Stefanie Keller kennt die alten Rituale und Märchen bestens. Foto: privat

Während einer Raunacht-Winter-Märchenwanderung wurden auch alte Bräuche gepflegt.

Pleidelsheim - Eine junge Frau ist am Freitag im Pleidelsheimer Wald unterwegs. Gehüllt in ein bodenlanges Gewand mit Wollstola und -mütze wirkt sie fast, als käme sie aus einer längst vergangenen Zeit. Aufgestützt auf einen knorrigen Ast, schleicht sie gebückt unter der Last eines großen Weidenkorbes inmitten der kahlen Buchen zu einem Baumstumpf. Und eine beachtliche Menschentraube, es sind weit über 70 Personen, folgt ihr.

„Es wird die Wiedergeburt des Lichts gefeiert“, erzählt Stefanie Keller, während sie sich die Trage von den Schultern nimmt und zum Baumstamm legt. Dort steht ein Windlicht, feiner Rauch steigt auf. Das Räuchern sei ein Ritual in den „Zwölf  Heiligen Nächten“, zwischen den Weihnachtstagen bis Dreikönig, erklärt die Märchenerzählerin. Vor Hunderten von Jahren wurden im europäischen Brauchtum unzählige Rituale gepflegt und fantastische Geschichten erzählt.

Etwa das rumänische Märchen „Die drei goldenen Haare“, das durch Kellers feine Stimme fast mystisch wirkt an dem trüben nasskalten Tag. Die Zuschauer, zu einem Drittel Kinder, tragen zum Teil auch Laternen, denn die Wanderung dauert bis zum Abend. Das Licht beruhigt auch, besonders angesichts wilder Geschichten, wie die über Odins Geisterzüge. „Das alte Jahr soll mit Riten verabschiedet werden“, erklärt Keller die Gruppe weiter über die Denkwelt der Ahnen auf. Man könne gleich jetzt und hier seine Sorgen mental einem Stein zusprechen und den dann mit den Altlasten im Walt lassen. Viele bücken sich zu den bereitgelegten Steinen. Während weiteren Erzählungen staunt man, dass manche Sitte, etwa dass man in den Raunächten keine Wäsche waschen darf, heute noch bekannt ist. Während des wohltuenden gemeinsamen Gangs durch den Wald lernen die Wanderer etwa auch „Frau Holle“ neu kennen.

Nämlich als alte germanische Göttin und als Namensgeberin des noch heute im Volksmund als „Hollerbusch“ bekannten Holunder. Auch gibt es Versionen der „Sprechenden Tiere in der Christnacht“, was ein Kind an seine verstorbene Katze erinnert, wie es laut bekundet. So gehen die Teilnehmer an vielen Stellen ganz selbstverständlich in der Mischung aus Wissenswertem, Märchen und Kulten mit.

Und entdecken Überraschendes auf dem Weg, wie beleuchtete Holzstapel, oder einen Korb mit „Dankesgeschenken“, etwa Vogelfutter, für die Natur. „Kinderturnen“ wünscht sich ein Mädchen nach dem Jahresrückblick, als das Erzählthema in den Ausblick ins Neue Jahr übergeht. Neben der fröhlichen Geschichte der drei Spinnerinnen findet man Wunschkerzen und -zettel, damit jeder, ganz für sich, ein weiteres Raunachtritual zelebrieren kann. Zum Ende des mystischen Spaziergangs bei Glühwein, Punsch und Roten loben viele das außergewöhnliche Erlebnis, das im Pleidelsheimer Wäldle zum ersten Mal stattgefunden hat. Es wird nicht das letzte Mal sein, sind sich die Veranstalter vom Kulturring jetzt schon sicher.