Stadthalle, Schillerhöhe...der spontane Chor gelingt immer! Foto: Archiv (Julia Amrhein)

Das Offene Singen in Marbach steht dafür, dass die Teilnehmer nicht perfekt singen müssen. Eine Wohltat!

Marbach - Die Zeit der großen TV-Jahresrückblicke auf 2019 ist wieder vorbei. Nicht, dass ich dafür extra den Flimmerkasten einschalte. Berieseln lasse ich mich damit beim Durchzappen aber doch mal. Die meisten Themen hat mein Gedächtnis zwar wieder von der Festplatte gelöscht. Ein Beitrag aber ist mir umso mehr in Erinnerung geblieben. Weil Bild und Ton in mir eine Ladung an Emotionen weckten und auf mich pure Lebensfreude ausstrahlten. In einer Dosis, als würde ein Teelicht von einem Feuerlöscher besprüht. Überwältigend, ohne Chance, sich dem zu entziehen.

Andreas Hennings

Sänger sprühen vor Leidenschaft
Gemeint ist ein Auftritt der „Hamburger Goldkehlchen“. Der Männerchor sang bei einer Benefizveranstaltung zugunsten der Tafel so lange, bis die 4000 Zuschauer ein Spendengeld von 30 000 Euro beisammen hatten. Wobei: Sie sangen nicht nur einfach so. Schmettern, das trifft es viel eher. Energiegeladen, inbrünstig und mitreißend kamen all die weltbekannten Pop-Hits daher. Kurzum: Die Sänger sprühten vor Leidenschaft. Und passend dazu legten sie ihre Arme den Nebenmännern zum Schunkeln auf die Schulter.

Spaß und Gemeinschaft
Das Besondere: Der Chor besteht aus 70 Männern, die von sich felsenfest behaupten, gar nicht singen zu können. Mit ihrem Namen nehmen sich die Goldkehlchen auf die Schippe. Bevor aber ein falsches Bild entsteht: Nicht jeder Ton ist schräg. Das Zuhören verursacht, je nach Anspruch, keinen Schmerz. Im Gegenteil. Von Gänsehaut zu schreiben, wäre nicht übertrieben. Und wer den Goldkehlchen zuhört, dem ist klar: Hier geht’s nicht um gesangliche Höchstleistung. Sondern um Spaß und Gemeinschaft. Das Konzept geht auf. 800 Männer auf der Warteliste, die alle ein Goldkehlchen werden wollen, und ein eigener Fanclub sprechen für sich. Mein lieber Herr Gesangsverein!

Ein Chor aus 200 Stimmen
Umso schöner ist es, dass sich ein ganz ähnliches Angebot dank der Gesangspädagogin Sarah Neumann und ihrer Mitstreiter Fabian Friedl und Steffen Grell inzwischen auch in Marbach etabliert hat. Eine Warteschlange gibt’s hier aber nicht. Zum Offenen Singen in diesem Januar kamen über 200 Männer und Frauen ins Foyer der Stadthalle. Ein stattlicher Chor! Das Schöne bei diesen Treffen, die alle paar Monate über die Bühne gehen, ist auch hier: Bei falschen Tönen wird niemand komisch von der Seite angeschaut. Jeder kann frei raus trällern und sein Bestes geben, als würde man hinterm Steuer sitzen, sich unbeobachtet fühlen und zum Radio einstimmen. „Fehler“ sind kein Problem. Wo sonst in unserem oft durchgetakteten und perfektionierten Alltag wird das so offen kommuniziert?

Kein Wunder, dass sich das Offene Singen immer größerer Beliebtheit erfreut. Zumal eben auch bei diesem großen Gemeinschaftserlebnis mit instrumenteller Begleitung vor allem eines aufkommt: pure Lebensfreude!