Der Rasthof ruft: Fernlastwagen nahe der Autobahnraststätte Wunnenstein. Foto: Werner Kuhnle

Abend für Abend werden die Lkw-Parkplätze am Rasthof Wunnenstein zur kurzzeitigen Heimat von Fernfahrern. Auf dem Asphalt leben viele von ihnen trotz Strapazen und Staus den Traum von Freiheit.

Großbottwar - Der Verkehr rauscht mit 120 Stundenkilometern auf drei Spuren direkt an ihrem Schlafzimmerfenster vorbei. Der Sattelschlepper eines Luftfrachtunternehmens hält kurz. Der Fahrer springt aus dem Führerhaus in die Büsche, gibt einem dringenden Bedürfnis nach – und steigt schon wieder ein. Sekunden später leuchten nur noch die Rücklichter des Brummis am Horizont nach Norden. „Und sein Zuhause ist die Autobahn“, besang Gunter Gabriel einst in seiner Trucker-Hymne den Lkw-Fahreralltag auf deutschen Autobahnen.

„Früher mit der Tachoscheibe wäre ich noch weiter gefahren. Heute im digitalen Zeitalter geht das nicht mehr”, schildert Peter Hegewald eine der Veränderungen. So sitzt der 65-jährige hier förmlich fest. „Ich schlafe gut, trotz des Lärms“, erzählt er, dabei steht der Mann direkt auf dem Parkplatz des Rasthofs Wunnenstein Ost an der A81, nur durch eine Leitplanke vom Verkehr getrennt.

Das Fahrerhaus ist zugleich Küche, Wohn- und Schlafzimmer

Idyllische Übernachtungsplätze stellt man sich anders vor. Hegewald steuert den Truck einer großen deutschen Speditionskette. Heute Morgen ist er um fünf Uhr in aller Herrgottsfrühe in Frankfurt gestartet. In Augsburg hat er am Nachmittag Fracht abgeladen. Nun ist hier vorübergehend Endstation. Morgen früh um fünf Uhr geht es weiter nach Öhringen. Dort übernimmt er eine neue Ladung. Anschließend geht es wieder zurück nach Frankfurt. Das geräumige Fahrerhaus seines Trucks ist nicht nur Cockpit, sondern zugleich Küche, Wohn- und Schlafzimmer. In den Rasthof geht er nur zum Duschen. „Die Preise dort kann ich mir nicht erlauben“, schildert er die karge wirtschaftliche Realität von Fernfahrern auf deutschen Straßen. Kein „Hitch-Hike-Baby (kleine Rasthaus-Lady)“, wie es in einem anderen Siebzigerjahre-Song heißt.

Bei vielen Fahrern ist die Sprachbarriere unüberbrückbar. Als Trucker fahren sie zwar auf deutschen Autobahnen, doch ihre Heimat ist oft in Polen, Rumänien oder in anderen Ländern in Osteuropa. Die meisten von ihnen sprechen weder Deutsch noch Englisch. Manche Fahrer sind an diesem Abend einsilbig und geben keine Auskunft oder lassen schnell die Plane an der Ladefläche herunter.

In vier Stunden nach Prag – wenn alles gut geht

In der Tankstelle bedient Neslihan. Viel Zeit zum Reden bleibt der Mitarbeiterin aus Ilsfeld an der Kasse nicht. „Unter den Lkw-Fahrern sind viele nette Leute, viel entspannter als mancher Pkw-Fahrer“ schildert sie die kurzen Begegnungen beim Kassieren.

Zwischendurch verirren sich auch Pkw- und Wohnmobilfahrer in den langen Reihen der geparkten Lkw-Schlangen. Volker ist Arzt im Ruhestand und bis vor kurzem als Impfarzt im Einsatz gewesen. Heute ist er nach Günzburg gefahren – zu einem Ausrüster für sein Wohnmobil. Vor der langen Heimfahrt durch die Nacht kocht er sich jetzt noch kurz etwas.

Gut gelaunt sitzen Marika und Pavel auf dem Bordstein und trinken Mineralwasser. Marika kommt aus Prag, er aus Budweis - „da wo das Bier herkommt“, fügt er schmunzelnd hinzu. Die beiden Mittdreißiger überführen ein Auto von Stuttgart nach Prag. Wenn alles gut geht, sind sie in vier Stunden in Prag, so hoffen sie.

Workout neben dem Truck

Emilian Jakonsky schwitzt heftig. Er steht vor seinem Kleinlaster und stemmt Gewichte. Bässe wummern aus einer Beatbox neben dem Gefährt. Workout gemeinsam mit dem Beifahrer an der Autobahn. Der Mann ist Kraftsportler und Bodybuilder. Er fährt immer von Würzburg in die Schweiz und wieder zurück. Heute Abend jedoch trainiert Emilian hier. „Ich möchte nicht so eine Figur wie all die anderen Lkw-Fahrer bekommen“, grinst er. Das scheint ihm gelungen zu sein. Später waschen sich die beiden notdürftig an einem Kanister. Bevor es wieder losgeht, verstauen sie die Hanteln und Gewichtheberstangen auf der Ladefläche.

Paul van Duin kommt aus Tillburg im Süden Hollands. Der 52-Jährige sitzt in seinem eigenen Lastwagen. Heute gibt es noch Essen von daheim – wie immer montags. Rund 150 000 Kilometer fährt der gepflegt wirkende blonde Holländer. An 330 Tagen ist er auf der Autobahn. „Nein, meine Frau hat eher ein Problem, wenn ich mal zu viel zu Hause bin“, scherzt er über die lange Abwesenheit. Mikrowelle, Kühlschrank, Fernseher – es gibt nichts, was es nicht gibt in seinem Führerhaus. Er liebt sein Leben als sein eigener Herr. „Wenn ich ein Problem habe, ist das mein Problem. Und das löse ich“ sagt der Mann in fließendem Deutsch mit dem sympathischen holländischen Akzent.

Mit 72 Jahren noch auf großer Fahrt

Karl-Heinz Raster ist seit 3 Uhr am Sonntagmorgen unterwegs. Das Kühlaggregat dröhnt laut hinter seiner Fahrerkabine. Er hat Käse geladen, der gleichmäßig gekühlt werden muss. Früher war Karl-Heinz Raster bei GMC als Elektroniker beschäftigt und lebte viele Jahre in Michigan in den USA. Nach seiner Pensionierung ist dem Alleinstehenden die Decke auf den Kopf gefallen. Und so fährt er mit seinen 72 Jahren riesige Entfernungen. Vom Gehalt als Fahrer lebt er. Mit der Rente finanziert er seine Reisen und besucht seine Tochter und Enkelkinder – „drüben über dem großen Teich“, schwelgt er in Erinnerungen. Letztes Jahr war er fünfmal in Kanada und dreimal in den USA. Karl-Heinz Raster ist glücklich, mag sein Leben und will nichts anderes machen.

Schicksale auf Achse. In jedem Lastwagen sitzt ein Mensch mit einer ganz eigenen Geschichte. Doch morgen in aller Frühe reihen sie sich wieder anonym in die langen Lkw-Schlangen ein und halten die deutschen Logistikketten in Schwung. „Trucker lieben die Freiheit“ sang schon die Gruppe Truck Stop. Alltag auf deutschen Autobahnen.