Der Jubel vor den rund 150 mitgereisten SGV-Fans kennt keine Grenzen. Foto: Andreas Hennings

Das Siegtor in der 94. Minute katapultiert den SGV Freiberg am letzten Oberliga-Spieltag an die Spitze. Als Sökler einköpft, feiern die Fans von Konkurrent Stuttgarter Kickers bereits auf dem Rasen.

Wäre es nicht ein paar Ligen tiefer passiert – das Fotofinish der Oberliga am Samstag könnte mit seiner Dramatik locker mit den spannendsten Finals der Bundesliga mithalten. Es entschied sich erst in Minute 90 plus 4, als der SGV Freiberg zum 2:1 (0:1) beim FC Nöttingen traf und wieder vorbei an den Stuttgarter Kickers auf den Ligathron kletterte. Wie die Schalke-Fans 2001 hatten die Kickers-Anhänger zu dem Zeitpunkt wegen einer Fehlinformation schon jubelnd den Rasen gestürmt – um dann doch noch aus dem Titeltraum gerissen zu werden. Und das 2:1 war eine Kopie des Herzschlagfinals des VfB Stuttgart im Mai: Freiberg traf ebenfalls in der Nachspielzeit nach einer Ecke per Kopf zum Sieg. Und vermied so die Relegation.

Künftig gegen Offenbach, Kassel, Ulm

Die Zukunft auf dem Freiberger Wasen heißt damit erstmals: Regionalliga Südwest. Es ist der größte Erfolg der Vereinsgeschichte und beschert dem SGV unter anderem Ligaspiele gegen die Kickers Offenbach, Hessen Kassel oder den SSV Ulm 1846.

„Ich habe noch den Schiedsrichter gehört, wie er sagte, das ist die letzte Aktion“, schildert Siegtorschütze Marcel Sökler die Momente, die er so schnell nicht vergessen wird. „Dann sehe ich nach der Ecke von Michael Klauß den Ball auf mich zukommen, ich mache einen Schritt nach vorne und der Ball landet auf meiner Rübe und im Tor. Dann war nur noch feiern angesagt.“ 93 Minuten und 20 Sekunden waren da gespielt, nachdem drei Minuten Nachspielzeit angezeigt worden waren. Entsprechend betont SGV-Trainer Ramon Gehrmann in mit Bier und Sekt getünchter Kleidung: „Wir haben es auch dem Schiedsrichter zu verdanken, dass er die zweite Ecke noch hat ausführen lassen. Das hätte er nicht müssen, ist bei so einem entscheidenden Spiel denke ich aber gewissermaßen gentlemen-like.“ Mit der Mannschaft und den Spielern rissen auch rund 150 Gästefans die Arme in die Höhe.

Der Sieg fällt sehr glücklich aus

Zu sehen bekommen hatten sie bis dahin allerdings schwere Kost. Wüsste man nicht um die Qualität des Freiberger Kaders hätte nichts darauf hingedeutet, dass der SGV die Partie noch gewinnen würde. Im Gegenteil: Nöttingen hatte die besseren Chancen und verpasste es, seinem Gegner den Titel-Knockout zu verpassen. Nah dran waren die Badener: In der 33. Minute ging Nöttingen nach einer Kombination über Links und einem Nachsetzen im Sturmzentrum gar in Führung – verdientermaßen. Denn vorab hatte SGV-Verteidiger Yannick Thermann schon einen alleine aufs Tor zustürmenden Nöttinger mit einer Grätsche von hinten unter höchstem Risiko vom Ball trennen müssen (10.). Und kurz darauf hatte der Gastgeber aus kurzer Distanz hinter dem bereits geschlagenen Keeper Sven Burkhardt nur den Pfosten getroffen (13.).

Und Freiberg? Hatte seine beste Gelegenheit schon nach 90 Sekunden, als der Torhüter einen Schlenzer von Christian Mauersberger sehenswert parierte. Statt eines Sturmlaufs folgte aber: viel Leerlauf, Statik, Ideenlosigkeit. Nöttingen verteidigte gut, blieb durch Konter stets gefährlich.

