Celine Wissmann hat das Abi mit Bravour geschafft. Foto: privat

Die 18-Jährige erkrankte 2015 an einer seltenen Form der Leukämie.

Steinheim - Ihre Tochter ist eine Kämpferin. Das hat sie in den vergangenen vier Jahren immer wieder bewiesen. Und doch ist für Silke Wissmann das, was in den vergangenen Wochen passiert ist, alles andere als selbstverständlich. „Vor vier Jahren hätten wir nicht gedacht, dass Celine ihren 18. Geburtstag feiern kann“, erzählt Silke Wissmann und kämpft mit den Tränen. Die Erinnerungen an die schwere Zeit, die die Familie zusammengeschweißt hat, ploppt immer wieder auf. Im April 2015 ist bei ihrer damals 13-jährigen Tochter eine extrem seltene Form der Leukämie diagnostiziert worden. 16 Monate lang verbrachte die junge Steinheimerin vor allem in Kliniken. Im Juni 2016 nach dem letzten Chemozyklus kehrt Celine wieder an das Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium und damit in den Alltag zurück.

Auch wenn die Gymnasiastin während der schweren Krankheit in den Hauptfächern von Hauslehrern unterrichtet wurde, verpasste sie ein Halbjahr der achten und die ganze neunte Klasse. Andere hätten ein Schuljahr nachholen müssen, doch Celine – vor Beginn ihrer Krankheit eine Einser-Schülerin gewesen – ist außerordentlich ehrgeizig. „Ich konnte nicht alles aufholen und alle Lücken schließen. Vor allem in Chemie und Geschichte fiel der Anschluss schwer, aber meine Freunde und Mitschüler haben mir geholfen und mein Ehrgeiz war auch immer da“, erzählt die 18-Jährige. Und er wurde belohnt. Ihr Abitur hat Celine Wissmann mit Bravour gemeistert. Eine 1,1 ist es geworden – trotz der langen Fehlzeit. Ein Notendurchschnitt, mit dem sie „mega zufrieden“ ist. Wobei: „Eine 1,0 wäre noch besser gewesen“, sagt die frisch gebackene Abiturientin und lacht. Die Prüfungszeit sei stressig gewesen, aber nicht so schlimm, wie sie sich das als Fünftklässlerin immer vorgestellt hatte. Der Werksvergleich von „Faust“, „Steppenwolf“ und „Der goldne Topf“ in Deutsch fiel am schwersten. Englisch und Chinesisch gingen am leichtesten von der Hand.

Nach einer rauschenden Abifeier in der Stuttgarter Liederhalle erfüllte sich die 18-Jährige zusammen mit zwei Freundinnen einen Traum und reiste nach Bali. „Wir haben bis nachts gefeiert und am frühen Morgen ging es dann zum Flughafen“, erzählt sie und strahlt. Mutter Silke ist glücklich für ihre Tochter. „Sie hat so viel durchgemacht und soll ihr Leben jetzt genießen.“ Dennoch hat sich die Familie doppelt und dreifach abgesichert und der Tochter, die immer gern alles ausprobiert, vor der Abreise mehrfach eingetrichtert, dass etwa ein Bungee-Sprung zu gefährlich wäre. „Sie darf sich nicht verletzen“, erklärt die Mutter. „Durch die Chemotherapien sind ihre Knochen porös und spröde und das Gewebe ist nekrotisch. Da würde kein Nagel halten.“

Alle drei Monate muss Celine Wissmann noch zum Gesundheitscheck. „Eigentlich geht es mir ganz gut, aber ich habe immer wieder Schmerzen in den Knochen und auch der Thrombus im Herzen ist noch da.“ Die früher erfolgreiche Karatekämpferin muss sportlich nicht nur kürzer, sondern kurztreten. „Ich habe mit Kickboxen angefangen, aber die Schmerzen in den Knien waren zu groß.“ Aquagymnastik, Walken oder Tanzen ginge, aber alle drei Sportarten sind nicht wirklich nach dem Geschmack der 18-Jährigen. „Ich muss das einfach akzeptieren – und das fällt mal leichter und mal schwerer.“

In den nächsten Wochen dreht sich im Hause Wissmann eh erst mal alles um die berufliche Zukunft der Tochter. An drei Universitäten hat sich Celine beworben. Vom Wintersemester an möchte sie Medizin studieren. Am liebsten in Freiburg. „In die Stadt habe ich mich sofort verliebt“, erzählt die Abiturientin und strahlt. Zusammen mit der Familie ist sie in den Pfingstferien in Baden-Württemberg und Bayern auf Erkundungstour gegangen. „Celine würde auch gern im Norden studieren, aber ich möchte in ein, zwei Stunden bei ihr sein können, falls es ihr gesundheitlich mal nicht gut geht“, begründet Silke Wissmann die Begrenzung auf die beiden südlichen Bundesländer. Neben Freiburg hat sich die Steinheimerin noch in Mannheim und Ulm beworben.

Als Ärztin will sie anderen Menschen helfen. Außerdem ist sie sich sicher, dass ihre eigene Krankheitsgeschichte ein Vorteil im Umgang mit Patienten ist. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man furchtbare Schmerzen hat oder die ganze Zeit spucken muss nach einer Chemo. Ich verstehe, was sie durchmachen.“ Eine Form der Empathie, die alles andere als selbstverständlich ist. In welche Fachrichtung sie sich spezialisieren wird, weiß Celine noch nicht. „Ich könnte mir aber vorstellen, Kinderärztin oder Onkologin zu werden.“

Nach dem Abitur nicht nur zwei Wochen Urlaub zu machen, sondern vor dem Beginn des Studiums ein halbes oder ganzes Jahr zu pausieren, hatte die 18-Jährige nie im Sinn. „Für mich war immer klar, dass ich gleich anfange. Ich freue mich total auf diesen neuen Lebensabschnitt und ins Ausland kann ich auch noch während meines Studiums“, sagt Celine Wissmann. Die Krankheit hat die junge Frau noch stärker und zielstrebiger gemacht. Vor der Diagnose Krebs sei alles selbstverständlich gewesen, sagt sie. „Aber heute weiß ich, dass nichts selbstverständlich ist, und schätze jeden Moment, in dem es mir gut geht.“