Europäisiert denkende Menschen mit Bildungshintergrund gehören zur Hauptzielgruppe der neuen Plattform. Foto: Phil Dera

Das Medien-Start-up Forum baut einen Kiosk mit Texten von Qualitätsmedien aus ganz Europa. Es will damit schaffen, woran schon viele gescheitert sind: eine europäische Öffentlichkeit.

Berlin - Der Brexit mag viel Schaden angerichtet haben. Er führte aber auch zur Gründung von Forum. Das Berliner Start-up tritt mit dem nicht ganz bescheidenen Anspruch an, eine europäische Öffentlichkeit zu erschaffen. Man wolle dazu beitragen, heißt es auf der Website forum.eu weiter, dass Europäer mehr mit- als übereinander reden. Forum bietet zu diesem Zweck eine Art kuratierten europäischen Pressespiegel: jeden Tag etwa zehn handverlesene Beiträge aus europäischen Qualitätszeitungen werden übersetzt und können gegen eine Abonnementgebühr von vier Euro gelesen und kommentiert werden: Kiosk Europa.

„Ich war während des Brexit in London und habe gemerkt, dass da etwas zusammenbricht“, sagt Paul Ostwald, einer der Forum-Gründer. „Ich meine nicht nur die Wirtschaft, sondern das gegenseitige Verständnis. Mir ist klar geworden, dass ich allein mit den deutschen Medien nicht verstehen konnte, was die Briten bewegt.“

Daran sind schon einige gescheitert

Diese Problembeschreibung wird breit geteilt: Es gilt als Konsens, dass Europa eine echte Öffentlichkeit abgeht. Anders als innerhalb der Mitgliedsstaaten gibt es kaum grenzüberschreitende Debatten und oftmals nur wenig gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche Perspektiven auf Europa und europäische Politik. Das Scheitern paneuropäischer Medien wie der 1990 gegründeten Zeitung „The European“ oder der Website „European Daily“ im Jahr 2012 sind ein Symptom dieser Malaise. Der Fernseh- und Radiosender Euronews hängt am Tropf der EU-Kommission, deren Zuschüsse etwa ein Drittel seines Umsatzes ausmachen. Andere Nachrichtenmedien mit europäischem Fokus wie Politico richten sich vor allem an ein Elitenpublikum im EU-Machtzentrum Brüssel und den nationalen Hauptstädten.

Gibt es also überhaupt jene Zielgruppe, die Forum ansprechen will? Paul Ostwald sagt, das Medien-Start-up wolle seinen Markt nicht zuletzt selbst schaffen, indem es Sprachbarrieren überwindet. Dabei helfen künstliche und echte Intelligenz. Gemeinsam mit Mitarbeitern in mehreren Ländern wählt die Berliner Redaktion die Texte des Tages aus. Software der Kölner Firma DeepL liefert einen Übersetzungsvorschlag – der dann von Redakteuren überarbeitet wird. „Es ist für uns essenziell, dass die Artikel richtig übersetzt werden. Und dass zu den Artikeln eine Debatte entsteht“, so Ostwald.

Gibt es das nicht schon?

Da ist also reichlich Aufwand im Spiel für ein letztlich überschaubares (und zugleich relativ günstiges) Angebot am digitalen europäischen Zeitungskiosk. Hat die Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Angebot Eurotopics nicht schon einen ganz ähnlichen, dabei kostenfreien Dienst am Start? „Unser Alleinstellungsmerkmal ist die Kombination von Qualität, Übersetzung und Debattenmöglichkeit“, sagt Philipp Graf Montgelas, der sich um die Kontakte zu Verlagen kümmert und zuvor beim Onlinekiosk Readly tätig war, „außerdem haben wir anders als Eurotopics nicht nur ein, zwei Absätze, sondern den ganzen Text.“

Forum startet mit Korrespondenten in vier europäischen Städten und Mitarbeitern für Redaktion, Technik, Marketing und Kommunikation. Dennoch sei da kein Cent öffentliche Förderung im Spiel, erklären die Gründer. Finanziert werde man ausschließlich vom Kapitalgeber Bonum Ventures. Dessen Chef Nikolaus von Taysen hat es unter anderem mit einem Bezahldienst zu Geld gebracht und finanziert nach eigenen Angaben Unternehmen, die neben Profit das öffentliche Interesse im Blick haben.

Ob irgendwann doch eine EU-Förderung in Frage kommt? „Mal sehen“, sagt Philipp Graf Montgelas. Zunächst wolle man Abonnenten gewinnen. Die Zielgruppe seien europäisiert denkende Menschen „im mittleren Management aufwärts und Studierende in ganz Europa“. Zunächst soll das Angebot wachsen – möglicherweise auch mit außereuropäischen Medien, sofern diese über Europa berichten. Weitere Angebote wie Veranstaltungsformate sind derzeit noch Zukunftsmusik.

Journalistische Eigenarten bleiben bewusst bestehen

Seit rund zwei Wochen ist die erste Version von Forum online. Im Hintergrund arbeiten die Gründer aktuell noch an Verbesserungen, doch schon heute sind die Beiträge nach bestimmten Oberthemen sortiert, aktuell etwa „Kremlinologie“ und „Green New Deal“. Die verschiedenen nationalen Sichtweisen auf Europas Beziehungen zu Russland oder der ökologische Umbau der europäischen Wirtschaft werden durch die ausgewählten Beiträge gut sichtbar – aber eben auch die unterschiedliche Art und Weise, wie Journalisten Beiträge schreiben.

In der polnischen „Rzeczpospolita“ etwa finden sich immer wieder Sticheleien gegen Russland und südeuropäische Medien wie das portugiesische „Diário de Notícias“ veröffentlichen gern meinungsstarke Beiträge etwa zum europäischen Nord-Süd-Gefälle. Das wirkt auf deutsche Leser womöglich wesentlich fremder als der konservativ-liberale Ton der „FAZ“. Europäische Öffentlichkeit ist eben anstrengend, und solche Eigenarten wolle man gerne stehen lassen, sagt Paul Ostwald. „Aber eventuell müssen wir mit Annotationen arbeiten, weil eventuell nicht jeder spanische Leser weiß, wer der in einem deutschen Zeitungstext zitierte Frank Schirrmacher ist.“