicher war er jeweils Vize-Europameister, in seiner Heimat Rumänien mehrfacher Landes-Titelträger. 1998 verschlug es Revisz dann zum Regionalligisten TV Unterboihingen. Es war seine erste Station in Deutschland, bei seiner zweiten spielt er bis heute: beim TSG Steinheim. 2007 schrieb er dort sogar Vereinsgeschichte.

„Ich habe in Steinheim die Möglichkeit gekriegt, eine Festanstellung zu bekommen. Das war wichtig für mich, denn nur so konnte ich meine Familie aus Rumänien zu mir holen“, berichtet er. Und nur so konnte er sein Ziel, seinen zwei Kindern – Sohn Andrei und Tochter Christina – bessere Perspektiven als in Rumänien zu bieten, erreichen. Bis heute ist Revisz als Trainer beim TSG angestellt, ganze 17 Jahre sind es inzwischen. In dieser Zeit hat er das Bottwartal und die ganze Umgebung lieben gelernt. „Wir sind hier zu Hause“, sagt der 46-Jährige, der 2011 mit seiner Familie von Steinheim nach Asperg zog. Kurzzeitig wurde damals im Hause Revisz deshalb über einen Wechsel diskutiert, aber auch schnell wieder verworfen. „Im Tischtennis geht es um Kontinuität. Da kann man sich nicht in zwei, drei Jahren die Taschen voll machen und das war es dann. Man braucht einen Verein, der stabil ist und das findet man nicht überall.“ In Steinheim habe er das aber gefunden, zudem sei das Umfeld toll. „Und auch die Ligen sind interessant. Deshalb gibt es keinen Grund zu wechseln“, meint er. In der vergangenen Saison schlugen Revisz und seine Kollegen in der Landesliga auf. Es gab aber auch schon andere, prunkvollere Zeiten unter ihm als Spielertrainer. 2004 schaffte er es mit der Herren-Mannschaft aus der Ober- in die Regionalliga. 2007 führte er das Team sogar bis in die 2. Bundesliga Süd und schrieb damit Vereinsgeschichte. Lächelnd erinnert er sich an diese Zeit zurück, kratzt noch ein letztes Mal in seinem Eisbecher, ehe er ihn leer zur Seite stellt.

Beweisen muss Romulus Revisz sich heute nichts mehr, die Liga in der er spielt, ist ihm nicht wichtig. Naja, sie ist nicht das Wichtigste, sagen wir es so. Denn ehrgeizig ist Revisz immer noch. „Aber auch ich bin älter und weiser geworden. Früher habe ich mir wegen meines krampfhaften Ehrgeizes schon mal Wortgefechte mit meinen Trainern geliefert. Heute bin ich da entspannter“, erzählt er. Ob seine Krankheit da mit reinspielt? – „Vielleicht ein bisschen. Ich weiß inzwischen, dass es nichts Schlimmeres gibt, als krank zu sein“, meint der selbst ernannte Arztmuffel. Umso glücklicher ist er deshalb darüber, dass er wieder spielen und trainieren kann. Und dass er anderen wieder Tipps geben kann. So wie er es immer getan hat. Denn: Revisz hat in Steinheim in den vergangenen Jahren wahrscheinlich schon fast jeden trainiert. Egal ob Bambini, Schüler oder Erwachsenen. Auch Schul-AGs betreute er. „Mir macht das Spaß. Tischtennis ist meine Leidenschaft, mehr als ein Hobby.“ Sohn Andrei meint: „Tischtennis ist alles für ihn.“ Doch da widerspricht Revisz rigoros. „Viel, nicht alles. Alles ist die Familie für mich.“

Wie viel ihm das Spiel mit dem weißen Zelluloidball bedeutet, wird jedoch klar, als er von seiner Zeit direkt nach seiner Operation und damit während der Chemo erzählt. „Im September wurde ich operiert, im Dezember hatte ich aber wieder Lust und Bewegungsdrang. Da habe ich mit der Wiedereingliederung begonnen.“ Die Behandlung ging derweil noch drei Monate lang weiter und schlauchte. „Ich hatte keine Kondition mehr nach all der Zeit und hatte etwas Angst, denn ich durfte eigentlich nicht belasten, geschweige denn joggen. Am Anfang war nach fünf bis zehn Minuten Schluss. Auch, weil ich Angst hatte, zu viel zu tun und zusammenzubrechen. Ich wusste ja nicht, wie mein Körper reagiert. Aber irgendwann habe ich mir dann gedacht: Was soll’s? Es sind ja Leute in der Halle, da kann dann einer den Krankenwagen rufen. Ich habe mir selbst Mut zugesprochen und nach und nach ist das mulmige Gefühl dann verschwunden.“ Im März, zum Ende der Chemo, konnte er bereits wieder richtig spielen. Inzwischen ist die Angst komplett verschwunden. Was geblieben ist, sind die Erinnerungen an die Menschen, die ihm in dieser Zeit Mut zugesprochen haben und für ihn da waren. „Das war sehr viel wert. Der Verein hat mir Kraft gegeben“, sagt er. Die Kraft, die er selbst in den vergangenen 17 Jahren wohl in seine Arbeit beim TSG gesteckt hat.

Jetzt, mehr als eineinhalb Jahre nach der Schockdiagnose, ist Revisz wieder voll da. Neben seiner Arbeit beim TSG macht er sogar eine Ausbildung zur Lagerfachkraft. „Ich lebe noch – und das genieße ich“, sagt er, schaut sich in dem belebten Biergarten um und wirkt zufrieden, im Einklang mit sich und der Welt. Wir nehmen unsere Becher, gehen zum Ausgang und verabschieden uns. Romulus Revisz legt seinen Arm um seinen Sohn. Gemütlich schlendern die beiden zurück zu ihrem Auto, froh sich zu haben. Das merkt man.