Beate Breitweg liebt Pilze und kann viel über ihre verblüffenden Fähigkeiten erzählen. An einem Weg im Hartwald haben Exemplare des Hallimasch einen ganzen Baumstumpf besiedelt. Foto: KS-Images.de / Karsten Schmalz/Karsten Schmalz

Beate Breitweg ist ehrenamtliche Pilzsachverständige in Marbach. Für diese Tätigkeit benötigt man nicht nur fundiertes Wissen, sondern auch viel Geduld, Liebe zur Natur und Humor.

Marbach - Habe ich alles Wichtige? Hier den Korb, mit aufklappbarem Deckel. Kleine Pappschälchen. Ein sauberes Messer. Dazu eine Lupe.“ Beate Breitweg ist gut gerüstet. Die ehrenamtliche Pilzsachverständige aus Marbach macht sich an diesem sonnigen Frühherbsttag auf, um im Hardtwald Ausschau zu halten. Sie macht eine kleine Bestandsaufnahme, einen Besuch bei den Pilzen, die derzeit aus dem Waldboden schießen.

Von Beruf ist Breitweg Rechtsanwältin. So wie sie sich gut mit Recht und Gesetz auskennen muss, so sind auch fundierte Kenntnisse gefragt, wenn Pilzsammler ihr vorlegen, was sie gefunden haben. Wer mit ihr durch den Wald geht, der bemerkt schnell: Sie hat einen Entdecker-Blick, und sie weiß sehr viel. Und: Sie besitzt Geduld und Humor, beides unerlässlich, denn Pilze wollen erst einmal aufgespürt sein, und vor Enttäuschungen ist man nicht gefeit.

In Deutschland gibt es mehr als 6000 Großpilzarten

„Generell ist es ganz gut, wenn Sie die Baumarten kennen,“ sagt Beate Breitweg. Denn viele Pilze wachsen in Symbiose, in Lebensgemeinschaft mit bestimmten Bäumen. Die ersten Pilze am Wegrand erkennt man kaum: kleine, schwärzlich abfärbende, gallertartige Kügelchen auf totem Hainbuchenholz. „Schmutzbecherlinge,“ erklärt die Expertin. „Salopp gesagt: der Toffifee-Pilz, der leistet hier Zersetzungsarbeit.“

2005 hat Beate Breitweg ihre Prüfung als Pilzsachverständige der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) gemacht. Im praktischen Teil musste sie ein gutes Dutzend unbekannter Pilze bestimmen – zumindest korrekt nach Gattung einordnen. Jede einzelne Art ohne zusätzliche Hilfe wie etwa das Mikroskopieren zu erkennen, ist fast unmöglich. „Allein in Deutschland haben wir rund 6000 Großpilzarten,“ weiß die Expertin.

Sie pflückt einen kleinen weißlichen Pilz mit gelben Flecken. „Ein Goldzahnschneckling.“ Er fühlt sich schleimig an – daher der Gattungsname. Im nassen Moos sind die Hände schnell gesäubert. Gleich daneben ein anderer Pilz, der weißen Saft absondert, er „milcht“. „Das ist ein Milchling.“ Breitweg bricht den Stiel. „Sehen Sie, er ist bröckelig. Nur bei Milchlingen und Täublingen, alle anderen Pilze mit Hut und Stiel haben dort langfaserige Strukturen.“

Essbar oder nicht – das ist die große Frage

Was ist essbar? Breitweg diagnostiziert nach einer Riechprobe einen „Stachelbeertäubling“. Für die Täublinge gelte, dass die mild schmeckenden essbar seien, die scharfen aber nicht. So eine Geschmacksprobe sollten Laien aber unbedingt unterlassen. „Um Zweifel zu beseitigen, muss man besser mikroskopieren.“ Immer müsse man den Pilzen unter den Hut schauen, darunter verlaufende Lamellen oder Röhren seien ein wichtiges Erkennungsmerkmal: welche Farbe sie haben, wie dicht sie stehen, wie druckempfindlich sie sind…

Im grünen Moos sticht ein stattlicher, rötlicher Pilz heraus. Die Pilzexpertin freut sich: „Ein Fichtenreizker!“ Vor allem jung ist er essbar. „Ich würde ihn sogar als Anfängerpilz empfehlen.“ An verletzten Stellen tritt karottenfarbener Saft aus. Am besten seien junge Fichtenreizker, wenn man den Stiel abschneide und zuhause die Hüte dann scharf in der Pfanne anbrate, gebe das ein köstliches Gericht.

