Foto: Werner Kuhnle

Karl Deutschle hat sich sein Leben lang nicht unterkriegen lassen und hatte sicherlich mehr als einmal einen Schutzengel an seiner Seite. Jetzt feiert er seinen 100. Geburtstag.

Murr - M

anchmal möchte man am liebsten eine Ausweiskontrolle durchführen. Denn wenn Karl Deutschle einem gegenüber sitzt und mit hellwachen Augen lebhaft erzählt, dann mag man es nicht glauben, dass er am heutigen Dienstag hundert Jahre alt wird.Viel hat der gebürtige Tübinger in dieser Zeit erlebt, Gutes und Schlimmes. Karl Deutschle hat sich nie unterkriegen lassen und ist immer ein positiv denkender Mensch geblieben, der stets die Ruhe bewahrt. „Über Dinge, die man nicht ändern kann, soll man sich nicht aufregen, und das, was man ändern kann, soll man ändern“, so sein Motto. Und das dürfte einer der Gründe dafür sein, warum er so alt geworden ist. Auch wenn er auf eine entsprechende Frage eine andere Antwort gibt: „Wenn mr net krank wird!“, lacht er vergnügt.

Aufgewachsen ist der Jubilar in Sulzau, heute ein Ortsteil von Starzach. Dort besuchte er auch bis 1933 die Volksschule. Danach halfen er und sein Zwillingsbruder erst einmal bei einem Landwirt im Nachbarort, bevor er auf Wunsch der Mutter eine Bäckerlehre in Rottenburg anfing. „Meine Mutter hat g’sagt: ,Du magsch Brot, also wirsch du Bäcker!’“ Das ist er dann auch zwei Jahre lang geblieben, bis er 1940 Soldat werden musste. Dabei traf es ihn und seinen Bruder besonders hart: Beide kamen nach Russland. Sein Bruder hat den Krieg nicht überlebt, doch Karl Deutschle hat nie daran gezweifelt, dass er selber wieder zurückkehren würde. Dabei hatte er mehr als einmal einen Schutzengel, erzählt er gemeinsam mit seiner Tochter Angelika Ernst. Zum Beispiel, als er mit seinem Pferdewägele den Anschluss an seine Batterie verloren hatte. Sein Beifahrer wurde in den Rücken getroffen, und das war für Karl Deutschle ein Glück. Denn so konnte er einem Feldjäger, der auf der Suche nach möglichen Deserteuren war und wissen wollte, warum er alleine unterwegs war, plausibel erklären: „Ich habe einen Verwundeten.“ 1945 geriet er an der Weichselmündung in russische Gefangenschaft. Die Wilhelm Gustloff, mit der er und seine Kameraden abgeholt werden sollten, war kurz zuvor versenkt worden. In der Gefangenschaft durfte er als Bäcker arbeiten. „Da war’s warm, und ich hatte Arbeit, die ich gerne gemacht habe.“ Und zwar nach eigenen Vorstellungen. „Am Anfang stand ein Russe da mit einem Eimer Wasser in der Hand und wollte, dass ich den noch in den Teig kippe, aber ich hab gesagt, der Teig bleibt genau so“, erzählt er und betont mit Stolz „Ich hab mir nie was gefallen lassen, auch vom Russen nicht.“ 1947 kam er zurück nach Deutschland und arbeitete ein Jahr lang bei einem Bäcker in Bad Cannstatt, wo er seine spätere Frau Ella kennenlernte. In Cannstatt blieb Deutschle vierzig Jahre lang, doch dem Bäckerhandwerk kehrte er den Rücken. „Ich war zu lange weg vom Beruf“, erklärt er. Deshalb fing er bei den Technischen Werken Stuttgart an, entlud Schiffe, war Kranfahrer und zum Schluss „Bekohlungsmeister“.

Nach Murr kam die Familie – Karl und Ella Deutschle haben zwei Töchter – 1977 aus einem kuriosen Grund: „Wir hatten schon länger einen Garten in Kirchberg und wollten in die Nähe.“ In Murr habe er sich gleich wohlgefühlt. Klar war ihm aber auch: „Da muss ich in einen Verein.“ Seine Wahl fiel auf den Musikverein, obwohl er selber kein Instrument spielt. Deshalb organisierte er, was es zu organisieren gab, vom Zeltlager bis zum Geschirrwagen, und natürlich buk er für die Feste Kuchen.

Und wann hat er den letzten Kuchen gebacken? Karl Deutschle strahlt: „Letzte Woche, einen Zwiebelkuchen!“ Und für die Geburtstagsgäste hat er natürlich auch vorgesorgt.