Foto: Werner Kuhnle

Die Bäckerei Nestel ist einer der wenigen noch verbliebenen Handwerksbäcker in der Region.

Oberstenfeld - Während der Großteil der Bevölkerung noch schläft, herrscht in der Großbottwarer Straße 44 schon Hochbetrieb. Da wird Teig geknetet, portioniert und geformt, werden Kuchen dekoriert und Rollwagen beladen, und zwischen all dem duftet es schon so verführerisch, dass der eigene Magen, der sich sonst um halb fünf Uhr morgens noch im Tiefschlaf befindet, mit einem leisen Knurren erwacht.

In der Handwerksbäckerei von Werner Nestel werden die Zutaten noch selbst gemischt, zu Teig verarbeitet und bekommen dann erst einmal ein paar Stunden Ruhe, um zu reifen. „Das ist wichtig für die Geschmacksentwicklung“, sagt der Bäcker und Konditor, der den Familienbetrieb bereits in dritter Generation leitet. Doch das ist nicht das einzige, was den Handwerksbäcker von Industriebäckern unterscheidet. „Rezepte sind immer nur Anhaltspunkte“, weiß Nestels Tochter Stephanie Tadday, die wie ihr Bruder Christian ebenfalls im Betrieb mitarbeitet. Weil jedes Mehl unterschiedlich sei, entscheide letzten Endes die Erfahrung der Bäcker und ein flinker Griff in den Teig, ob noch Wasser oder Mehl zugegeben oder weiter geknetet werden müsse. „Wer das mit den Fingern nicht spürt, der erreicht die Spitze nicht; das ist die eigentliche Handwerkskunst“, sagt Werner Nestel. Die Fingerspitzen reichen dafür aber nicht aus, denn die Konsistenz des Teigs für die 35  verschiedenen Brote muss auch im Kopf ganz genau abgespeichert sein, damit das Ergebnis am Ende stimmt.

Wo sie der Arbeitserleichterung dienen, haben auch in der Nestelschen Backstube Maschinen Einzug gehalten. Oliver Dietze muss das Edelstahlgefäß mit dem schweren Teig nicht mehr selber heben, sondern befördert den Inhalt nur noch in den sogenannten Volumenmesser, wo er dann automatisch portioniert wird. Die Stücke wirft der Bäcker auf den mit Mehl bestäubten Tisch. Dort packt sein Nachbar Daniel Hatanu jeweils zwei davon und formt sie beidhändig in Sekundenschnelle. „Wirken“ nennt das der Fachmann. Brote mit einem eher weichen Teig können aber nicht über die Maschine laufen.

Deren Teig portioniert Christian Nestel von Hand. Damit nichts festklebt, taucht er seine Unterarme und Hände immer wieder zwischendurch in Wasser. Das ungefähre Gewicht von vier Kilogramm wird mit einer Wage kontrolliert, geändert wird aber nichts mehr. „Am Teig selber wird nicht mehr rumgezupft, sonst verdirbt man ihn“, erklärt Werner Nestel. Deshalb wird das fertige Brot später nach Gewicht verkauft. Die Brezeln wiederum gehen über die Brötchenanlage, werden dort in Teiglinge portioniert und zu langen Würsten geformt, die die Bäcker dann von Hand zu typisch schwäbischen Laugenbrezeln formen: mit einem dicken Bauch und dünnen Ärmchen, sodass sie nach dem Backen genau die richtige Kombination von weich und knusprig haben.

Als Außenstehender kann man in dem Gewusel der eher engen Backstube schon einmal den Überblick verlieren. Doch bei den Bäckern greift ein Rädchen reibungslos ins andere. Und nicht nur das: Trotz ihres enormen Arbeitstempos haben sie auch noch Zeit für einen kleinen Scherz. „So langsam sen mir au net“, flachst Joachim Haerer, als Werner Nestel dem Fotografen noch zeigen möchte, wie die Brote dicht an dicht auf dem Backblech landen.

Zu spät – die Brote backen nämlich jetzt schon. Vor dem Backen landen sie aber noch in einem bemehlten Korb aus Peddigrohr zum nochmaligen Gehen. „Näpfle“ nennt Christian Nestel sie. Anders als in den billigeren Plastikkörben, die mancherorts eingesetzt werden, kann der Brotteig in dem Naturmaterial atmen, erklärt Werner Nestel.

Rein natürlich geht es auch in der Konditorei zu. Nach sogenannten Convenience-Produkten, die vorgefertigt angeliefert werden, sucht man hier vergeblich. Die Kiwis, die Nicol Wolf zusammen mit den Erdbeeren auf den Frischfruchtkuchen legt, hat sie vorher von Hand geschält und sorgfältig in Scheiben geschnitten. Auch die Erdbeersahne werde mit echten Erdbeeren, Erdbeermarmelade, Zucker, Zitronensaft und Gelatine frisch gemacht, betont der Chef. Da seien manchen Konditoren schon die Augen übergegangen, weil sie das so gar nicht mehr kennengelernt hätten. Auch für manche Kunden, deren Gaumen sich schon an den intensiveren Geschmack künstlicher oder sogenannter naturidentischer Aromen gewöhnt hätten, sei das zunächst ungewohnt. Doch Werner Nestel steht mit Herz und Seele zur guten alten Handwerkskunst