Ein alter Bekannter – von Schnecken angefressen: ein Fliegenpilz

Nicht weit entfernt leuchtet der bekannte weißgetupfte rote Hut eines Fliegenpilzes durch den Wald, schon von Schnecken angefressen. Breitweg warnt: „Starker Regen kann die Tupfen und die Farbe abwaschen, dann bietet der Fliegenpilz nicht mehr das typische Bild.“ Und: „Fraßspuren von Tieren heißen noch lange nicht, dass auch Menschen diesen Pilz verzehren können.“

Ein paar alte Boviste stehen zwei Bäume weiter, ihre weißen glühbirnenförmigen, bereits welken Körper sind mit den braunen Sporen übersät, mit denen die Pilze sich fortpflanzen. Normalerweise gute Speisepilze, aber nicht mehr im vorgerückten Alter. An anderer Stelle erhebt ein junger, noch kleiner Bovist sein lupenrein weißes Köpfchen über das Moos; er wird stehengelassen, darf noch weiterwachsen.

Finger weg: Knollenblätterpilz!

Die Pirsch auf Pilze ist ein ganzheitliches Naturerlebnis. Ein Specht hämmert, ein brauner Grasfrosch hüpft durch das Laub, ein kleiner Wasserlauf plätschert dahin. Am Rand einer Lichtung steht ein markanter gelb-weißer Hutträger: ein Gelber Knollenblätterpilz. Fast möchte man sagen der „good Guy“, ein relativ Harmloser in einer mörderischen Sippe. Doch auch dieser Vertreter der berüchtigten Pilzgattung gilt als giftig, wenn auch nicht so tödlich giftig wie seine Brüder, der Weiße und der Grüne Knollenblätterpilz. Beate Breitweg demonstriert, wie der Geruchssinn hier zu einem eindeutigen Urteil hilft: Der Gelbe riecht nach Kartoffelkeimen. „Der Grüne dagegen aufdringlich süß wie Kunsthonig.“ Tatsächlich habe sie diesen gefährlichen Pilz auch einmal aus dem Korb eines Sammlers fischen müssen.

Beate Breitweg mahnt zur Vorsicht. „Ich gebe keinen Pilz frei, den ich nicht auch selber essen würde.“ Die Expertin sieht ihre Tätigkeit, bei der sie durch die DGfM haftpflichtversichert ist, als sehr notwendig an. Sammler sollten sich niemals auf Experimente einlassen, unter Umständen ginge es um Leben und Tod. Und es gebe auch zu wenige Pilzsachverständige in Deutschland, nur rund 600. Schließlich sei ja Pilzkunde nicht nur nützlich für den Speisezettel. Man lernt auch viel über die vielfältige Welt der Sporenträger.

Der Mehlräsling weist auf den Steinpilz hin

Zum Beispiel auch über den Hallimasch, der in großer Menge einen Baumstumpf besiedelt hat und so eine stattliche Pilzburg bildet. „Das sind Pilze, die auch lebende Bäume angreifen“ weiß die Anwältin. „Faszinierende Lebewesen. Unter der Erde verläuft ihr Geflecht mitunter seildick.“ Förster sehen ihn eher mit Skepsis.

Die ehrenamtliche Pilzsachverständige Beate Breitweg streift gerne durch Moos, Gras und Gebüsch. Mit einem Lächeln meint sie: „Wenn ich in den Wald gehe, freue ich mich immer darauf, mal wieder alte Bekannte zu treffen.“ Einer, den sie an diesem Nachmittag wiedergesehen hat, war ein kleines, weißes, nach Mehl duftendes Versprechen mit cremefarbenen Lamellen: „Ein junger Mehlräsling!“ Der ist nämlich ein Steinpilzanzeiger – ein Hinweis darauf, dass der begehrte Speisepilz in nächster Zeit an diesem Standort hier im Marbacher Hardtwald wachsen könnte.