In der First-Line Tennis Academy in Murr wohnt und trainiert Kirill Anton derzeit. Foto: avanti

Kirill Anton spielt seit diesem Winter für den TC Oberstenfeld, hat aber schon länger in Murr sein zweites Zuhause.

Murr - Zu Beginn der Tennis-Winterrunde tauchte in der Mannschaftsaufstellung der Herren des TC Oberstenfeld an der Spitzenposition ein neuer Name auf: Kirill Anton/Weißrussland. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass ausländische Kräfte an Position eins auftauchen. Doch in der Winterrunde werden diese in der Regel nicht eingesetzt, da die Vereine für die eher zweitrangige Hallensaison die Kosten scheuen. Anders ist es in diesem Fall. Denn der 19-jährige Kirill Anton muss für die Spiele nicht aus Weißrussland eingeflogen werden, er wohnt gleich um die Ecke: Seit einigen Monaten ist die First-Line Tennis Academy in Murr sein zweites Zuhause – zum zweiten Mal.

„Mit zwölf bin ich zum ersten Mal hier gewesen. Ich hatte dann aber zu großes Heimweh, ich war einfach noch zu jung“, erzählt Kirill Anton – in akzentfreiem Deutsch. Denn er ist in Deutschland aufgewachsen, Heimweh hatte er nach Mannheim. „Ich war vier, als meine Mutter mit mir nach Deutschland gekommen ist. Sie war Zahnärztin. Doch ihre Ausbildung ist hier nicht anerkannt worden. Sie ist dann nochmal zur Uni gegangen, aber dann kamen meine kleinen Brüder dazwischen. Heute hat sie ein Kosmetikstudio inklusive Botox-Behandlungen und Zähne bleichen“, erzählt Kirill, der neben dem Tennis derzeit noch per Fernschule sein Abitur machen möchte. „Ich hoffe, dass ich in ein oder zwei Jahren damit fertig bin. Die Fernschule ist Fluch und Segen zugleich. Natürlich ist es gut, dass man sich die Zeit freier einteilen kann. Aber es gehört eben auch eine große Selbstdisziplin dazu. Und ich gebe zu, dass ich die nicht immer aufbringe.“

Der Alltag in der Akademie ist auch ohne Lernstress schon anstrengend genug. „Ich stehe um 8 Uhr auf – gemessen an Leuten, die zur Schule oder arbeiten gehen, ist das doch relativ spät. Bis 9.30 Uhr gibt es Frühstück, um 10 Uhr beginnt das erste Training. Dann folgen Mittagessen, Nachmittagstraining, Athletikeinheiten und das Abendessen“, erklärt er seinen Tagesablauf. An den Wochenenden stehen dann häufig Turniere auf dem Programm. Auf der Deutschen Rangliste ist Kirill Anton derzeit die Nummer 276, wobei der vergangene Sommer nicht gut lief. „Ich hatte eine langwierige Muskelentzündung. Es hat sehr lange gedauert, bis das wieder in Ordnung war“, erklärt er. Erst russische Tabletten halfen weiter. „Ich weiß nicht einmal, ob die in Deutschland überhaupt zugelassen sind.“ Bis zum Frühjahr möchte es Kirill Anton unter die ersten 150 in Deutschland schaffen. Seit Oktober hat er eine Einzel-Bilanz von 24:2 Matches und dabei fünf Turniere gewonnen. „Ich bin auf einem guten Weg, es fehlen nicht mehr viele Ergebnisse.“

Ab diesem Jahr möchte er auch Weltranglistenturniere spielen, um irgendwann auch im internationalen Tenniszirkus mitzumischen. Dort startet er dann für Weißrussland – eine ganz bewusste Entscheidung: „Mal angenommen, ich stehe auf Platz 500 in der Weltrangliste. Da könnte ich für den weißrussischen Verband schon interessant sein. In Deutschland bin ich da einer unter vielen.“ Doch da Kirill Anton bereits so viele Jahre in Deutschland lebt, hat er einen sogenannten „Aufenthaltstitel“. Er braucht somit kein Visum mehr und muss nur noch einmal im Jahr zum Amt. Außerdem gilt er für die Mannschaftsspiele hierzulande als „Tennis-Deutscher“, nimmt also nicht den einen Ausländerplatz weg, der pro Mannschaft im Bereich des Württembergischen Tennis-Bundes nur erlaubt ist. Das macht ihn für den TC Oberstenfeld sehr wertvoll. Denn so kann er hinter einem ausländischen Spitzenspieler an Position zwei in der Württembergliga spielen. „Für uns ist Kirill die ideale Lösung, ein echter Glücksgriff. Und noch dazu ist er ein sehr sympathischer junger Mann“, findet derTCO-Vorsitzende Dieter Haid.

Der so Gelobte selbst möchte in der Sommersaison zeigen, „dass ich mein Geld wert bin. Nachdem die Mannschaft vergangene Saison aufgestiegen ist, möchte ich natürlich meinen Teil dazu beitragen, dass wir jetzt den Klassenerhalt schaffen. Und für mich selbst strebe ich eine positive Einzelbilanz an – ohne zu wissen, welche Gegner da genau auf mich zukommen.“ Für seine weitere persönliche Entwicklung hat sich der 19-Jährige nicht das eine ganz große Ziel gesetzt. Natürlich träumt er davon, mal unter die besten 100 Tennisspieler der Welt zu kommen. „Aber ich möchte das Schritt für Schritt angehen. Zunächst einmal unter die Top 150 in Deutschland. Dann die ersten Punkte für die Weltrangliste, und so weiter“, erklärt er.

Zum Tennis gekommen ist Kirill Anton mit acht Jahren durch seinen Stiefvater. Bald stellten sich erste Erfolge ein. Dem ersten Aufenthalt in Murr folgten wieder einige Jahre im Badischen, bevor er es dann auf einem Internat in Kaiserslautern versuchte. „Das war von den Bedingungen und vor allem von den Kosten her sehr gut. Allerdings war das sportliche Niveau einfach nicht hoch genug“, erklärt er, warum er die Zelte in der Pfalz wieder abbrach. „Letztlich sind hier in Murr die Bedingungen am besten für mich.“ Und schließlich gibt es eine ganze Reihe von Spielern, die bei First-Line zu Weltranglistenspielern geformt wurden.

Zu seinen Stärken zählt Kirill Anton neben schnellen Beinen vor allem die Grundschläge, weshalb es nicht erstaunt, dass er am liebsten auf den eher langsamen Sandplätzen spielt. „Vor allem meine Vorhand ist recht gut, und in letzter Zeit hat sich auch mein Aufschlag zu einer Stärke entwickelt.“ Vielleicht ist das ja auch ein Grund für die zuletzt guten Ergebnisse bei den Hallenturnieren, wo in der Regel auf schnelleren Bodenbelägen gespielt wird.

Ein explizites Vorbild hat der 19-Jährige nicht, „es gibt mehrere Spieler, die ich bewundere. Zum Beispiel gefällt mir die Art zu spielen von Dominic Thiem unheimlich gut, wie schnell er auf dem Platz ist und wie intensiv er trainiert. Das gilt natürlich auch für Rafael Nadal, den ich sehr beeindruckend finde. Und bei Roger Federer bewundere ich diese Ruhe, diese Konstanz und wie einfach es alles bei ihm aussieht.“ Mit anderen Worten: Kirill Anton versucht sich bei jedem großen Spieler das Beste abzuschauen, um der beste Tennisspieler zu werden, der er selbst sein kann.