Die japanischen Schriftzeichen stehen für Gesundheit, Ehre, Treue, Respekt, Liebe und Schmerz. Foto: Werner Kuhnle

Thomas Kurz hat mehrere Schicksalsschläge überwunden. Seine Tattoos haben ihm geholfen.

Kirchberg - Den netten Schwiegersohn von nebenan stellt sich die ein oder andere Mama sicher anders vor. Die Kleidung adrett, die Frisur akkurat. Unauffällig im Strom der Allgemeinheit mitschwimmend. Thomas Kurz ist nichts von dem. Der 35-Jährige will auffallen, provozieren und auch ein wenig abschrecken. Durch seine Piercings, die er sich mit seiner Volljährigkeit hat stechen lassen. Vor allem aber durch seine Tattoos.

„Beinahe jedes hat eine eigene, eine sehr persönliche Geschichte und eine Bedeutung, erzählt Thomas Kurz. „Ich habe sie mir fast alle machen lassen, um gewisse Dinge zu verarbeiten.“ Krankheit, Trennung, Vertrauensbruch, Verlust. Der Kirchberger ist in den vergangenen fünf Jahren durch tiefe Täler und dunkle Wälder geschickt worden. Seine Welt lag in Scherben, doch er hat gekämpft und sie wieder zusammen gesetzt.

2011 geht die Ehe von Thomas Kurz in die Brüche. „Meine Ex-Frau hatte ein Verhältnis mit meinem besten Freund. Beide haben mich betrogen. Über Monate“, erzählt der 35-Jährige. Und als ob dieser Schicksalsschlag nicht schon genug gewesen wäre, bekommt er im September 2011 die Diagnose Hirntumor. „Ich hatte immer wieder Kopfweh, war müde und sah Doppelbilder, aber es ging mir mental ja auch nicht gut, deshalb habe ich das anfangs nicht so ernst genommen“, erinnert sich Thomas Kurz. Als sich dann aber eine Beule auf seiner Stirn zeigt und die körperliche Verfassung immer schlechter wird, geht er am Morgen des 11. September zu seinem Hausarzt. Nach Untersuchungen dann der Schock. „Man sagte mir, ich müsste in den nächsten 48 Stunden operiert werden, erzählt er und hält kurz inne. „Da ändert sich die Lebenssituation auf einen Schlag.“ Es folgt ein Monat im Krankenhaus mit Chemotherapie und Bestrahlung. Das ganze Programm. Um sich nicht selbst aufzugeben und sich stattdessen Kraft zuzusprechen, lässt sich Thomas Kurz am Hals die Worte „Klage nicht, kämpfe“ tätowieren. „Den hatte eine Freundin auf einem Schlüsselanhänger und ich fand das passt zu meiner Situation.“

Vor seiner Krankheit hatte er sich schon das Wort „Freiwild“ auf den linken Unterarm einbrennen lassen. Wer im ersten Moment an die politisch umstrittene Südtiroler Band denkt, die der rechten Ecke zugeschrieben wird, irrt. Zum einen fehlt der Punkt zwischen den Wörtern „Frei“ und „wild“, zum anderen hat die Band auf dem Buchstaben „W“ ein Geweih, das auf der Tätowierung von Thomas Kurz jedoch fehlt. „Das Tattoo hat absolut nichts mit der Band zu tun“, betont er. „Ich sehe mich einfach so: frei und wild.“

Dass der 2012 „spontan’“ in die Haut geritzte Schriftzug der Böhsen Onkelz zusammen mit dem kahl geschorenen Kopf den Eindruck verstärkt, das Gegenüber sei der politisch rechten Ecke zuzuordnen, weiß Thomas Kurz. Ihn deshalb aber als Nazi abzustempeln macht ihn wütend. „Ich bin ein Rebell, will abschrecken und hab’ mich immer gegen den Strom gestellt, aber ich bin definitiv kein Nazi. Seit ich wählen darf, gebe ich meine Stimme der SPD und daran wird sich nie etwas ändern“, stellt er mit Nachdruck in der Stimme klar.

Auch der Elfzeiler auf seinem rechten Oberkörper klingt martialisch. Von Rache und Vergeltung ist in dem Auszug aus dem Film „Der blutige Pfad Gottes“ die Rede. „Ich würde nie körperliche Gewalt gegen einen anderen anwenden, aber mit den Zeilen will ich ausdrücken, dass ich mich nicht mehr unterdrücken lasse und meine Meinung vertrete. Außerdem kann ich es nicht ab, wenn jemand ungerecht behandelt wird. Egal, welche Hautfarbe man hat, egal wo man her kommt und wer man ist.“ Das Statement war das schmerzhafteste Tattoo, erinnert sich Kurz. „An dieser Körperstelle laufen ziemlich viele Nerven.“ Drei Stunden hat es gedauert bis es fertig war.

Das vorerst letzte große Projekt wird mehr Zeit in Anspruch nehmen und vermutlich noch schmerzhafter sein. Die linke Körperhälfte des Kirchbergers soll irgendwann einmal ein bunter Phönix zieren. „Der muss perfekt sein.“ Er soll ein Symbol für die Lebenssituation des 35-Jährigen sein: „Ich bin auferstanden aus der Asche.“

Denn Thomas Kurz hat nicht nur einen Tumor, sondern auch eine schwere Depression überstanden. „Depression ist ein schleichender Prozess und wirkt sich gravierend auf dein Leben aus.“ Ein Leben, das er nicht mehr wollte. Ein Leben, in dem er keinen Sinn mehr sah. Wann er begonnen hat, in dem seelischen Tief zu versinken, kann Thomas Kurz nicht ganz genau sagen, „aber die Trennung war wohl der Anfang“. Freunde, Familie und seine Tiere geben Halt, aber wirklich helfen kann nur er sich selbst. Der Tod seiner geliebten Katze, die eines nachts auf seiner Brust einschläft, bringt die Wende. „Ich hab’ mir gesagt: entweder du legst dich jetzt unter einen Zug oder du machst was.“ Der am Hals tätowierte Spruch „Klage nicht, kämpfe“ gibt dem 35-Jährigen den Impuls. „Ich bin nach Winnenden in die Klinik gefahren, hab rotz und Wasser geheult und dort am Empfang um Hilfe gebeten. Ich konnte nicht mehr.“ Er bekommt Hilfe. Seine als „schwerwiegend“ diagnostizierte Depression wird über mehrere Monate in der Tagesklinik behandelt. Heute, sagt der Kirchberger von sich selbst, sei er wieder aus dem Tal heraus. „Ich bin gefestigt und genieße mein Leben wieder.“ Die Tattoos sind Narben auf seinem Körper, die ihm geholfen haben dorthin zu kommen, wo er heute steht.

Tattoo-Serie
Jeden Samstag in den Sommerferien stellen wir einen Menschen vor, der sich hat tätowieren lassen. Was bedeutet ihm sein Tattoo oder seine Tattoos? Seit wann hat er das oder die Bilder auf der Haut? Und warum hat er das große oder kleine Kunstwerk überhaupt stechen lassen? Ein Video mit Johannes Knödler vom Tattoo-Studio in Marbach kann auf unserer Homepage www.marbacher-zeitung.de angeschaut werden.