Über den Dächern von Marbach: Vom Torturm haben die Kursteilnehmer einen spektakulären Ausblick auf die Altstadtkulisse Foto: Barbara / Esser

Beim Workshop von Barbara Esser lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Marbach mit anderen Augen zu sehen – und im fotografischen Bild festzuhalten.

Die beiden „Gewandeten“ stehen vor der malerischen Fachwerkkulisse. Sabine Stängle und Achim Niefer sind heute in historischen Kostümen erschienen und eröffnen damit ganz neue Fotomotive vor der beeindruckenden Altstadtkulisse der Schillerstadt. Wäre da nicht auch ein Auto im Blickfeld, die Illusion vom 18. Jahrhundert wäre perfekt.

Die Kursleiterin Barbara Esser lässt ihren Teilnehmern beim Marbach Fotoworkshop viel Freiraum. Esser ist keine Chefin, die vorschreibt oder anweist, sondern eine Leiterin, die dezent moderiert und für Fragen jederzeit im Hintergrund bereitsteht. Die Teilnehmer wollen heute mit ihrer Hilfe die schönsten Plätze und Stellen in der Schillerstadt entdecken, im fotografischen Bild festhalten und dabei gleichzeitig neue handwerkliche Fertigkeiten für ihr Hobby als Freizeitfotografen am Kursende mit nach Hause nehmen.

Nichts bleibt dem Zufall überlassen

Uns so machen sich dann die sieben Teilnehmer vom Torturm aus auf den Weg. Was sie nicht wissen: Esser hat ihren gemeinsamen Vormittag minutiös geplant. Die leidenschaftliche Bergsteigerin überlässt weder in luftiger Höh’ noch bei der Vorbereitung ihrer Fotoworkshops irgendetwas dem Zufall.

Wie nach einem ausgeklügelten Regiebuch führt die hervorragend geplante Tour an die schönsten Stellen der Schillerstadt. Wie fotografiere ich von oben über die Dächer? Wie erschaffe ich mit fotografierten Pflastersteine geometrische Muster auf dem Bild? Wie vermeide ich es, dass der eine Teil eines Menschen von der Sonne überbelichtet erscheint und der andere konturlos im Schatten verblasst? Wie gestalte ich den Bildaufbau, damit störende Details erst gar nicht im Bild auftauchen? Wie kombiniere ich historisch gewachsene Gebäude mit neuen und modern wirkenden Elementen – wie beim Tobias-Mayer-Museum – und schaffe dadurch einen Spannungsbogen?

Was sich für die Teilnehmer so spielerisch anfühlt, ist das Ergebnis präziser Vorbereitung. Obendrein dürfen die Teilnehmer durch die Unterstützung des Tourismusverbands in den Torturm hinauf, was prompt spektakuläre Aussichten auf und über die Dächer der Schillerstadt eröffnet.

Faszinierende Spiegeleffekte

„Ohne den Tipp von Barbara hätte ich einfach drauflos geknipst. Dank ihr haben wir die Fenster weit geöffnet und dadurch sehr interessante Spiegeleffekte in den Scheiben beim Blick auf die Alexanderkirche mit dazubekommen“, sagt Monika Schnabl. Die Marbacherin hat noch den Automatikmodus ihrer Kamera genutzt, während Jürgen Scholz und Horst Fiedler sämtliche Einstellungen manuell vorgeben.

Fiedler und Scholz kennen sich gut und gehen häufig gemeinsam auf Motivsuche. Als ehemaliger Bürgermeister Sachsenheims hat Fiedler nach seiner Pensionierung die Fotografie zum Hobby gemacht. Nebenbei gibt es noch weitere interessante Verbindungen. Jan Trost war früher sein Kämmerer. Während Fiedler seit drei Jahren pensioniert ist und die neu gewonnene Freizeit genießt, muss sich Jürgen Scholz die Zeit dazu noch freischaufeln. Im täglichen Berufsleben verantwortet er als Bürgermeister Sersheims ganz aktiv die Geschicke der Kommune. „Als ehemaliger Poppenweiler habe ich natürlich einen ganz engen Draht zu Marbach“, schmunzelt der Schultes mit der Leidenschaft fürs Fotografieren. Wenn er sich dann die Zeit für so einen Fotoausflug freischaufelt, genießt er diese Kraftmomente, die ihm die Energie für seinen kommunalen Alltag geben. „Einen der schönsten und eindrücklichsten Momente habe ich mit Horst Fiedler während des Lockdowns in Marbach erlebt. Wir konnten die historische Kulisse ohne einen einzigen Menschen ablichten“, freut sich der Sersheimer Schultes über seine Bilder als Zeitdokumente der Pandemie.

Aufwendige Nachbearbeitung

Sonja Gresser ist ebenfalls aus Sachsenheim. Es sei reiner Zufall, dass sie hier in Marbach ihren Altbürgermeister getroffen habe. Genau wie er schätze auch sie diesen anderen Blick auf die Schillerstadt mit all ihren Besonderheiten. Die Froschperspektive habe ihr sprichwörtlich neue Einblicke eröffnet. „Das ist eine meiner wenigen Leidenschaften, und ich will hier meine Technik verbessern“, fügt sie bescheiden ihre ganz persönlichen Gründe für die Teilnahme am Kurs hinzu.

Wer jetzt glaubt, die Arbeit der lernbereiten Kursteilnehmer wäre nach den knapp drei Stunden kurz nach der Mittagszeit zu Ende, täuscht sich. Denn jetzt müssen die Bilder aufwendig nachbearbeitet werden. Nebenbei haben die Teilnehmer viel Wissenswertes über den heutigen juristischen Dschungel in Sachen Bildrechte erfahren. Alle haben eine TFP-Vereinbarung unterzeichnet. Diese sogenannte „Time for prints“- Vereinbarung regelt präzise, dass sie zwar für die beiden historisch gekleideten Models nichts bezahlen müssen, doch die erhalten ihre Bilder. So profitieren hier alle von diesem außergewöhnlichen Projekt.

„Wie Barbara Esser das macht, lässt mich ganz viel an Erfahrung und neu Gelerntem mit nach Hause nehmen“, sie habe wieder enorm viel mit neuen Augen sehen und wahrnehmen gelernt, spricht Gresser allen Teilnehmern aus dem Herzen. Ihr einmütiges Nicken signalisiert: Alle wollen wieder nach Marbach kommen.