Die Stadtbahn ist in Stuttgart eine wichtige Alternative zum Auto. Foto: /(Michael Steinert)

Der Murrer Bürgermeister Torsten Bartzsch hinterfragt die Zahlen des Grünen-Verkehrsministeriums.

Murr - Eine Stadtbahn von Marbach nach Heilbronn auf der Trasse der alten Bottwartal- und der Schozachtalbahn ist plötzlich wieder in aller Munde. Die Potenzialanalyse des Stuttgarter Verkehrsministeriums über 42 stillgelegte Bahntrassen bescheinigte der Strecke landesweit den zweithöchsten Wert mit mehr als 15 000 Fahrgästen täglich, von denen sich auf jedem Streckenabschnitt durchschnittlich 4000 im Zug aufhalten. Doch wie viel taugt die Prognose, nachdem das Projekt zuvor in einer Machbarkeitsstudie des Landkreises Ludwigsburg offenbar deutlich unter dem erforderlichen Kosten-Nutzen-Faktor geblieben war?

Kritisch steht der Murrer Bürgermeister Torsten Bartzsch der Studie aus dem Hause des Grünen-Verkehrsministers Winfried Hermann gegenüber. Besonders das darin ausgegebene Ziel, die Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln, hinterfragt Bartzsch. „Das Ministerium tut so, als ob man durch die Bottwartalbahn viele neue Nutzer bekommt, rechnet aber das Delta aus bestehenden Bus-Nutzern nicht ein, die lediglich innerhalb des ÖPNV in die Bahn wechseln.“ Bartzsch hält das für eine realitätsferne Aussage, die sich spätestens bei der Machbarkeitsstudie räche. Denn dort gehe es um die Wirtschaftlichkeit – dazu gehöre gerade ein starker Steigerungseffekt von Fahrgästen, wenn man das „sehr gute Busnetz“ auf eine neu zu bauende Stadtbahn mit neuen Anliegerbuslinien unter hohen Kosten umbilde. Auch die Umwelt werde durch den Neubau der Bahn belastet.

Wie viele seiner Amtskollegen im Raum Marbach und im Bottwartal wartet Torsten Bartzsch auf die neuen Kriterien für eine Machbarkeitsstudie. Sie sollen die Schwelle für einen positiven Kosten-Nutzen-Effekt von solchen bisher still gelegten Bahnen senken, da wahrscheinlich auch Faktoren wie der Umweltschutz eingerechnet werden.

In der Sache widerspricht das Verkehrsministerium der Annahme von Torsten Bartzsch, die bestehenden ÖPNV-Nutzungen nicht genügend berücksichtigt zu haben. „Die Vermutungen sind nicht korrekt“, teilt Edgar Neumann, Sprecher des Verkehrsministeriums, mit. Bei der Potenzialermittlung seien Nachfragepotenziale aus der bestehenden Gesamtnachfrage abgeleitet worden. „Hierzu wurden mögliche Anteile des Schienenverkehrs auf der Grundlage von Reisewiderständen im ÖPNV und im konkurrierenden Pkw abgeschätzt.“ Der Bus als Zubringer sei dabei genauso wie Bike-and-Ride und Park-and-Ride berücksichtigt worden. Letztlich gehe es darum, die Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Land als großes Gesamtziel zu erreichen – das heiße nicht, dass sie sich auf jeder Strecke realisieren lasse. Dennoch mache das Ministerium Mut, sich zu bewerben. „Projekte wie die Ammertalbahn und die Schönbuchbahn zeigen, wie hoch sich die Fahrgastzahlen entwickeln können, wenn eine Bahn erst mal in Betrieb gegangen ist.“

Tatsächlich sei in der Potenzialanalyse nicht explizit ein Delta zwischen künftigen Bahn-Nutzern und jetzigen Bus-Fahrgästen gebildet worden, bestätigt Bertold Purzer, Projektleiter der Karlsruher ptv Consult GmbH, die für das Verkehrsministerium die Analyse erstellte. „Wir gehen allerdings davon aus, dass ein Teil der jetzigen Bus-Nutzer auf die Bahn umsteigen werden und in der Zahl von 15 000 enthalten ist.“

Die aktuelle Zahl der werktäglichen Fahrgäste in der Buslinie 460 von Marbach nach Beilstein gibt das Landratsamt Ludwigsburg auf Nachfrage mit rund 7700 im Herbst 2019 wieder. Der im Verlauf des Bottwartals am stärksten belastete Korridor liege zwischen Murr und Marbach und habe ein Aufkommen von 5200.

Der Verkehrsminister Winfried Hermann stellt für Bahnreaktivierungen eine bis zu 96-prozentige Finanzförderung durch Bund und Land in Aussicht. Die Kommunen müssten auch nicht die Betriebskosten finanzieren. Die Träger von Bahn-Reaktivierungen sollten möglichst zügig in die Planung einsteigen. „Wir haben mit dem Ministerium bereits Kontakt aufgenommen“, bestätigt Frank Wittmer, Pressesprecher des Landratsamtes Ludwigsburg. Es gehe um die Klärung der veränderten Parameter für eine neue Machbarkeitsstudie.

Die meisten Bürgermeister des Raums Marbach und des Bottwartals hatten die Analyse des Verkehrsministeriums positiv aufgefasst, aber zum Teil auch mit Fragezeichen versehen. Der Großbottwarer Bürgermeister Ralf Zimmermann hält es für immer wichtiger, dass Arbeitnehmer aus der Stadt mit dem ÖPNV gut in den Landkreis Heilbronn pendeln können.

Der Marbacher Rathauschef Jan Trost sieht für seine Stadt viele Vorteile. „Zum einen könnte sich der Individualverkehr durch eine Bahnverbindung ins Bottwartal und nach Heilbronn in unserer stark durch Individualverkehr belasteten Stadt verringern.“ Durch die Bottwartalbahn würden Abgase von den derzeit zirkulierenden Bussen reduziert.

Der Steinheimer Bürgermeister Thomas Winterhalter findet das Potenzial erfreulich, die Förderkulisse hochattraktiv. Doch ob die Bahn komme, hänge nicht zuletzt von den Kosten ab. „Es gibt da noch viele Fragezeichen.“ Ähnlich äußerte sich der Oberstenfelder Bürgermeister Markus Kleemann, der „kein Spielverderber“ sein will, aber in der bisherigen Analyse nur „die halbe Wahrheit“ sieht. Man müsse auf den Kosten-Nutzen-Faktor schauen. „Bisher haben wir den für die Stadtbahn notwendigen Wert der standardisierten Bewertung nicht erreicht.“

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