Eberhard Gienger und Herzog Eberhard von Württemberg kamen mit dem Fallschirm. Foto:  

Die 40. Deutschen Meisterschaften für Transplantierte und Dialysepatienten sind wie ein großes Familientreffen.

Murr - Es ist der emotionale Höhepunkt
einer Veranstaltung, wie sie die Gemeinde Murr wohl noch nicht gesehen hat. Von Donnerstag bis Samstag haben rund hundert Teilnehmer sowie ihre Familien und Freunde bei den 40. Deutschen Meisterschaften für Transplantierte und Dialysepatienten gezeigt, was trotz der gesundheitlichen Einschränkungen sportlich möglich ist. Doch als die Wettkämpfe zu Ende sind, ruft Nehar Nurlu – einer der Teilnehmer – alle zusammen zum „Lebenszirkel“. Nahezu den gesamten Sportplatz füllt der Kreis aus, den alle bilden. „Ich bin einfach beeindruckt von dieser tollen Gemeinschaft“, sagt Bürgermeister Torsten Bartzsch später. „Wir sind alle eine große Familie“, ruft Nurlu allen zu und trifft damit den Geist der Veranstaltung auf den Kopf. Denn bei allem sportlichen Ehrgeiz, den mancher während der Wettkämpfe an den Tag legt, sind die Meisterschaften vor allem eine emotionale Feier für das zweite Leben.

Bei Sarah Kornau
aus Stuttgart ist dieses zweite Leben noch recht jung. „Ich bin viereinhalb“, antwortet sie auf die Frage nach ihrem Alter, sitzt dabei entspannt auf der Tribüne und hat die Füße auf den Sitz ihres Rollstuhls gelegt. Damals hatte sie ein akutes Leberversagen. „Am zehnten Tag kam das Spenderorgan, den elften hätte ich nicht mehr erlebt“, sagt sie. Doch es kam zu Komplikationen, zwei Abstoßungsreaktionen, sie musste viele Medikamente nehmen. Medikamente, die im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knochen gingen. „Nach dem fünften oder sechsten Bruch haben wir dann mal die Knochendichte gemessen, dann war es klar.“ Es ist ein wenig vergleichbar mit der Glasknochenkrankheit. „Mittlerweile geht auch die Muskulatur zurück“, erklärt die 36-Jährige. „Es gibt viele die mich bedauern. Aber ich lebe – und ich habe ein cooles Leben!“ Vor der Transplantation war sie Landesliga-Tischtennisspielerin. Mittlerweile spielt sie bei Para-Wettbewerben mit, war 2018 Deutsche Meisterin und dieses Jahr Bundesranglistensiegerin. Nur ihren Job als Lehrerin musste sie vorläufig an den Nagel hängen. „Entzündungsgefährdet und Rollstuhl – das war zu viel. Aber nächstes Jahr wird es nochmal geprüft. Ich würde gerne als Lehrerin an einer Rehaschule arbeiten, um den Leuten zu zeigen, was alles möglich ist.“

Was trotz transplantiertem Organ möglich ist, dafür ist auch Chantal Bausch
ein hervorragendes Beispiel. Als Elfjährige versagte ihr Herz, „jetzt lebe ich bald 15 Jahre mit dem Spenderherz“, sagt die Bremerin. Wenn sie nicht gerade Tennis oder Golf bei TransDia-Meisterschaften spielt, dann ist sie Hockey-Torhüterin beim Bremer HC und spielt in der Bundesliga. Sie habe die gleichen Einschränkungen wie alle Transplantierten: „Ich muss täglich Medikamente nehmen, die das Immunsystem herunterfahren und damit die Abstoßung verhindern. Daher muss ich aufpassen, dass ich mir keine Infektionen einfange. Ich trinke zum Beispiel nicht gemeinsam mit anderen aus einer Flasche“, sagt sie. „Beim Sport ist der einzige Unterschied, dass ich etwas länger brauche, bis der Puls hochgeht. Aber wir Torhüter laufen ja eh immer etwas hinterher“, erklärt sie lachend.

Aus Markkleeberg in der Nähe von Leipzig kommt Sina Wonneberger, die jüngste Teilnehmerin
hier in Murr. Sie ist acht Jahre alt, ihre acht Minuten ältere Zwillingsschwester Mette ist fast immer an ihrer Seite. Mit sechseinhalb Monaten versagte bei Sina die Leber. „Zum Glück war eine Lebendspende möglich, sie hat ein Stück von meiner Leber bekommen“, sagt Mutter Ulrike. Die ganze Familie ist die drei Tage in Murr dabei, neben Vater Frank auf noch die knapp sechs Jahre ältere Schwester Hannah. Der Spruch „die Leber wächst mit ihren Aufgaben“ treffe tatsächlich zu. „Das Teilorgan ist mit Sina größer geworden“, berichtet ihre Mutter. Die Beeinträchtigungen seien relativ gering. „Sina muss halt ihre Medikamente nehmen, was nicht immer ganz einfach ist. Wir achten mehr auf Hygiene, und der Alarm fällt sicher etwas stärker aus, wenn mal was ist. Ansonsten ist Sina ein normales Kind.“ Und ein sportliches noch dazu. In Murr ist sie beim Schwimmen und der Leichtathletik am Start, wird zehnmal Deutsche Meisterin – natürlich auch aus Mangel an Konkurrenz. Zudem spielen alle drei Schwestern Hockey, Sina ist auch noch im Badmintonverein. „Es gibt Ärzte, die empfehlen Sport bei Transplantierten, andere sind da vorsichtiger. Aber wir hatten keine Wahl, hätten Sina eh nicht halten können.“ Für alle drei Schwestern gebe es außer Schule und Schlafen „kaum etwas anderes als Sport“, berichtet Vater Frank Wonneberger. Einig sind sich die Eltern übrigens darin, dass sie eine Änderung der Gesetzeslage begrüßen würden. Sprich: Jeder sollte automatisch Organspender sein, wenn er sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet.

In diesem Punkt herrscht unter den Teilnehmern wohl Konsens, auch Schirmherr Eberhard Herzog von Württemberg
sieht das so. „Ich habe mich gefreut, als Peter Rode mich gefragt hat, ob ich die Schirmherrschaft übernehme. Man muss es einfach hinaustragen, dass viele Menschen auf ein Spenderorgan angewiesen sind. Zuvor war der Herzog erstmals mit einem Fallschirm gesprungen und im Tandem mit dem Bundestagsabgeordneten Eberhard Gienger
auf dem Platz gelandet. „So viel Eberhard hatte ich noch nie auf dem Bauch“, scherzt der Politiker.

Neben dem Beilsteiner Peter Rode ist natürlich Alexandra Funk
die große Lokalmatadorin bei dieser Veranstaltung. Sie räumt insgesamt fünf Titel ab. Einziger kleiner Wermutstropfen: Die erhofften fünf Meter im Weitsprung schafft sie nicht ganz. „Dafür ist es vielleicht etwas zu warm“, sagt sie. Den nächsten Anlauf will sie nun bei den Weltspielen in diesem Jahr im englischen Newcastle nehmen. Gleich von mehreren Seiten sind dafür Prämien ausgelobt worden.

Gelobt wurde am Ende viel, vor allem die Organisation der Veranstaltung um Chef Uwe Funk.
Der Abteilungsleiter der Murrer Leichtathleten ist rundum zufrieden: „Es ist alles perfekt gelaufen.“ Dem pflichtet auch Peter Rode, der sich um die Organisation des Golfturniers gekümmert hat, bei: „Mit Leuten wie Uwe Funk kannst du die Welt einreißen!“