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Das selbe Bild in der zweiten Hälfte. Zwar glich Kevin Ikpide nach Vorlage von Mauersberger mit einem satten Schuss aus 15 Metern ins links Toreck aus (60.). Freiberg tat sich aber weiterhin sichtlich schwer, Chancen zu kreieren. Stattdessen konterte Nöttingen gefährlich, traf nur das Außennetz (63.) oder schloss freistehend zu überhastet ab (78.). Für den SGV wurde einzig Marcel Sökler gefährlich, dessen Kopfball mit dem Hinterkopf am langen Eck vorbeistrich (82.). Mit langen Bällen suchte sein Team dann das Heil in der Schlussphase – ehe die Folge von zwei Ecken tatsächlich den Sieg einbrachten. Exakt fünf Sekunden, nachdem der Ball die Torlinie überquert hatte, pfiff der Schiedsrichter ab. Es folgte also kein Anstoß mehr. Stattdessen die Jubelarie des SGV-Trosses. Samt Welle mit den Fans, Tanzeinlagen, Sekt- und Bierduschen, einem „Umba“- Wechselgesang und nicht enden wollenden Umarmungen. Freiberg hat’s tatsächlich geschafft. Mit 91 Punkten, 116:30 Toren und nur einer Niederlage in 38 Spielen! Macht am Ende einen Vorsprung von 20 Toren auf die punktgleichen Kickers sowie von 23 Punkten auf die drittplatzierte TSG Backnang. Freiberg: Burkhardt – Rinaldi (60. Klauß), Velagic, Hoffmann, Thermann – Zinram (74. Berisha), Ikpide, Kehl-Gomez (60. Mistl), Mauersberger (80. Kutlu) – Grüttner, Sökler.

Die Freiberger Stimmen zum Spiel

Trainer Ramon Gehrmann
„Es war das erwartet schwere Spiel. Nöttingen hat ultragut verteidigt und hätte 2:0 führen können. Wir waren nicht auf den Punkt da und schläfrig. Selbst das Umschaltspiel klappte nicht, was ich von uns nicht kenne. Nach der Pause wollten wir einfacher spielen, auch das funktionierte nicht gut. Vielleicht war es die Last, dass die Planung von zwei Jahren heute auf den Schultern lastete. Mit dem Spiel bin ich total unzufrieden. Aber es zählt das Tor. Egal wie.“

Sportdirektor Christian Werner
 „Wir haben für den Aufstieg nichts dem Zufall überlassen. Es ging viel auf von dem, was wir uns vor zwei Jahren vorgenommen haben. Als ich zurückkam, habe ich dem Präsidenten versprochen, dass wir aufsteigen. Das ist damit eingehalten. In den nächsten Wochen bin ich Kickers-Fan. Sie lieferten einen geilen Job, und wenn man auf die Waldau schaut, bringt dieses Finish auch ein weinendes Auge mit sich.“

Torhüter Sven Burkhardt
 „So ein Abschied ist natürlich geil. In dem Alter eine Oberliga-Meisterschaft zu erleben, ist sensationell. Unser letzter Wille führte zum Tor. Jeder wollte. Davor war es schwierig, nicht zu sehr zu stürmen, um nicht in mehr Konter zu geraten.“

Marcel Sökler
 „Meisterschaften mit so späten Toren sind die schönsten. Vor dem Tor hab’ ich mich an meinen späten Siegtreffer bei den Kickers erinnert, das auch nach einer Ecke fiel.“

Marco Grüttner
 „Es ist einfach Freude pur nach dieser brutal langen Saison. Beide hätten es verdient. Heute war es eklig, aber ich habe immer dran geglaubt. Dass die Karriere auch noch so endet, ist unglaublich. Jetzt freue ich mich auf die Karriere nach der Karriere.“