Am Murrer Dorfweg wird nachverdichtet – die Gemeinde hat das Bauverbot aufgehoben. Foto: KS-Images.de

Im Murrer Zentrum sollen auf einem alten Baugrundstück zwei verbundene Mehrfamilienhäuser entstehen. Das stößt im Gemeinderat auf Vorbehalte.

Murr - Wohnraum ist knapp im Landkreis Ludwigsburg. Den Bauunternehmen werden deshalb in der Regel rote Teppiche ausgerollt, wenn sie Lücken in Zentrumslage schließen wollen. Widerstand gegen einen mancherorts zu beobachtenden Schmusekurs regte sich jedoch kürzlich in Murr. Dort will die Besigheimer Firma Layher auf einem Grundstück im Dorfweg ein Zehn-Familien-Haus bauen. Einige Bürgervertreter blicken mit Argwohn auf das Projekt.

Das Grundstück hatte das Bauunternehmen privat erworben. Doch bisher galt dort ein Bauverbot, das der Gemeinderat in der jüngsten Sitzung aufheben sollte. Immerhin drei Räte stimmten dagegen. „Ich bin nicht gegen den Plan, aber gewisse Unternehmen kaufen Grundstücke teuer ein und gängeln hinterher die Kommunen, die dafür den Bebauungsplan ändern müssen“, sagte Marcus Leibbrandt, als Feuerwehrkommandant schon lange in der Gemeinde tätig, als Malermeister mit Bauprojekten vertraut und im Rat für die Freien Wähler schon in Zeiten tätig, als es in der Gemeinde noch eine Kommunale Wohnbaugesellschaft gab, um den sozialen Wohnungsbau anzuschieben.

Kern der Kritik: Grundstücke werden überteuert eingekauft und vermarktet

Im Kern kritisiert Marcus Leibbrandt das Gebaren vieler Bauunternehmen, die Grundstücke überteuert aufkaufen, damit den Kommunen das Bauland vor der Nase wegschnappen und hinterher erwarten, dass man ihre Bedingungen erfüllt. „Layher fängt mit 36 Wohneinheiten an, um hinterher 24  bauen zu können“, sagt Leibbrandt, der die Kritik aber nicht an dieses Unternehmen allein richten will, sondern bei nahezu allen Wohnbaufirmen eine solche Strategie beobachtet. „Es ist wichtig, dass man da mal ein Zeichen setzt.“

Das Gebäude im Dorfweg sei unbewohnbar und stehe seit vielen Jahren leer, betont hingegen Layher in einer Stellungnahme. „Die sinnvolle Nachverdichtung ist gemeinsam mit der Gemeinde Murr entwickelt worden.“ Die Firma verweist auf den enormen Wohnraumbedarf. Städtebaulich betreibe man ein Mindestmaß an Nachverdichtung.

Als Herr des Verfahrens sieht der Murrer Bürgermeister Torsten Bartzsch seine Kommune. „Hier geht es nur um den Einstieg ins Bauverfahren: Wir können als Gemeinderat später immer noch entscheiden, welche Gebäudemaße wir erlauben.“ Dabei könne er sich durchaus die von Layher beantragten zehn Wohneinheiten vorstellen, erklärte der Rathauschef im Gespräch. Und grenzte sich damit nachträglich von SPD-Rat Said Benali ab, der nur fünf Wohneinheiten für angemessen hielt und deshalb mit Nein stimmte.

Die Gemeinde Murr will im Zentrum preiswerten Wohnraum schaffen

Konflikte zwischen Bauunternehmen und Kommunen sind nicht selten, wenn es um das Ausschlachten von teuer eingekauften Grundstücken in Neubaugebieten geht. So hatten sich die Firmen Layher und Pflugfelder erst nach einer längeren Hängepartie mit der Stadt Marbach geeinigt, die Grundstücke im Neubaugebiet Kreuzäcker/Affalterbacher Straße mit einem Anteil von 15  Prozent für sozialen Wohnungsraum zu belegen. Das Projekt tritt aus anderen Gründen aber immer noch auf der Stelle.

Eigentlich verfolgt auch die Gemeinde Murr den Anspruch, preiswerten Wohnraum bei der Nachverdichtung zu schaffen. Erst kürzlich hatte der Gemeinderat es abgelehnt, im Neubaugebiet Langes Feld VI höhere Häuser zu bauen – mit der Begründung, dies sei städtebaulich die falsche Lage. Der Bürgermeister Torsten Bartzsch sieht aber in hohen Preisen für den neuen Wohnraum im Zentrum keinen Widerspruch: „Es ist wichtig, dass überhaupt Wohnraum entsteht – wer dort einzieht, hinterlässt durch seinen Umzug für andere eine preiswertere Wohnung.“ Zudem plane man am Alten Rathaus ein eigenes Projekt mit sozialer Wirkung.

Kommunen nutzen ihr Vorkaufsrecht meistens nicht

Ob die Kommunen bei Grundstücksverkäufern einen Fuß in die Tür bekommen, um geförderten Wohnraum für wirtschaftlich Schwächere zu schaffen, bezweifelt Thomas Kiwitt, Chefplaner des Verbands Region Stuttgart (VRS). „Zwar haben Städte und Gemeinden ein Vorkaufsrecht, doch müssen sie sich an den zuvor notariell festgehaltenen Preisen zwischen Verkäufern und Käufern orientieren.“ Das bisherige Bauland-Mobilisierungsgesetz sei deshalb „nicht der große Befreiungsschlag“ gewesen.

Möglicherweise haben es Kommunen aber künftig etwas leichter, an Grundstücke zu kommen. Der Bund will den Städten und Gemeinden nämlich mit einem neuen Gesetz ein erweitertes Vorkaufsrecht sichern. Demnach soll nur der aktuelle Verkehrswert gelten, nicht aber der mit einem Unternehmen vereinbarte, möglicherweise deutlich überteuerte Preis. Der Paragraf 201 des Baugesetzbuches sei bereits von Bundestag und Bundesrat beschlossen, müsse aber noch in eine Landesverordnung gegossen werden – sie trete im Laufe des nächsten Jahres in Kraft, erklärt Rainer Wehaus, Pressesprecher des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen. Das Land bezuschusse den Bau von sozialen Wohnraum über die Wohnraumförderung in der Regel zu einem Drittel.

Vorkaufsrecht der Kommune

Grundstückskauf
Jede Gemeinde kriegt jeden Verkaufsvorgang vorgelegt. Dann hat sie unter Umständen das Recht, den Kauf quasi zu übernehmen. Nach altem Recht musste sie das innerhalb von zwei Monaten anmelden, nach neuem Recht binnen drei Monate. Nach neuem Recht kann sie – nur in den 89 Kommunen im Land mit angespanntem Wohnungsmarkt, also wo die Mietpreisbremse gilt – auch bei unbebauten und brachliegenden Grundstücken ein Vorkaufsrecht haben.

Rücktrittsklausel
Der Eigentümer kann vom Verkauf zurücktreten, er kann sich aber auch mit der Kommune einigen und irgendwo in der Mitte treffen. Nach altem Recht zählt der Verkaufswert, nach neuem Recht könnte die Gemeinde auch zum Verkehrswert einsteigen. Beide Seiten müssen sich einigen. Andernfalls kann der Eigentümer nicht verkaufen.